Die Anstrengung würdigen, nicht das Talent
In der Serie ging es bisher um folgende Themen:
1. Folge: Das Problem benennen und zusammen eine Lösung finden
2. Folge: Sich als Team begreifen
3. Folge: Dem Kind helfen, Wiedergutmachung zu leisten
Heute lautet das Thema: Die Anstrengung würdigen, nicht das Talent
Vor wenigen Tagen sah ich hinaus auf ein Beet, in dem seit vielen Jahren ein paar struppige Sträucher wachsen. In jedem Sommer fällt der Dickmaulrüssler über sie her, so dass ihre Blätter ganz löcherig sind. Im März möchte ich das Beet neu gestalten. Alle Büsche müssen ausgegraben und die Erde erneuert werden. „Wie soll ich das schaffen?“, fragte ich mich. Plötzlich fiel mir ein Satz von Ursula von der Leyen ein. Die Präsidentin der Europäischen Kommission hatte in einer Rede Fehler bei der Besorgung von Corona-Impfstoffen eingestanden und versprochen, mit neuer Kraft gegen das Virus zu kämpfen. „Das wird ein Marathon“, sagte sie, aber wir würden es gemeinsam schaffen.
Ich weiß nicht mehr, wie ich von meinem trostlosen Beet gedanklich im EU-Parlament gelandet war. Aber das Stichwort „Marathon“ machte mir Mut. Auch mein Mann sagt immer“ „Das Leben ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“ Und das mit dem Beet kann ich Schritt für Schritt angehen wie einen langen Lauf.
Studien der US-amerikanischen Psychologin Carol Dweck haben gezeigt, dass auch Kinder sehr viel motivierter lernen und arbeiten, wenn wir ihre Anstrengung loben und nicht ihre Begabung. Dweck teilte Schüler in zwei Gruppen auf. Beide Gruppen erhielten ein Blatt mit mathematischen Aufgaben. Nach der Auswertung wurde den Kindern der ersten Gruppe gesagt, sie müssten sehr klug sein, weil sie richtige Lösungen gefunden hatten. Bei den Kindern der zweiten Gruppe würdigte man ebenfalls die erreichte Punktzahl, sagte aber zusätzlich so Sätze wie: „Du musst wirklich hart gearbeitet haben.“ Oder „Alle Achtung! Du bist bis zum Ende konzentriert dabei geblieben.“ Oder „Du hast nicht aufgegeben und auch bei der letzten Rechnung noch eine Lösung gefunden.“
Danach fragten die Forscher alle Kinder, wer ein weiteres Blatt mit noch schwierigeren Aufgaben bearbeiten wollte. Und es meldeten sich die Schüler, die man für ihre Anstrengung gelobt hatte, nicht die „Begabungs-Gruppe“ . („Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“, Seite 143/144)
Eigentlich logisch. Wenn mich jemand für mein Talent lobt, gehen mein Gegenüber und ich von etwas Angeborenem aus, auf das ich keinen willentlichen Einfluss habe. Bekomme ich dann eine Aufgabe gestellt, bei der ich dieses Talent erneut unter Beweis stellen muss, könnte ich Angst entwickeln, es diesmal nicht zu schaffen und meinen Status zu verlieren.
Erinnert mich aber jemand daran, was ich schon durch Anstrengung oder Durchhaltewillen alles erreicht habe, bin ich motiviert, mich einer neuen Aufgabe zu stellen. Mein schlummerndes Talent kann ich vielleicht nicht auf Kommando wach kitzeln, aber anstrengen kann ich mich jederzeit. Das ist eine Willenssache.
Als ich bei Joanna Faber und Julie King über die Forschungen der Stanford-Professorin Dweck las, erinnerte ich mich an ein weiteres Ergebnis ihrer Arbeit: es ist wichtig, Schülern zu vermitteln, dass Intelligenz wie ein Muskel trainiert werden kann. Viel zu schnell wird ein Kind entmutigt und denkt „Ich bin einfach zu dumm dazu!“, wenn es eine Aufgabe nicht lösen kann. Deshalb ist es sehr hilfreich, ihm zu erklären, dass sich beim Üben im Gehirn die Synapsen verstärken, die „Leitungen“ immer dicker werden und man bei jedem Lernen klüger wird.
Der Hirnforscher Manfred Spitzer hat einmal das Bild von einem Schneefeld verwendet*, um die Bildung von immer stärker werdenden Synapsen zu erklären. Wenn sich in einem verschneiten Park in der einen Ecke ein Glühwein-Stand befindet und auf der anderen Seite ein Toiletten-Häuschen, so wird der Weg im tiefen Schnee dorthin durch Benutzung immer breiter. Und auch wenn der Glühwein-Verkäufer seinen Stand am nächsten Tag ein paar Meter neben der ursprünglichen Stelle aufbauen wird, werden die Menschen die ausgetretenen Pfade nutzen. Genauso ist es mit den Synapsen im Gehirn: sie werden bei Benutzung immer dicker, die Signale fließen immer schneller dadurch.
Carol Dweck
„Schüler müssen die Plastizität ihres Gehirns erleben. Wer einen plastischen Begriff von Intelligenz hat, glaubt an das Lernen und an den Wert der Anstrengung. Wenn man dagegen meint, Intelligenz sei eine vorgegebene Größe, lässt die Anstrengungsbereitschaft nach.“ **
Was können wir aus all dem ableiten, wenn wir unser Kind beim Lernen unterstützen wollen:
Mein Gratis-Coaching hat Rini gewonnen. Liebe Rini, ich gratuliere herzlich und freue mich auf unser Gespräch. Bitte trage dich in meinem Coaching-Kalender für einen Termin bei mir ein.
Immer fröhlich die Anstrengung loben und nicht das Talent,
Eure Uta
PS: Die Idee, die Anstrengungen zu loben und Kindern die Formbarkeit von Intelligenz zu vermitteln, stammt ursprünglich nicht von Faber und Mazlish. Trotzdem erscheint dieser Beitrag als Teil der Faber&-Mazlish-Serie, weil ich durch das Buch „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“ wieder an die Motivations-Forschungen der Stanford Professorin Carol Dweck erinnert wurde.
Das Titelbild ist von Olia Danilevich von Pixels.
* aus: Micha Brumlik (Hrsg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Weinheim und Basel, 2007, Seite 176
** zitiert in: Adolf Timm: Die Gesetze des Schulerfolgs. Seelze-Velber 2009, Seite 71
Hallo Uta, danke für diesen Beitrag. Das war mir in der Tat völlig neu, klingt aber durchaus logisch. Das wird auf jeden Fall Eingang in unseren Alltag finden. Vielen herzlichen Dank dafür.
Liebe Jenny, vielen Dank für deine Rückmeldung! Herzliche Grüße, Uta
Liebe Uta,
wieder mal ein grandioser Artikel zu einem so wichtigen Thema. Hab vielen Dank, dass du immer wieder neuste pädagogische und neurobiologische Erkenntnisse hier leicht verständlich erklärst.
Genau nach dem von dir beschriebenen Prinzip spreche ich schon seit vielen Jahren mit meinen Schüler:innen. Sie alle haben einen Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen und haben meist schräge Schulkarrieren hinter sich, ehe sie zu uns ans Förderzentrum kommen. Durchhalten haben sie oft nie gelernt und wir gehen es extrem kleinschrittig an. Anfangs sind sie verwundert, dass ich immer genau erkläre, warum ich Sachverhalte genau auf diese oder jene Art mit ihnen lerne. Und ich nutze ebenfalls das Schneespuren-Bild zur Verdeutlichung. Aber wenn ich sie dann geknackt habe und die ersten Erfolge spürbar sind, macht es riesig Freude, gemeinsam zu lernen.
Ich freue mich auf viele weitere solcher Beiträge, denn du erreichst damit so viele interessierte Menschen. Und auch wir lernen immer wieder gern neues.
Viele Grüße,
Claudia
Liebe Claudia, ganz herzlichen Dank für deine Rückmeldung! Wie cool, dass du das Schneespuren-Bild auch nutzt. Danke, dass du von deinen eigenen Erfahrungen mit Schülern schreibst! Die Strategie der kleinen Schritte ist bestimmt sehr hilfreich. Viel Freude und Erfolg bei deiner wichtigen Arbeit wünscht dir Uta
Oh, da freue ich mich riesig auf das Coaching! Vielen Dank 🙂