Warum ist mein Kind so bockig? 

 07/06/2021

Ein Beispiel aus dem Coaching.

Bei mir im Coaching ist eine Familie mit einem aufgeweckten vierjährigen Jungen. Nennen wir ihn für diesen Beitrag Lukas. Er hat früh gesprochen und kann sich gut artikulieren. Und soweit ist alles bestens, wären da nicht seine Wutausbrüche und würde er sich nicht so häufig weigern zu tun, worum ihn seine Eltern bitten. In dieser Woche wollte er vor der Kita nicht aus dem Auto steigen. Er saß in seinem Kindersitz wie festgeklebt, die Lippen schmal, das Kinn entschieden vorgereckt. Seine Mama fragte natürlich, was los sei und warum er heute nicht in die Kita wolle. Keine Antwort. Auch als sie rief: „Guck mal, da kommt dein Freund Linus und wenn ich dich heute Mittag wieder abhole, gehen wir ein Eis essen“, setzte er den Sitzstreik fort. 

Dazu muss man wissen, dass Lukas gerne in die Kita geht. Er würde fröhlich mit den anderen Kindern spielen, sobald er da sei, berichten die Erzieherinnen. Kein Mobbing, kein Heimweh oder sonstige seelische Pein, die seine Sitzblockade erklären würde. 

Jeden Mittag wird er abgeholt. Dann hat seine Mama die Arbeit im Homeoffice beendet und verbringt den Nachmittag mit ihm. Auch Papa ist wegen Corona zu Hause. Zu ihm darf er aber nur kommen, wenn die gebastelte Ampel an der Tür zum Arbeitszimmer auf Grün steht. Das mit der Ampel klappt gut, aber sonst gibt es jede Menge Wutausbrüche. „Lukas, wir müssen los. Wir haben einen Arzttermin.“ - „Nein!“ - „Lukas, jetzt ist Feierabend, jetzt geht es ins Bett.“ - Nein!“ - „Auf! Jetzt werden die Zähne geputzt.“ - „Nein!“ Dazu gerne auch Hauen, Beißen, Treten. 

Dabei hat Lukas Eltern, die alles für ihr einziges und spätes Kind tun. Es fehlt ihm vordergründig an nichts. 

Warum lösen die einfachsten Anforderungen des Alltags solche Kämpfe aus?

Ein Grund ist sicher, dass sich Lukas mit vier Jahren in der Autonomie-Phase befindet. Der eigene Wille ist frisch entdeckt und muss ausprobiert werden. Kein Kind in dem Alter folgt aufs Wort. Und das wäre ja auch schrecklich.  

Foto von Jonas Mohamadi von Pexels

Aber wenn aus jeder Kleinigkeit ein zähes Ringen wird, habe ich hier völlig zermürbte Eltern am Telefon.

In der Autonomie-Phase haben Kinder gerne die Wahl. Sie wollen selbst bestimmen. So könnte es helfen, dass Silke, seine Mama, ihn bei der Ankunft vor der Kita fragt: „Wollen wir heute auf einem Bein zum Eingang hüpfen oder lieber rückwärts gehen?“ 

„Ich kann mich nicht jeden Tag zum Kaspar machen!“, werden einige von euch denken, „und ich kann auch nicht zu allem, was im Alltag zu erledigen ist, ein Spiel erfinden.“ Da bin ich völlig bei euch. Trotzdem kann eine nette kleine Spiel-Idee die Situation entschärfen und wir müssen keine große Psycho-Geschichte aus dem Thema machen.

Ein zweite Möglichkeit für Lukas Eltern ist, insgesamt mehr Klarheit zu gewinnen und wirkliche Leitwölfe für ihr Kind zu werden. Silke neigt dazu, ihrem Sohn sehr viel Entscheidungsfreiheit zu geben. Der Vierjährige darf beim Abendbrot aus einem sehr großen Angebot an Essen wählen, sie fragt ihn den halben Tag lang, ob er lieber dies spielen oder jenes basteln möchte. Bei den vielen Möglichkeiten, von denen mir diese Mama erzählt, würde ich an Lukas Stelle auch ausrasten: So viel Entscheidungen muss er treffen, zu so vielen Fragen Stellung beziehen und so viel Verantwortung schon auf kleinen Schultern tragen. „Unser Wunsch, nicht autoritär zu sein, ist eine Überforderung für alle. Es hilft Kindern viel mehr, wenn ich mal die Stärkere bin, die das aushält“, sagt die Therapeutin Maria Neophytou in einem Interview im aktuellen ZEIT-Magazin (Nr. 23, 2.6.2021, Seite 46). Mit „die das aushält“ meint sie kleine Krisen und darin als Erwachsene Entscheidungen zu fällen und dazu zu stehen, auch wenn ich bei meinen Kindern einen Aufstand riskiere. 

In meinem jüngsten Buch und auch im vorausgehenden Blog-Beitrag schreibe ich vom Respekt für den kleinen Menschen, vom „die-Wahl-lassen“ und vom „Gefühle-Spiegeln“. Es kommt aber immer auf die Familie an, die ich vor mir habe. Sind es Eltern, die sehr dominant sind, ist es wichtig, dass sie lernen, ihr Kind genau wahr zu nehmen und seine Gefühle endlich ernst zu nehmen. Wenn jedoch Eltern ins Coaching kommen, die sich total nach den Bedürfnissen ihres Kindes richten, jede seiner Befindlichkeiten diskutieren und ihm die Führung der Familie überlassen, ist das Gefühle-Spiegeln nicht das passende Werkzeug aus meinem Coaching-Kasten. Diese Eltern ermutige ich zu mehr Klarheit und Führung. 

Silke zum Beispiel könnte am Vorabend mit Lukas sprechen. Sie könnte ihm sagen: „Morgen Vormittag muss ich arbeiten. Deshalb bringe ich dich in die Kita. Wir steigen zügig aus dem Auto aus und ich will keine Wurzeln auf dem Parkplatz schlagen. Und ich hole dich am Mittag wieder ab. Dann haben wir Zeit füreinander.“ 

Als ich Silke vorschlug, das so zu machen und auf dem Parkplatz so lange stumm (!) zu stehen, bis er aussteigt, sah ich, dass Lukas Papa sofort einverstanden, seine Mama aber noch nicht überzeugt war. (Wir sprechen über Video-Telefonie miteinander.) Beim Nachfragen stellte sich heraus, dass Silke im Alter von zwei Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen war. Die Mutter war alleinerziehend und musste sich im neuen Land zurechtfinden. Deshalb war nicht viel Zeit für das Kind. Und Silke musste als kleines Mädchen „funktionieren“. Für ihren kleinen Sohn möchte sie das grundlegend anders machen. Und so gibt sie ihm auf einer tieferen Ebene das Signal, dass er in keiner Weise folgen muss. Er soll keinerlei Einschränkungen erleben. Mit dieser Erwartung seiner Mutter kooperiert der kleine Kerl bestens. Und wenn sie findet, jetzt könnte er doch mal folgen, kann sie sich den Mund fransig reden, weil Lukas spürt, wie unentschieden sie innerlich ist.

Das ist meine These über die tiefere Ursache für die Schwierigkeiten dieser Eltern. Wir werden weiter daran arbeiten und sehen, was sich wandelt. 

Zusammengefasst bedeutet das:

Auf der Verhaltensebene  …

  • die Erwachsenen-Entscheidung klar vorgeben („Du gehst heute in die Kita.“)
  • bei der Ausgestaltung die Wahl lassen („Möchtest du auf einem Bein zum Eingang hüpfen oder rückwärts gehen?“)

Auf der Ebene der inneren Haltung (und die ist entscheidend, glaubt es mir) ist es sinnvoll zu gucken …

  • welche Einstellung ich mitbringe zu den Themen „Führung“, „Regeln einhalten“, „Bedingungen erfüllen“ …
  • und was mich als Kind geprägt hat.

Immer fröhlich gucken, welche Haltung bei euch wirkt. Das ist der Schlüssel zu einem nachhaltigen Wandel in der Familie.

Eure Uta 

Wenn ihr eure tiefsten Überzeugungen untersuchen wollt, um einen echten Wandel im Zusammensein mit euren Kindern zu erreichen, tragt euch gerne für ein Coaching ein: https://utas-familiencoaching.de/coaching-buchen-2/

  • Toller Artikel, liebe Uta, du bringst es auf den Punkt und beschreibst genau die Diskrepanz zwischen zu viel und zu wenig auf die Gefühle der Kinder eingehen. Das ist ein wahrer Balance-Akt! Unsere innere Haltung ist hier ein Schlüssel zum Familienglück.

  • Oh ja, die Frage, wann wir als Eltern klar führen sollen, fällt mir besonders schwer zu beantworten. In mir arbeitet diese Frage auch gefühlt dauernd im Hintergrund. Wie wird man sich darüber im Klaren, wann es einem Kind gut tut, eine Richtung gewiesen zu bekommen und wann es autonom entscheiden kann. Bei Punkten, die unsere Zweijährige selbst betreffen, z.B. Hunger/Durst/Müdigkeit fällt es mir leicht. Auch bei „größere“ Rahmenbedingungen z.B. Termine wahrnehmen/Besuche bei Freunden etc. bin ich denke ich recht klar. Aber bei allem dazwischen fällt mir das abwägen recht schwer, z.B. Spielen/Alltagsarbeiten …

    Gefühlt eine Daueraufgabe, da muss ich wohl meine innere Haltung noch besser kennenlernen.

    Liebe Grüße,
    Rini

    • Liebe Rini, schau doch mal da hin, wo es reibungslos klappt und was du vielleicht als selbstverständlich ansiehst. Bei mir war es zum Beispiel: Wer in das obere Stockwerk will, muss die Schuhe ausziehen. Da war ich sonnenklar. Diese Klarheit hat sich wohl gesendet und es war kein Problem, das durchzusetzen. Da, wo es nicht geklappt hat, war es mir wohl nicht so wichtig. Ich kann ja heute sagen, dass sie groß und wunderbar geraten sind. Die meisten kleinen Kämpfe, die wir hatten, waren am Ende der Kindheit völlig unbedeutend. Danke für deinen Kommentar und herzliche Grüße, Uta

  • Liebe Uta, danke für diesen Anstoß. Ich werde deine Ideen mal ausprobieren. Wenn hier nichts mehr geht: Heute Morgen zum Beispiel wollte der 4jährige den „hässlichen“ Blumenstrauß nicht mehr auf dem Tisch sehen, schnappe ich ihn mir Huckepack und er darf durch tippen anzeigen, wo es langgeht. Er liebt es, und wir konnten dann in Ruhe zu Ende frühstücken.
    Viele Grüße, Lisa

    • Super gemacht, liebe Lisa! Umgelenkt auf eine Situation, in der er die Wahl hat, und gleichzeitig hast du an deinen Blumen festgehalten. ??Danke fürs Teilen! Herzliche Grüße, Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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