Wie man ihnen helfen kann, mit Konflikten umzugehen.

Als unser afghanisches Pflegekind im Frühsommer bei uns war, hatte ich mehrfach Gelegenheit, die Vorschule bei uns in der Nähe zu erleben. Was mich dabei sehr irritiert hat, war der Umgang mit Konflikten speziell zwischen den Jungs.
In der Pause hatte es Rangeleien um Sammelbilder gegeben, es war zu Geschubse und Kämpfen gekommen. Und nun saß die ganze Gruppe im Stuhlkreis und die Konflikte wurden besprochen. Jasper sollte schildern, was passiert war. Dann Simon. Fritz war auch verwickelt. Ein Wort gab das andere. Jeder durfte seine Sicht schildern. Die anderen 20 Kinder wanden sich auf den Stühlen. Sie waren ja nicht betroffen, aber sie sollten wohl was lernen.
Schließlich drängten die beiden Erzieherinnen die Jungs zu Entschuldigungen. Tatsächlich wurden kleine schmutzige Hände gereicht und zaghaft ein paar kaum verständliche Worte herausgepresst. Allgemein herrschte eine gewisse Zerknirschtheit.
Dann sprang eine der Erzieherinnen auf und fragte in die Runde: „Wer hätte sich in diesem Konflikt denn noch anders verhalten können?“
Keiner kam drauf.
Schließlich die Auflösung: „Ben!“ Denn der hätte nichts unternommen, um seinem Freund Simon zu helfen. Und wer tatenlos zusehe – so die Moral dieser Stuhlrunde – der mache sich auch schuldig.
„Hilfe!“ , dachte ich, „das kann vielleicht Thema sein ab der dritten Klasse oder später im Konfirmationsunterricht, aber in der Vorschule?
Als auch Ben zerknirscht war, weil er es mit fünf Jahren noch nicht zum Widerstandskämpfer gebracht hatte, schloss die andere Erzieherin die Lektion in Sachen Sozialverhalten mit den Worten ab, dass sie die Eltern informieren und das aggressive Verhalten einiger Jungs zum Thema des nächsten Elternabends machen würde.
Jetzt hätte ich die Erzieherinnen schubsen und hauen können.
Solche (nach meiner Beobachtung) völlig normalen Konflikte zu begleiten und die Kinder dabei zu unterstützen, sie zu lösen, das ist doch ihr Kerngeschäft. Muss man es gleich zum Thema eines Elternabends machen und damit den Druck für alle Beteiligten erhöhen?
Was müssen die betroffenen Eltern jetzt denken? „Unser Sohn ist gewalttägig.“ – „Der läuft uns aus dem Ruder!“ – „Als Jugendlicher wird er wahrscheinlich verhaltensauffällig, Drogen nehmen, Schutzgelder erpressen …..“ Schlimmstes Kopfkino.
Das hat gerne zur Folge, dass die Eltern beginnen, ihrem Kind zu misstrauen, streng zu werden, mehr zu schimpfen, vielleicht sogar zu strafen. Mama und Papa sagen sich: „Wenn schon die Erzieherin sagt, dass unser Simon/Fritz/Jasper aggressiv ist, dann müssen wir hier zu Hause wohl mal andere Saiten aufziehen.“ Da aber niemand – weder in der Vorschule noch zu Hause – so richtig hingeschaut hat, wie und warum es zu dem Konflikt kam, fühlen sich die Jungs unverstanden und werden noch bockiger und aggressiver.
In ihrem neuen Buch „Kindheit ohne Strafen“ beschreibt Katharina Saalfrank eine Art, die Konflikte von Kindern zu begleiten, die mich sehr überzeugt hat. Das bringt mich auch dazu, meine eigene Aussage („Haltet euch aus Kinder-Streit heraus!“) zu differenzieren. Saalfrank macht deutlich, dass Kinder in den ersten Jahren sehr emotional sind und deshalb besonders in Konflikten von ihren eigenen Gefühlen regelrecht überrollt werden. Da hilft es ihnen, wenn wir bei ihnen bleiben und sie nicht abwerten oder gar strafen für ihre Wut, ihre Angst oder ihre Trauer.

Von Gefühlen beherrscht – Kinder im Vorschulalter.

Eltern machen gerade bei Aggressionen zwei Dinge, die nicht gut funktionieren:

  • Sie sehen „Rot“ und werden selbst aggressiv, reagieren auf eine Grenzverletzung ihrerseits mit einer Grenzverletzung. Die Situation eskaliert.
  • Sie ergehen sich in langen Erklärungen, warum man nicht haut, wie sich das andere Kind fühlen könnte, warum man immer lieb und nett sein und alles teilen sollte und was alles hätte passieren können. Sie begegnen dem Kind, das sich gerade in seinen Emotionen verliert, auf der Verstandesebene und erreichen es damit nicht. Das Kind „macht dicht“.

Katharina Saalfrank nennt als Beispiel eine Situation auf einem Spielplatz. Ein Vater sieht, wie sein fünfjähriger Sohn Jonas ein anderes Kind an der Rutsche haut. Rüde zerrt er ihn von der Leiter und macht ihn am Rande des Spielplatzes zur Schnecke.
Ich zitiere Saalfrank Vorschlag, wie es besser funktionieren könnte (gekürztes Beispiel von Seite 103):
‚Der Vater von Jonas … geht auf die Streithähne zu.
Vater: „Hey, was hat euch denn gerade so geärgert, dass ihr in Streit geraten seid?“
Jonas: „Ich war zuerst auf der Rutsche.“
Anderes Kind: „Aber ich wollte auch rutschen und du warst viel zu langsam.“
Vater zum anderen Kind: „Das heißt, du hast dich geärgert, weil es so lange gedauert hat?“
Anderes Kind: „Ja!“
Jonas: „Aber du darfst nicht einfach schubsen, das will ich nicht.“
Das Kind schaut betreten: „Und du kannst mich auch nicht einfach hauen. Außerdem musst du dann schneller rutschen. Andere wollen auch mal.“
Vater: „Du wolltest los rutschen, und Jonas wollte sich mehr Zeit lassen. Jonas will nicht geschubst werden, und du willst nicht gehauen werden.“
Beide Kinder … nicken.
Vater: „Ich kann euch beide verstehen. Ich will auch nicht gehauen und geschubst werden. Was machen wir jetzt?“
Jonas zum anderen Kind: „Du darfst zuerst rutschen, weil du schneller bist, okay?“ … „Ja!“

*

So eine Reaktion mag manchem unrealistisch vorkommen. Unrealistisch aber vielleicht nur, weil wir gerade im Konfliktfall auf der alten Spur einrasten, die wir selbst aus Kindertagen kennen. Im Grunde sind es aber sehr simple Dinge, die man ausprobieren könnte – nachdem man einmal tief durchgeatmet hat. Es ist ein wunderbarer dritter Weg zwischen „sich wie ein Scharfrichter aufführen“ und „sich gar nicht einmischen“.
Was macht der Vorzeige-Vater genau?

  • er hört beide Parteien an
  • er bleibt wertfrei (Ganz wichtig! Wie schnell stecken wir andere Kinder in eine Schublade „Der macht hier wohl auf Alpha-Tier!“ – „Was für ein Rambo!“ – „Dessen Mama kann sich ja gar nicht durchsetzen!“ – „Das ist wohl die Brut von der Coffee-to-go-Tusse da drüben, die sich gar nicht kümmert.“)
  • er gibt den Kindern zu verstehen, dass Ärger und Wut sein darf
  • er hilft den Kindern, ihre Gefühle zu benennen und sie damit verbal statt körperlich auszudrücken
  • er fragt nach, ob er die Situation richtig verstanden hat
  • er gibt sich nicht als der moralisch überlegene Erwachsene, der alles besser weiß
  • er schlägt sich auf keine Seite, ist aber trotzdem seinem Sohn nah bei dessen innerer und äußerer Aufruhr der Gefühle
  • er lässt die Situation offen („Was machen wir jetzt?“)
  • damit gibt er den Jungs die Möglichkeit, eigene Lösungen zu finden und selbst wirksam zu werden
  • wenn die Kinder keine Lösung finden, so Saalfrank, könnte der Vater sie fragen, ob er ihnen eine anbieten darf (Seite 104)

Ich habe erst die Hälfte des Buches „Kindheit ohne Strafen“ gelesen, bin aber bis hierhin so begeistert, dass ich daraus etwas aufgreifen musste. Mir gefällt auch der Untertitel „Neue wertschätzende Wege für Eltern, die es anders machen wollen“. Ich hatte Katharina Saalfrank noch dunkel in Erinnerung aus ihrer Zeit in der RTL-Sendung „Die Super Nanny“. Vage erinnere ich mich, wie sie da noch mit Auszeiten für die Kinder gearbeitet hat. Seither scheint sie, ihre Arbeit weiter entwickelt zu haben. Ich schätze ihren großen Schatz an Erfahrung als Mutter von vier erwachsenen Söhnen und aus ihrer Beratungspraxis und ich kann folgendem Satz aus ihrem Vorwort nur zustimmen:

Kinder brauchen Führung – ohne die sind sie verloren. Die Frage ist nur, wie die Qualität dieser Führung beschaffen ist … (Seite 9).

Immer fröhlich in Konflikten wertfrei bleiben und Kindern helfen, ihre Gefühle in Worte zu übersetzen!
Eure Uta
PS: Ich habe über das Kontakt-Formular meiner Coaching-Seite ein paar leere Mails bekommen. Beim Ausprobieren haben wir jetzt festgestellt, dass das Formular nicht richtig funktioniert. Das tut mir leid. Wir sind dabei, das Problem zu lösen. Solltet ihr eine Coaching-Anfrage oder eine Leser-Frage haben, könnt ihr mir einfach eine Mail schicken an: mail@wer-ist-eigentlich-dran-mit-katzenklo.de

  • Danke für die Buchempfehlung und den geänderten Blickwinkel.
    Aber vor allem danke für diesen Satz „Als auch Ben zerknirscht war, weil er es mit fünf Jahren noch nicht zum Widerstandskämpfer gebracht hatte…“ Ich musste so lachen! Einfach nur herzerfrischend.

  • Wenn es nur im echten Leben so einfach wäre, wie es in den Büchern immer klingt… Beim Lesen denke ich immer, „Ja, super, das probiere ich das nächste Mal.“ Und dann kommt das nächste Mal, mir bleibt keine Zeit zum Nachdenken und – schwupps – sind alle (die Kinder und ich) in den alten Verhaltensmustern.
    Trotzdem danke für die Buchempfehlung.
    LG von TAC

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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