Warum Partnerschaft die größte Weiterentwicklungsmöglichkeit bietet.
Es gibt einen Satz, gehört in einem Podcast, der lässt mich seit Wochen nicht los: Die größte Möglichkeit, sich als Mensch weiter zu entwickeln, bieten die Felder „Partnerschaft“, „Elternschaft“ und „Sexualität“.
„Und Beruf?“, dachte ich. „Verbringen nicht die meisten Menschen einen Großteil ihrer Zeit damit, zur Schule zu gehen, zu studieren, eine Ausbildung zu machen, sich zu bewerben, an ihrer Karriere zu feilen?“ Auf Partys gefragt, wer sie sind, nennen die meisten ihren Beruf, ihre Stellung, ihren Titel. Selbst in Todesanzeigen findet man direkt unter dem Namen, dass jemand Firmen-Gründer war, Friseur-Meisterin oder ein geschätzter Elektroingenieur. Und bei den ganzen Vereinbarkeitsdebatten geht es doch meistens um die Frage: Wie kann ich wieder berufstätig sein, ohne dass die Kinder zu sehr darunter leiden? Die Partnerschaft wird – wenn überhaupt – noch unter „ferner liefen“ genannt.
In dem Satz aber, der mich so bewegt, wird „Partnerschaft“ an erster Stelle als das Feld genannt, das uns herausfordert und uns gleichzeitig die größten Möglichkeiten bietet, ein erfüllendes Leben zu leben. Einem Menschen wirklich nahe zu kommen, mit ihm sein Leben zu teilen und dabei das Kunststück fertig zu bringen, dass jeder von beiden immer mehr er oder sie selbst sein darf. Was für eine Aufgabe!
Boah!
Ist es nicht eher so, dass man einen Kompromiss nach dem anderen eingeht, dass beide sich im Alltag aufreiben mit der ständigen Frage: Wann nehme ich mich zurück und wann sage ich besser, was ich will? Bin ich jetzt zickig, wenn ich mich weigere in diesem oder jenem Punkt? Bin ich jetzt ein Macho, wenn ich klare Ansagen mache? Hundert Seiten könnte ich schreiben über die Fragen, die Tag für Tag auftauchen.
Deshalb lese ich begierig, was ich dazu finden kann. Folgende Gedanken zum Thema Partnerschaft halte ich für wegweisend:
- Es geht nicht darum, ob der andere meinen Vorstellungen entspricht. Es geht darum, ob er seinen Vorstellungen entspricht und ich meinen.
- Ziel von Partnerschaft ist es, den anderen darin zu unterstützen, immer mehr er oder sie selbst zu werden.
- Was dagegen garantiert schief geht, ist, den anderen in ein Umerziehungsprogramm zu stecken.
- Wenn ich den anderen aber ermächtige, er oder sie selbst zu sein, ist der andere meistens davon so beglückt, dass er oder sie aus lauter Freude auch mich nach Kräften darin unterstützt, immer mehr ich selbst zu werden. „In diesem Sinne Ehepaar sein heißt, am Anderssein des anderen die eigene Liebesfähigkeit zu üben, um dabei – quasi als Belohnung – die eigene Herzensfülle tiefer und tiefer zu erleben.“ (Eva-Maria Zurhorst: „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“. München 2009, 10. Auflage, Seite 63)
- So entsteht Nähe. Und paradoxerweise ist es dann beiden auch gar nicht mehr so wichtig, wer sie sind oder was sie möchten. Hauptsache zusammen!
- Die Anfänge, die Partnerwahl, läuft nach einem ganzen anderen Muster: Wir reagieren auf den Menschen, von dem wir denken, dass er uns schenken kann, was uns vermeintlich fehlt: Da gibt mir endlich jemand das Gefühl, etwas Besonderes zu sein … während ich mich gar nicht besonders finde. Da zeigt jemand die Durchsetzungstärke … die ich nicht habe. Da ist jemand erfolgreich …. und in seinem Glanz kann ich mich sonnen. Da ist jemand wie der Vater … den ich nie hatte. Da ist jemand so fürsorglich und liebevoll … wie meine Mutter es war und die mir nach ihrem Tod so fehlt. Da ist jemand so wild und abenteuerlustig … wie ich es mich nie getraut habe. Da bietet mir jemand den Schutz … nach dem ich mich so sehne…
- Im Laufe der Zeit stellen wir jedoch fest, dass der andere uns nicht geben kann, was uns angeblich fehlte. Die Standard-Reaktion ist, dem anderen das zum Vorwurf zu machen und zu behaupten, er oder sie würde uns nicht genug lieben oder wir würden eben nicht zueinander passen. Immer häufiger reagieren wir gereizt auf die Macken des anderen, ziehen uns innerlich zurück, leben nur noch nebeneinander her oder trennen uns.
- Eva-Maria Zurhorst dagegen lehrt, diese Reibungspunkte willkommen zu heißen. Gerade die Reibungspunkte, die uns immer wieder an die Decke gehen lassen, würden zeigen, was in uns selbst noch der Heilung bedarf. Niemand anderer, als der Mensch, mit dem wir zusammen leben, würde uns zielsicher zu den Teilen unserer Persönlichkeit führen, die der Weiterentwicklung bedürfen.
- Ich empfand meinen Mann zum Beispiel manchmal als etwas hart oder abwertend in seinen Reaktionen gegenüber Menschen außerhalb der Familie, bis ich entdeckte, dass ich langsam ersticke in meinem Harmonie-Streben, in meinem „Immer-alles-nett“-Finden und in meinem nicht einzulösenden Anspruch, mich nie entwertend gegenüber anderen zu äußern. Seit ich forscher auftrete, seit ich auch mal einen Streit riskiere, weil ich mich zeige, wie ich bin, seit ich mir erlaube, auch mal über Leute zu lästern, ist der Reibungspunkt mit meinem Mann auf wundersame Weise auf dem Rückzug. Ist doch genial, oder?
Das Buch von Eva-Maria Zurhorst „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ ist seit Jahren ein Bestseller. Den Titel fand ich schon immer gut, aber erst jetzt lese ich es und bin begeistert.
Als junge Frau arbeitete sie als Journalistin in Südafrika. Da ging es um das Thema „Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß“. Zurück in Deutschland trat sie in die Personalabteilung eines großes Ostunternehmens ein. Die Mauer war gerade gefallen, da ging es um das Thema „Versöhnung zwischen Ost und West“. Als sie schwanger wurde und den Vater des Kindes heiratete, rutschte die Ehe sehr schnell in eine schlimme Krise. Etliche ihrer Beziehungen vorher waren auch gescheitert. Deshalb dämmerte ihr: Das kann nicht nur an den Männern liegen. So befasste sie sich mehr und mehr mit dem Thema Partnerschaft. Und da ging es um das Thema „Versöhnung zwischen Mann und Frau“. Die Zurhorsts konnten ihre Ehe retten und zu einer erfüllenden Partnerschaft führen. Seit Jahren schon geben sie diese Erfahrungen und die Erkenntnisse, zu denen sie dabei gelangt sind, in ihren Beratungen an Paare weiter. 70 Prozent der Ehen, die geschieden werden, so Zurhorsts These, könnten gerettet werden. Ihre Vision: „Heilen wir unsere Partnerschaft, heilen darin automatisch unsere Kinder. Und heilen unsere Kinder, dann heilt unsere Gesellschaft.“ (Seite 74)
Ich weiß, dass es das Thema schwer hat in Zeiten der Me-too-Kampagnen und der schlimmen Geschehnisse, die sie ausgelöst haben. Aber es kann auch keine Lösung sein, Männer zu Monstern zu erklären und in immer größerer Vereinzelung vor sich hin leben.
Habe ich erwähnt, dass ich eine Stelle aus dem Film „Jerry Maguire – Spiel des Lebens“ liebe?
Dorothy lebt nach einem Streit und der vorläufigen Trennung von ihrem Mann, dem Sport-Agenten Jerry, wieder im Haus ihrer Schwester. Diese ist geschieden und in ihrem Wohnzimmer trifft sich regelmäßig eine Selbsthilfe-Gruppe von Frauen, die sich von Männern betrogen fühlen. Auch Dorothy sitzt in dieser Runde, aber irgendwann steht sie auf und sagt: „Ich kenne jetzt alle eure rührseligen Geschichten in- und auswendig. Ja, und ich weiß: Männer sind unsere Feinde, aber …“ sie räumt die Becher vom Tisch und schaut in die Runde, „aber nichts-desto-trotz liebe ich den Feind noch immer.“
Sich immer fröhlich und mutig der größten Weiterentwicklungs-Möglichkeit stellen, die es gibt: Partnerschaft.
Eure Uta
Titelbild von Cottonbro und das Beitragsbild von Tristan Le, beide von Pexels. Vielen Dank!
Liebe Uta,
ha, das kenne ich soo gut: „Ich empfand meinen Mann zum Beispiel manchmal als etwas hart oder abwertend in seinen Reaktionen gegenüber Menschen außerhalb der Familie, bis ich entdeckte, dass ich langsam ersticke in meinem Harmonie-Streben, in meinem „Immer-alles-nett“-Finden und in meinem nicht einzulösenden Anspruch, mich nie entwertend gegenüber anderen zu äußern.“ Ist es nicht befreiend, nicht immer nur nett zu sein und nicht immer alles toll zu finden? Und eigentlich passiert nie was Schlimmes, wenn man mal anders reagiert als nicken und lächeln.
Danke für diesen wunderbaren Beitrag!
Inra
Liebe Inra, danke, dass du geschrieben hast! Liebe Grüße, Uta
Sehr schön geschrieben und herausgearbeitet – danke!
Verräts du uns noch, welchen Podcast – oder gar welche Podcast du im allgmeinen hörst?
Ich habe auch einige in meiner Medithek, aber oft sind die Speaker noch sehr jung und mir fehlt manchmal die Erfahrung oder auch einfach die Entwicklung bei den Themen, die zwar übertragbar sind, aber doch noch oft genug an meiner Lebensrealität vorbei geht.
Einen lieben Gruß!!!
Liebe Sandra, vielen Dank für die Rückmeldung!
Hauptsächlich höre ich gerade Laura Malina Seiler. Sie ist auch erst Anfang 30, trotzdem inspiriert mich manche Folge sehr.
Bisher bin ich auch noch nicht auf Podcasts von Menschen meiner Generation gestoßen. Es ist halt ein junges Medium.
Liebe Grüße, Uta
Hallo Uta,
ja Laura habe ich fast komplett gehört bis jetzt und sogar meiner Tochter (16) ans Herz gelegt. Durch sie habe ich auch „Gespräche mit Gott“ gehört (Hörbuch 1er Teil, die anderen beiden Teile sollten heute endlich mal in der Post sein).
Ich mag sie auch sehr gerne und habe auch noch keinen Podcast gefunden, der mich mehr inspirieren konnte. Ab und an höre ich „Mindful Growing“ und „Aha! Momente“.
Mein Bücherstapel ist seitdem auch fürchterlich gewachsen unter anderem eben auch Walsh und Tolle. Ich bin sehr gespannt! Die beiden stammen ja dann auch aus einer älteren Generation, nur leider ohne eigenen Podcast und mein Englisch ist leider nicht gut genug für den etwas größeren englischsprachigen Markt… – vielleicht wäre ja ein Podcast auch etwas für dich?Ich könnte mir gut vorstellen, dich auch mal zu hören!!!
Liebe Grüße
Sandra
Oh ja das wäre toll! Ein Podcast von Dir, liebe Uta!
Wow, das berührt mich jetzt sehr, weil ich in den vergangenen Tagen auch den Gedanken hatte: Warum nicht auch Podcasts machen?
Danke euch für den Anstupser!??
Ja, das ist schön! Mein Beispiel: Ich komme aus einer fröhlich-lauten, Familie, ich lade meine Batterien mit anderen Menschen auf.
In der Familie meines Mannes geht es eher leise zu, und ihm ziehen andere Menschen Energie.
Jetzt versuchen wir es in den letzten Jahren als Familie mit Kindern mit einer Mischung aus beidem.
Durch ihn habe ich entdeckt, was für eine Kraftquelle darin, liegt, nicht immer nach außen hin orientiert zu sein, sondern einfach unspektakuläre Zeit zusammen als Familie zu verbringen – ohne Termine, andere Menschen, große Vorhaben.
Liebe Esther, wie schön, dass du auch noch ein Beispiel beisteuerst. Das freut mich sehr! Danke und liebe Grüße!
Hat noch jemand ein Beispiel?
Ah, jetzt fällt mir noch eines ein. Ich hatte lange Zeit den Vorwurf an meinen Mann, dass er Geld mag, bis ich erkannte, wie genial es ist, was ich auf diesem Gebiet alles von diesem großherzigen Menschen lernen kann. Denn Geld bietet so viele Möglichkeiten … vor allem auch Gutes zu tun.
Hallo Uta,
mir fallen keine Beispiele ein… wir reiben uns als Paar ziemlich aneinander, sind ziemlich verschieden. Ich habe gemerkt, wenn ich ihn machen lasse, dass er sich „rauszieht“, weil er seine Akkus nur alleine ohne Kinder laden kann, dann habe ich letztlich mehr davon, als wenn ich ihm grolle, dass er mich „wieder mit der Brut alleine lässt“ (so fühlt es sich ehrlicherweise doch manchmal an).
Außerdem bewundern mich meine Freundinnen für meinen Langmut 😉
Ich höre regelmäßig einen Podcast, das ist Die Wochendämmerung von Katrin Rönicke und Holger Klein. Beide nicht mehr ganz sooo jung – aber darin geht es eher um gesellschaftlich-politische Themen, nicht um Lebensberatung. Naja, irgendwie schon. Also inspirierend allemal, aber auf andere Art.
Herzlichst grüßt die SteffiFee
oh doch, ich habe ein Beispiel:
Mein Mann ist ein Jäger und Sammler. Vor allen Dingen Sammler. Er sammelt Weißblechdosen (also Henkelmänner und so was), alte Quartettspiele, er liebt Projekte wie Selbstversorgung und bereitet sich nicht nur mental und durch die Erweiterung unserer Bibliothek zu einschlägigen Themen auf die Folgen eines Hackerangriffs vor, der die Stromversorgung lahm legen wird (a la Black out).
Ich verfolge das mit mildem Interesse und viel Freude – und du glaubst ja nicht, wie amüsant es sein kann, darüber mit meinen Freundinnen zu sprechen (ja, auch da wird mein Langmut bewundert, denn schließlich habe ich jetzt keinen Vorratskeller mehr, dafür aber wegen der Solaranlage einen Technikraum). Vielleicht mache ich dazu mal einen Blog 😉
Und wer weiß: Die nächste Cyberattacke kommt bestimmt….
Liebe Uta,
Danke für diesen Artikel. Er kam irgendwie zur richtigen Zeit. Ich hatte erst eine Krise mit meinem Mann, obwohl wir dieses Jahr 10 Jahre verheiratet und fast doppelt so lange zusammen sind.
Ich habe mich null darauf gefreut. Bis wir unsere Sache geklärt haben und dann dein Artikel kam. Er inspiriert mich für eine Lobrede an die Ehe und Familie, die allem trotzen kann, sofern man bereit ist, sich wahrhaftig auf einen anderen Menschen einzulassen. Ich danke Dir!!
Jetzt haben wir unser Leben ein bisschen auf den Kopf gestellt und es fühlt sich großartig an, das mit meinem Mann zusammen zu tun (anstatt alternativ meine eigenen Wege zu gehen). :-))
Danke für die Inspiration!
Viele Grüße
Liebe Marie, ich freue mich riesig über deine Rückmeldung! ??
Liebe Uta, in dem Post in dem Du ueber euer zweites Standbein in Muenchen erzaehlt hast, hast Du Dich gefragt welche Themen jetzt wohl dran sind. Die Kinder sind aus dem Haus, … . Und da dachte ich sofort an Partnerschaft!
Wir kaempfen uns gerade aus 10 schwierigen Jahren heraus, wir sind 25 Jahre zusammen, haben zusammen acht Kinder (Pachtwork) eine Großfamilie, und sind schon 17 Jahre lang Grosseltern von inzwischen 16 Enkelkindern. Da gibt es immer etwas zu bewaeltigen!
In diesen 10 Jahren habe ich viel gelesen, Zurhorst, David Schnarch, ueber Tantra …. und ich habe mich immer wieder daran erinnert wie viele schöne Zeiten wir schon hatten. Vor zwei Wochen gab es einen Durchbruch, in der zweiten Paartherapie, jetzt ist es wieder da, das Wissen um was uns verbindet.
Danke! Birgit!