Machos im weiblichen Biotop Schule 

 08/10/2013

Wir sind wieder zu Hause, aber ich konnte nicht bloggen, weil unsere Fritzbox kollabiert ist. Kaum habe ich die Kiste gelobt, bricht sie zusammen. War vielleicht doch zuviel mit dem ganzen Jugendschutz.
Ich habe dafür Verständnis. Die meiste Zeit fühle ich mich auch überfordert vom Jugendschutz.
Dass ich nicht ins Internet konnte, war trotzdem blöd, weil ich euch dringend von einem Text schreiben wollte, den meine süddeutsche Schwägerin für mich kopiert hatte.
Wenn mich ein Artikel oder ein Buch begeistert, dann möchte ich am liebsten mit tausend Exemplaren über das Land fliegen und Kopien aus dem Hubschrauber abwerfen.
Dieser Text ist so einer.
Er stammt von dem Schweizer Allan Guggenbühl und heißt: „Die Schule – ein weibliches Biotop? Psychologische Hintergründe der Schulprobleme von Jungen“. (erschienen in: Handbuch Jungen-Pädagogik von Michael Metzner und Wolfang Tischner, 2008, S. 150 – 167)
Guggenbühl schreibt, dass die Schulen es gut gemeint hätten, als sie in den 80er und 90er Jahren die Geschlechterrollen abschaffen wollten. Ein Mädchen sollte nicht darauf festgelegt werden, ein Mädchen zu sein, ein Junge nicht darauf, ein Junge zu sein. Mädchen sollten für Naturwissenschaften begeistert werden, Jungen für Handarbeiten und den Frieden.
Was gut gemeint war, so Guggenbühl, war letztlich eine Ideologisierung und ginge an der Realität von Kindern vorbei. Zwischen den Geschlechtern gebe es Unterschiede, die wir nicht leugnen könnten. Und wenn wir sie leugneten, würden wir den Schülern nicht gerecht. Vor allen den Jungen nicht, die inzwischen viel häufiger die Schule abbrechen oder zur Therapie geschickten werden als die Mädchen.

„Die überwiegende Mehrzahl der Kinder will sich als Junge oder Mädchen ins Leben einbringen, will die geschlechtliche Identität ausbauen und entwickeln. … Auch wenn die Erwachsenen sich strikt geschlechtsneutral verhalten, entwickeln sich die Geschlechtsunterschiede. … Wenn die Schule Geschlechtsunterschiede negiert, dann werden aus den Schülerinnen Tussis und aus den Schülern Machos!“ (S. 153)

In dem Artikel wird mit Methoden aufgeräumt, die ich bis letzte Woche für toll hielt.
Individualisierter Unterricht zum Beispiel.
Guggenbühl macht klar, dass es für einen Jungen Stress bedeutet, wenn sich eine wohlmeinende Lehrerin an seinen Tisch setzt, ihm tief in die Augen blickt und nach seinen Interessen fragt.

„Wieso setzt sie sich wieder an meinen Tisch, spricht mit leiser Stimme und betroffenem Gesicht?“

Über Worte Nähe zu erzeugen, ist ein sehr weibliches Verhalten. Jungen irritiert das eher. Sie stellen Nähe mehr über Taten her. Wenn sie jemanden zeigen wollten, dass sie sie mögen, würden Jungen ihr neustes Handy vorführen, eine Schachtel voller Würmer zeigen oder erklären, wie man den Stuhl verstellt, so Guggenbühl.

Das Tun ist für Jungen noch wichtiger als für Mädchen – Kronprinz vor Jahren an der Nordsee

Auch bei uns an der Schule gibt es seit einiger Zeit sogenannte „Lernzielgespräche“.
Meistens sieht das so aus: Lehrerin, Uta und Sohn sitzen zu einem vereinbarten Termin im leeren Klassenzimmer. Lehrerin und Uta sind begeistert über so viel Gelegenheit zum Quatschen, Sohn sitzt muffig daneben.
Danach auf dem Weg zum Auto.
Uta: „War doch toll, wie Frau Wagner auf uns eingegangen ist und wie differenziert sie dich sieht, oder?“
Kronprinz (15): „Mmmmpf“.
Uta: „Eigentlich ist sie ja doch ganz nett, die Frau Wagner.“
Kronprinz: „Mmmmpf“.
Uta: „Du musst dich einfach nur ein bisschen häufiger melden und dich mehr bei der Gruppenarbeit einbringen.“
Kronprinz: „Mmmmpf“.
Uta: „Ja, fandest du das Gespräch denn nicht gut?“
Kronprinz: „Kriegen wir jetzt eigentlich einen Internetverstärker?“
Ende des Gesprächs.
Auch Prinzessin ist keine Freundin von Lernzielgesprächen. Aber sie reagiert – typisch Frau – ganz anders darauf. Sie sucht Augenkontakt zur Lehrperson, trägt eifrig neue Lernziele ein und sitzt mit einem charmantem Dauerlächeln auf ihrem Stuhl.
Als wir nach dem jüngsten Lernzielgespräch die Treppe zum Parkplatz hinaufgingen, knetete sie ihre Wangen.
„Was machst du da?“ – „Ich massiere mein Gesicht. Dieses Dauergrinsen ist so mega-anstrengend.“
Ich bin vom Thema abgekommen.
Es ging darum, dass Allan Guggenbühl eine zu starke Individualisierung des Unterrichts für Jungen nicht gutheißt. Phasen des Frontalunterrichts seien wichtig für Jungen.
Ich zitiere: „Wenn die Lehrperson vor einer Schülerschar steht, auf sie einspricht und etwas verlangt, dann präsentiert sie sich als Oberbandenführer“. Das bräuchten Jungs von Zeit zu Zeit. Überhaupt bräuchten sie die Gruppe oder Klasse, weil sie sich viel mehr in Hierarchien einsortierten als Mädchen. Die Klasse und ihre Struktur sei für sie eine wichtige Motivation (Besser in Mathe sein als Tim und fast so gut wie Leon). Bei zuviel Individualisierung und ständigem Werkstattunterricht, wo jeder an seinen Themen vor sich hinarbeitet, verlören Jungen ihren inneren Halt.
Ein typisches Gewächs des „weiblichen Biotops Schule“ ist die Note für soziales Verhalten, die es inzwischen in vielen Bundesländern gibt. Dem Artikel zufolge sind zumindest die Kriterien, nach denen sie vergeben werden, zutiefst weiblich.

„…das Sozialverhalten ist inzwischen zur schulischen Schlüsselkompetenz aufgestiegen. Schüler und Schülerinnen sollen lernen, eigene Gefühle in Worte zu kleiden, Konflikte verbal zu meistern, zu kooperieren und sich in eine Gruppe einzufügen. … Die Standards, durch die soziale Kompetenzen genauer festgelegt werden, entsprechen dem Sozialverhalten der Mädchen und nicht jenem der Jungen.“ (S. 165)

Jungen reagieren körperlicher, sie provozieren gerne, machen Witze und prahlen gerne, um Kontakt zur Gruppe aufzunehmen. Sie brauchen als Lehrer oder Lehrerin einen „Oberbandenführer“, der das durchschaut, mal darüber lachen, es aber auch eindämmen kann, statt den Jungen gedanklich und im Zeugnis abzuwerten.
Ach, ich könnte noch so vieles aufgreifen aus dem Text. Aber das führt zu weit.
Für Zuhause noch den Tipp:
Wenn ihr mit eurem Sohn ein wichtiges Gespräch führen wollt, macht nicht die „Schau-mir-in-die-Augen-Kleiner-Nummer“. Ihr kommt ihm viel näher, wenn ihr zusammen wandert, joggt oder etwas werkelt.
Immer fröhlich einen Jungen einen Jungen sein lassen
eure Uta

  • hehe, so ist es. Ich bin über dieses Verhalten von Jungen schon als Mädchen gestolpert und habe mich gewundert, wieso es da Unverständnis gab. Dann habe ich ein Buch – welch Wunder- gelesen: „Du kannst mich einfach nicht verstehen“ von ? weiß ich gar nicht mehr. Hat mir aber damals die Augen geöffnet (unterschiedliches Sprechverhalten von Männern und Frauen) und das Wissen trägt mich seitdem durch mein Leben. Habe allerdings auch eine Freundin, die männliches Sprechverhalten an den Tag legt, sie ist mit mehreren Brüdern als einziges Mädchen aufgewachsen. In der Schule meiner Kinder finden diese Lernbegleitgespräche schon früh nur zwischen Lehrer und Schüler statt, finde ich sehr sinnvoll (davor nur mit Eltern und Lehrer, auch sinnvoll).
    LG
    Susanne

    • Die Unterschiede im Sprechverhalten sind durch die hierarchische Position bedingt: Männliche Untergebene benutzen ein sog. „weibliches“ Sprach- und Verhaltensrepertoire, wenn sie einem übergeordneten Mann gegenüber stehen.

  • Ja, ich glaube auch, nachdem die Emanzipation der Frauen ganz gut gelungen ist (ja, ja ich weiß, die Gehälter sind noch ungerecht), müssen sich nun bald die Jungs und Männer emanzipieren … Ich finde auch, dass die biologischen Charakterzüge ganz schön oft übergangen werden.
    Vielen Dank für den Beitrag. Ich glaube, ich quatsche meine Jungs auch zu viel zu.
    Liebe Grüße!
    Jenny

  • Vielen Dank für den Buchtipp! Deine Zitate sprechen mich als Mutter von drei (echten ;-)) Jungs direkt an. Die erste Frage unserer Lehrerin an meinen Sohn in unserem ersten sog. „Lernentwicklungsgespräch“ in der Grundschule(!) war:“ Wie fühlst Du Dich denn so in der Klasse?“
    Du kannst Dir bestimmt gut vorstellen wie ergiebig die Antwort darauf war 😉

    Herzliche Grüße vom Lebensknäuel

  • Mhm – nicht falsch verstehen – ich denke nur „laut“ – aber ich hab dazu zwei stockende Denkansätze… – was ist mit der Mutter, die ja in vielen Fällen noch Haupterzieherin (oder Alleinerziehende) ist – ist der Junge dann schon komplett verloren und reif für den Therapeuten?
    … und… was ist damit, dass Jungs (genau wie Mädchen) lernen müssen, mit „dem anderen Verhalten“ umzugehen? Also bei aller Individualität und Persönlichkeits-sein-lassend – wie weit muss ich mich da verbiegen? Was ist dann mit meiner Persönlichkeit und Individualität als Elternteil bzw Lehrer?

    Äh – ja ich geh mal weiter denken… ich hab ja auch keine Jungs – aber wohl ein langsames Hirn…

    Lieben Gruß

    Sandra

  • Ach, das GANZE Bildungs- und Erziehungskonzept bedarf der Überprüfung, nicht nur bezüglich der Methoden, Geschlechterrollen usw. Ich kriege allerdings die Krise, wenn BILDUNG bedeutet, dass ich mit Computern umgehen kann, wie beim neuesten PISA – Bericht. Ham die alle einen in der Klatsche?
    Gut, dass frau manchmal intuitiv weiß, was angesagt ist…
    LG
    Astrid

  • – Am Sonntag beim Erntedankgottesdienst mit Kindergartenkindern einen ERZIEHER (m) gesehen!!! Leider ist das eine Rarität, noch…
    – Vor seinem ersten Schultag sagte mein Erstgeborener: „Ich will übrigens einen Mann als Lehrer!“ (Den bekam er dann sogar).
    Wenn es den Jungs in der Schule besser gehen soll, dann müssten sich eben auch mehr Männer für diese wichtigen Berufe entscheiden, die außerdem wesentlich besser bezahlt sein müssten, wenn man bedenkt, wie wichtig sie sind.

  • Ich unterrichte an einer Berufsschule und habe entsprechend des Ausbildungsgang oft fast ausschließlich männliche oder weibliche Gruppen. Obwohl ich dieselben Inhalte unterrichte (Werte und Normen), ist die Unterrichtsatmosphäre ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wenn man ein bisschen aufs Bauchgefühl hört, ist es aber nicht schwer, den Unterricht anzupassen (ich arbeite übrigens ehrlich gesagt lieber mit den Jungs).
    Bei gemischten Klassen ist es natürlich so eine Sache, einen gesunden Mittelweg zu finden, der beiden Geschlechtern und dann möglichst auch noch jedem Individuum gerecht wird. Da fallen dann tatsächlich gerade in einem „Plauderfach“ wie WuN die Jungs leicht hintenrunter.

    • Ich finde, jede Gruppe hat eine andere Dynamik, die aus den Personen heraus entsteht und aus den Beziehungen zwischen ihnen. Ich kann aufgrund meiner eigenen Erfahrung überhaupt nicht sagen, Bubengruppen seien so und Mädchengruppen seien so, ich sehe da riesige Unterschiede.

  • Aber als Mutter und Pädagogin darf ich auch was anderes machen als diesen Spürst-du-mich-fühlst-du-mich-Schwachsinn, der hier Lehrerinnen angedichtet wird, oder? Herrn Guggenbühls gesamte Argumentationslinie basiert auf diesen 50er Jahre Stereotypen und ich finde, davon sollte man jetzt langsam aber sicher wegkommen. Es gibt viel mehr als zwei Sorten Menschen und wenn das endlich mal grossflächig verstanden würde, hätte die Menschheit einen grossen Schritt vorwärts gemacht.
    Wer seinen Unterricht auf „Durchschnittsmädchen“ und/oder „Durchschnittsjungen“ ausrichtet wird an ausnahmslos allen Individuen seiner Klasse vorbeiunterrichten, denn kein Mensch entspricht dem Durchschnitt. Fakt ist und bleibt dass die Unterschiede zwischen Mädchen und Mädchen, sowie zwischen Jungen und Jungen grösser sind, ausgeprägter sind, als zwischen Mädchen und Jungen. Egal welchen Punkt man untersucht.

  • Lustig, was hier schon geschrieben wurde.*g Tja, ich war ein Mädchen und mochte eines sein – Jungssachen waren pfui und so ist das natürlich ganz oft. Trotzdem hat es mir ganz besonders (als Einzelkindmädchen mit Barbieleidenschaft*g) nicht geschadet über den Geschlechtertellerrand hinauszusehen. Ich denke beides ist wichtig – mal die Gruppen in Mädchen und Buben teilen und mal zusammen lassen. Mal sollte ein Mann unterrichten, mal eine Frau – am besten das selbe Fach im selben Jahr, das wäre Klasse. Leider, leider, so flexibel wirds nie werden. Manchmal in manchen Pubertätsphasen wäre es allerdings schon mal schön sie in Jungs und Mädels zu teilen – man denke nur an Werkstücke – welch ein Drahtseilakt: Machen sie was zur Deko ist es meist Mädchenkram, macht man etwas technisches, ist es den Mädchen nicht schön genug – ergo Jungskram. Zwitterwerk/-handarbeitsstücke gibts leider nicht viel.
    Ich finde die Emanzipation hat, wenn ich nun die Kindergartenzeit meines Sohnes rekapitulieren lasse Formen, die die Jungs klar benachteiligen. Es sind zu viele Frauen, die zu wenig von Jungs wissen. Ich habe bis zu meinem Sohn brav dazu gehört und hätte wohl ebenso falsch reagiert. Gut, Profi bin ich immer noch nicht – ich übe immer noch und oft mit spärlichem Erfolg. Jungs, die mit Ästen auf Bäume einschlagen finde ich immer noch sehr seltsam – aber ich habe mich daran gewöhnt – naja, ich versuche es mich so zu verhalten, als ob ich mich gewöhnt hätte.*g Uns wäre einiges an Ärger erspart geblieben, hätte ich mich von Anfang an hinter ihn gestellt, ihn verteidigt, statt fertig gemacht und eben nicht auf die Erzieher gehört. Eltern sollten natürlich auf Erzieher hören, aber bei uns war es wirklich absoluter Stuss und es hat gedauert bis das Kinderförderzentrum alles, wirklich alles restlos wieder gerade gerückt hat – wäre auch einfacher gegangen. Ich nehme mir oft vor, meinen Sohn und seine Freunde mehr „männlich“ sein zu lassen und doch stört mich das gerenne und geschrei, das plötzliche Aufbrausen, das in Konfrontation gehen sehr und ich melde mich entsprechend. Manchmal wäre ich nicht gerne Junge bei mir, ich gebe es zu und ich würde mich oft nicht verstanden fühlen – von meiner Mutter, meiner Oma, meiner Lehrerin. Ich gelobe mich weiter zu bessern – bis zum endgültigen verstehen wirds ein weiter Weg. Ob man das jemals schaffen kann?
    Haben sich eigentlich Männer auch jemals Gedanken zu sowas mit den Mädchen gemacht? Wenn ich von meinem Mann ausgehe, der braucht sowas glaube ich nicht für unsere Tochter – irgendwie sind Männer unverkrampfter, oder? *lach

    LIebe Grüße – weiter auch mal von den Männern eine Scheibe abschneiden, oder? LOLO

  • Liebe Uta,
    Deinen Post habe ich mit großem Interesse gelesen und ebenso die Kommentare. Hochinteressant. Mein Sohn hatte im Kindergarten glücklicherweise einen Erzieher und es haben tatsächlich auch einige junge Männer dort ihr Praktikum gemacht. Die waren bei den Jungs GANZ weit vorn. Auch jetzt im Hort gibt es einen männlichen Erzieher und es ist sehr interessant, zu beobachten, wie der mit den Jungs umgeht und wie die Erzieherinnen das tun. Mittlerweile gibt es diverse Studien aus denen hervorgeht, dass Jungs die klaren Verlierer der jahrelangen Mädchenförderung sind. Und das es gar nicht verkehrt ist, gemischte Klassen auch mal zu trennen. Wir unternehmen ja sehr viel mit unserem Sohn, sind viel draußen, fahren Rad und machen Ausflüge. Mein Mann und er gehen bei Schmuddelwetter auch gerne mal in den Werkkeller und bauen da an diversen Sachen (z.B. einem Schiff). Oft entstehen bei diesem Tun die besten Gespräche zwischen den uns und unserem Kind.

    Liebe Grüße
    Birgit

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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