Warum die Art unserer Kommunikation so großen Einfluss auf die Familien-Stimmung hat.

Jetzt bin ich fast durch mit dem Buch „Die neue Familienkonferenz“ von Thomas Gordon und muss sagen, dass es mir nach fast 300 Seiten zu „psycho“ wird. Besonders das Kapitel über das „Aktive Zuhören“. Ihr wisst schon, diese Methode, bei der man wiederholt, was der andere gesagt hat, um sicher zu gehen, dass man es richtig verstanden hat, und um zu erreichen, dass der andere sich öffnet.
Gordon gibt als Beispiel das Gespräch zwischen einem Vater und seiner Tochter Sally. Hier ein Ausschnitt:

Sally: Es gibt da diese Gruppe, die sind die besten Schülerinnen in der Klasse. Sie sind auch die beliebtesten. Ich möchte so gern zu dieser Clique gehören. Aber ich weiß nicht wie.
Vater: Du möchtest gern zu diesen Mädchen gehören, aber du weißt nicht, wie du das hinkriegen könntest.
Sally: Genau. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie man als Mädchen in diese Clique kommt. Sie sind nicht sehr hübsch- jedenfalls nicht alle. Sie haben auch nicht immer die besten Noten. Manche in der Gruppe sind sehr gut, aber die meisten haben schlechtere Noten als ich. Ich weiß einfach nicht.
Vater: Du rätselst herum, wie man es schafft, in diese Gruppe zu kommen.

(Thomas Gordon: Die neue Familienkonferenz. München 2014, Seite 265)

Prinzessin (14) meinte vor ein paar Tagen: „Ich kann dem Fach Chemie für mein Leben einfach nichts abgewinnen.“
Wenn ich darauf sagen würde: „Du meinst also, was du in Chemie lernst, würde dir für die Zeit nach der Schule nichts bringen“, würde Prinzessin aus der Haut fahren: „Hast du es an den Ohren?! Das habe ich doch gerade gesagt.“
Ich will nicht ins Lächerliche ziehen, was Thomas Gordon und andere humanistische Psychologen in die Welt gebracht haben. Das waren Pioniere. In der Therapie den Klienten in den Mittelpunkt zu stellen und ihm nicht die eigenen Ideen und Deutungen überzustülpen – diese neue Ausrichtung war ein Meilenstein in der Entwicklung der Psychotherapie.
Gordon wollte diese neue Ausrichtung auch in die Familie bringen und erreichen, dass sich Eltern und Kinder besser verstehen. Und auch wenn mir das mit dem „aktiven Zuhören“ zu sehr ins Therapeutische geht, kann man davon doch einiges mitnehmen.
Zum Beispiel, dass Mütter und Väter sich erschrecken, wenn man aufzeichnet, wie sie mit den Kindern reden und es ihnen vorspielt. Manche merken, dass sie wie ihre eigenen Eltern klingen. Häufig ist es vom Unterton her tadelnd, misstrauisch, besserwisserisch, genervt, vorwurfsvoll, herablassend oder moralisierend.
Gordon nennt das „die Sprache der Nichtannahme“. Meistens sprechen wir diese Sprache fließend, merken es gar nicht mehr und wundern uns, warum es zu Hause nicht funktioniert und die Stimmung häufig so schlecht ist.
Kronprinz (17): „Ich möchte mir von meinem Geld eine Uhr kaufen.“
Uta: „Ist das nötig? Du hast doch eine. Willst du dir dein Geld nicht lieber für etwas anderes aufheben?“ (Vorwurf der Verschwendung, leicht moralisierend)
Ich hatte diese Reaktion im Kopf. Aber weil ich gerade „Die neue Familienkonferenz“ gelesen hatte, habe ich mir obige Reaktion verkniffen. Folgendes passierte:
Kronprinz (17): „Ich möchte mir von meinem Geld eine Uhr kaufen.“
Uta: „Ach, ja.“
Kronprinz: „Du weißt ja, dass ich schon länger für ein Modell schwärme. Und meine alte Uhr habe ich zum Geburtstag bekommen, als ich 13 war. Dieses Plastikteil passt einfach nicht mehr zu mir. Können wir heute ins Einkaufszentrum fahren. Dann zeige ich dir mal meine Traumuhr.“
Uta: „Heute schaffe ich es nicht mehr. Vielleicht in den nächsten Tagen.“
Tatsächlich sind wir am Ende der Woche zusammen zum Einkaufen gefahren. Vor dem Uhrengeschäft trafen wir einen Freund von Kronprinz, der seiner Mutter gerade die gleiche Uhr gezeigt hatte. Der Verkäufer musste lachen, als er die Glasvitrine aufschloss. „Die ist noch körperwarm von deinem Vorgänger.“
Bis heute hat sich unser Sohn nicht entschlossen, ob er sich wirklich diese Uhr kauft. Wir hatten aber ein paar schöne Momente zusammen und er hat mich an seinen Wünschen teilhaben lassen. Das wäre sicher nicht passiert, wenn ich die Wertungen, die mir durch den Kopf ratterten, gleich abgefeuert hätte.

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Abendstimmung an der Elbe

Ich muss ja nicht wie beim „aktiven Zuhören“ à la Gordon die Sätze wiederholen, ich muss auch nicht so ein schwammiges Verständnis für alles und jeden an den Tag legen. Ich kann und sollte Position beziehen, Standpunkte haben, die von denen meiner Kinder abweichen. Aber es ist ungemein hilfreich, im Oberstübchen nicht die erstbeste Schublade aufzuziehen und da sofort hineinzupacken, was die Kinder tun oder sagen.
Eine Sprache zu sprechen, durch die sich die Kinder erst einmal angenommen fühlen, so wie sie sind, gehört auch zur Erziehung des „3. Stils“ nach Gordon, wie ich es im Post davor schon angefangen hatte zu beschreiben.
Immer fröhlich zuhören und nicht vorschnell urteilen und abwerten.
Eure Uta
PS: Habt ihr schon gesehen: die Liste mit meinen Lieblings-Blogs ist jetzt wieder danach sortiert, wer zuletzt etwas gepostet hat?

  • Meine liebe Uta,
    Frühstück mit einem deiner Artikel beenden – so sieht ein wahrhaft gelungener Morgen aus! 🙂
    Ich kenne das Buch von Herrn Gordon noch aus meinen (sehr viel) früheren Alleinerziehenden-Zeiten. Und habe die Methode des „Aktiven Zuhörens“ damals auch sofort angewandt. Hat (bei meinem sehr stillen Sohn) nicht schlecht funktioniert, muss ich sagen; wenngleich ich bis heute nicht weiß, ob er mich damals deshalb für einen Volltrottel hielt. 🙂
    Fakt ist aber: Ich habe und hatte ähnliche Probleme mit diesem ständigen Wiederholen und bin mir sicher, dass meine beiden Kleinen heute ähnlich reagieren würden wie deine Prinzessin.
    Was ich aber beibehalten habe, sind klitzekleine Spiegelungen à la:
    „Ich kann dem Fach Chemie für mein Leben einfach nichts abgewinnen.“
    „Du magst Chemie nicht? Warum? Zu kompliziert? Hast du das Gefühl, du wirst es nie mehr im Leben brauchen? Oder ist einfach nur die Lehrerin blöd? 😉 „…
    Der Beginn ist eine Wiederholung des vorher Gesagten (und dabei merke ich jedes Mal wieder, wie so eine Wiederholung die Kinder „auf macht“), die Äußerung beschränkt sich aber nicht lediglich darauf.
    Nun mögen die Gelehrten sagen: Jaaaa – du gibst ja gleich mal wieder die Antworten vor und schickst die Gedanken und Antworten damit in eine schon vorgegebene Richtung.
    Ja, mag sein, dass die Methode einem Psychologischen Test nicht standhalten würde, aber sie funktioniert hier bestens und das reicht mir dann. 🙂
    Denn ich kenne auch die Situation mit dem Video, von der du oben schreibst: Wegen der großen Abneigung meiner Tochter dem Kindergarten gegenüber waren wir damals sogar bei der Erziehungsberatung; wir wussten uns einfach nicht mehr zu helfen. Die Dame dort riet mir genau dazu: Eine Video-Aufzeichung anzufertigen von einer ganz normalen Alltagssituation zu Hause, um die Kommunikation zwischen uns zu studieren. Ich habe damals das Mittagessen mit den Kindern gefilmt. Und war ENTSETZT! Über mich und meinen rauen Gouvernanten-Ton. Himmel, von innen fühlte sich das ganz anders an! 🙁
    Ich kann jedem nur empfehlen, so was mal zu machen … es öffnet einem wirklich die Augen und könnte einiges in Gang setzen …
    (Wir haben meine Tochter damals übrigens ganz aus dem Kindergarten genommen, auch wenn mir jeder prophezeit hat, das Kind würde mir später deshalb ständig auf der Nase rumtanzen und außerdem bei Schuleintritt mördergroße Probleme haben. Nichts davon ist eingetreten. 🙂 Danke, liebe Erziehungsberatungstante !)
    Wünsche dir einen fröhlichen Tag!
    Susi

    • Liebe Susi, vielen Dank für deine tolle Rückmeldung und deine eigene Geschichte zu dem Thema! Wahrscheinlich funktioniert so ein bisschen spiegeln am besten. Viele Grüße, Uta

  • Liebe Uta,
    (Es herrschen wieder einmal rauhe Zeiten bei uns, und da bist Du wirklich erneut ein Teil der Lösung. Ein zig-tes Danke.)
    Ich kann mich dem hier nur anschließen. Zu therapeutisches Reden kommt mir nur über die Lippen, wenn ich mich voll darauf konzentriere, und das wirkt dann künstlich und löst bei den Kindern befremden aus.
    Was bei uns immer wieder hilft, ist der Blick, den ich dem Kind zuwende, wenn es etwas an mich heranträgt. Etwas runter auf Augenhöhe und zugewandt und interessiert angucken. Das wirkt wie ein Wasserhahn: ich muss oft gar nichts sagen, es sprudelt dann aus dem Kind heraus. Meine Antwort wird dann auch viel ernster genommen und nicht selten bekomme ich zum Abschluss einen Kuss.
    Und außerdem fühle ich mich selbst viel besser dabei. Wie oft schaut man schon im Trubel des Alltags seine Kinder direkt an und sieht ihre Gesichtchen, den Ausdruck in den Augen, das Wesen des Kindes und nicht nur seine Funktionsfähigkeit.
    Schaffe ich natürlich auch nicht immer mit meinen dreien (7,7 und 3 Jahre alt). Aber immer, wenn ich das tue, bin ich hinterher sehr zufrieden mit mir und meinem Kinde.
    Charlotte aus Brüssel

  • Liebe Uta,
    ich habe den Ursprungs-Gordon gelesen und ich fand es inspirierend. Aber man sollte es in jedem Fall mal in Alltagssituationen ausprobieren, weil so theoretisch klingt es seltsam. In einer Fortbildung zum Thema Elterngespäche begannen wir mit der Partnerübung unserem Kollegenpartner 5 Minuten zuzuhören ohne eine Meinung oder Stellung zu beziehen. Danach durfte man nur Verständnissfragen stellen und bis heute bin ich fasziniert was mir der sonst eher verschlossene Kollege alles preisgegeben hat. In der Familie haben wir das getestet mit „jeder hat x -Minuten freie Redezeit und wird nicht unterbrochen“ aber das ist so eine Sache. Wenn die Beziehung im argen liegt, dann sind Techniken eben Techniken. In dem Zusammenhang finde ich übrigends diese List mit 30(?) Fragen toll nach denen man sich verliebt (geistert durchs Internet) und ich finde Fragen können auch was tolles sein. Aber Redenlassen und zuhören sind unterschätzte Fertigkeiten in jedem Fall.
    Schlussendlich wünschen sich die Kinder aber am Ende trotzdem, dass man als Eltern Stellung bezieht. Aber eben als „persönliche meinung“ oder Ich-Botschaft. Mein Mann hat Rosenberg gelesen (Gewaltfreie Kommunikation) und der lässt dann gerne die Kinder 5 Minuten reden und sagt dann gar nichts dazu. Das fühlt sich für Den der geredet hat auch blöd an. Ein bisschen wie wenn man sich vor einem Arzt nackig macht und der nur „Hm, hm hm“ murmelt und sonst keine Aussage/Diagnose macht.
    LG
    Coreli

  • Als Lehrerin für Erziehungswissenschaften und Deutsch versuche ich seit einigen Jahren meinen SchülerInnen die Methode des aktiven Zuhörens zu vermitteln… und bin zu Beginn auf noch größere Widerstände gestoßen, als du sie beschreibst. Mir hat selbst der Tipp sehr geholfen, nicht bloß wortwörtlich zu wiederholen, sondern zu versuchen, die Gefühle des anderen zu verbalisieren. Und das funktioniert erstaunlich gut, denn der andere fühlt sich verstanden … oder korrigiert meine Einschätzung (z.B. wütend statt ängstlich). Nach Schulz von Thun würde das bedeuten, nicht auf dem Sachohr, sondern dem Selbstoffenbarungsohr zu hören, um herauszufinden, was der andere über sich aussagen möchte.
    Bei deiner Tochter würde ich vielleicht sagen: „Du fragst dich, warum du dich überhaupt mit Chemie beschäftigen musst?“ oder „Du hast Angst vor schlechten Noten, weil du für dich einfach keinen Bezug zu Chemie kriegst?“ „Du fragst dich, was dir Chemie bringen soll… oder könnte?“
    Bei deinem Sohn kommt es auf den Tonfall an, in dem er den Satz sagt. „Du willst meinen Rat?“ wäre nach dem Fortgang deiner Geschichte wohl eine mögliche Umschreibung, deine ganz offene Antwort finde ich an der Stelle aber sogar besser.
    Man läuft vielleicht Gefahr ein wenig zu interpretieren, aber meine Erfahrung ist eher, dass derjenige, der erzählt, die Impulse dankbar aufgreift (oder ablehnt, das ist fast egal, denn der Effekt ist ähnlich) und man ihm dann in der Folge beim Nachdenken zuschauen und zuhören kann. Und das ist das wichtige: die Person öffnet sich weiter und kommt bestdnfalls selbst zu einer Lösung.
    Und auch meine SchülerInnen, die angehende ErzieherInnen sind, melden mir nach ihrem Praktikum meist zurück, dass es auf diese Weise gut funktioniert und die Kinder nur so lossprudeln.
    Und: als aktive Zuhörerin fühlt es sich papageiartiger an als für diejenige, der zugehört wird!
    Tja, und auch wenn ich glaube, dass ich mittlerweile ganz gut aktiv zuhören kann, im
    Alltag ertappe ich mich auch immer wieder dabei, zu ermahnen, zu moralisieren, zu werten, kurz: bei der Nichtannahme. Seufz. Daher danke für deinen Beitrag, der mich erinnert, dass ich das, was ich kann, auch anwenden sollte.
    Und wie eine Kommentatorin ertappe ich mich auch immer wieder dabei, dass ich meine Kinder im Alltag zu oft gar nicht richtig anschaue, wenn ich mit ihnen rede… und das, obwohl ich merke, wie sich die Kommunikation verändert, wenn ich es tue: Wie in den kleinen Gesichtchen die Sonne aufgeht, wie wir beide viel ernsthafter und aufrichtiger und offen für das Wesentliche werden… und vielleicht ist das wie immer das Wesentliche: nicht die Technik, sondern die Haltung, mit der ich sie lebe… und die Beziehung zum anderen.
    Liebe Grüße,
    Ringelrose

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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