Kurz vor Beamen 

 29/03/2016

Warum es wichtig ist, Bedürfnisse auch mal aufzuschieben.

Jetzt ist mir zweimal in kürzester Zeit der Gedanke begegnet, dass man lernen muss, Frust auszuhalten.
Sally, der junge Hund meiner Cousine, muss das. Also steht meine Cousine mit ihm an der Hundewiese. Sally angeleint, meine Cousine angewurzelt. Und auf der Wiese im Sonneschein toben die anderen Welpen aus der Hundeschule. Lefzen und Ohren fliegen. Blätter wirbeln. Aber meine Cousine und ihr Hund stehen am Rand wie erstarrte Linienrichter und halten Frust aus. Das hat ihnen die Hundetrainerin verordnet. Sally ist zu ungestüm und muss lernen, dass es im Hundeleben nicht alles immer sofort gibt.
Jetzt kommen wir zu einem Thema, das auf dem ersten Blick nichts damit zu tun hat: Was sind die Voraussetzungen für einen guten Schulstart? Ich meine Menschen-Schule, iMännchen und iWeibchen, Lesen, Schreiben und Rechnen lernen und vieles mehr.
Um diesen Post auf grundsolide Füße zu stellen, habe ich vor Wochen die bloggende Grundschullehrerin Frau Weh zu dem Thema befragt. Sie ist in mehrfacher Hinsicht Expertin für dieses Thema: sie hat selbst ein Vorschulkind und eine eigene zweite Klasse und sie ist an ihrer Schule mit für den Einschulungstest zuständig.
In ihrer Mail an den Katzenklo-Blog hat mich besonders folgender Aspekt beeindruckt:

„Ein Kind muss auch einmal warten können und sollte sich nicht mehr als Nabel der Welt sehen. Bei mir sitzen 31 Kinder in der Klasse. Die größten Probleme mit dieser Klassenstärke haben ganz klar die Kinder, um die sich in ihrer bisherigen Erfahrung die ganze Welt gedreht hat ;-).“

Siehst du, Sally, du bist nicht die einzige, die lernen muss, Frust auszuhalten!
Für mich ist das ein heikles Thema. Fällt es uns allen nicht schwer, mal zu warten oder Wünsche zurückzustellen bei unserem enormen Lebens- und Bedürfnissbefriedigungstempo heute?
Da summt schon wieder das Smartphone, weil eine Nachricht einging, und ich kann es nicht lassen, schnell zu gucken, worum es da geht. Dabei hatte ich mir selbst verordnet, bis zum Abend nicht mehr online zu sein. So fahrig war ich in letzter Zeit, dass ich mir meine Konzentration nicht immer von neuen Nachrichten zerschießen lassen wollte.
Vielleicht ist es auch deshalb für Kinder heute schwierig, Frust auszuhalten, weil wir in einer Welt leben, in der es alles immer sofort zu geben scheint. Für Kronprinz hatte ich am späten Nachmittag einen Stift mit Gravur im Internet bestellt. Am nächsten Morgen war das Päckchen da. Hallo? Das ist ja kurz vor beamen.
Kinder erleben heute von klein auf, dass ihre Eltern fast jede Tätigkeit unterbrechen, um schnell ihre Nachrichten zu checken.  Sie erfahren, dass ihre Eltern dieses Bedürfnis oft nicht mal für wenige Minuten aufschieben können. Ich kann mich da nicht ausnehmen. Auch mich hat das Nachrichtenfieber voll erwischt. Zwanghaft muss ich gucken, wer hier kommentiert hat, auf welchem Rang mein Buch bei Amazon steht, wer auf Facebook seinen Status verändert hat (Ich meine „Status“, es könnte sein, dass jemand, den ich kenne nicht mehr „in Beziehung“ ist. Das muss ich wissen. Sofort!). Nur gut, dass ich das noch nicht hatte, als meine Kinder klein waren.
Vielleicht ist deshalb die wertvollste Vorbereitung für den Schulstart unserer Kinder, dass sie Eltern erleben,

  • die ihre Bedürfnisse aufschieben können und zum Beispiel ohne Handy mit ihnen Zeit verbringen,
  • die sie mit Frust beschenken (mal einen längeren Fußmarsch mitmachen; warten können, bis sie eine Antwort erhalten; sich nicht bei einem Telefonat von ihnen unterbrechen lassen …)

Schafft ihr Phasen ohne Smartphone oder sonst irgendeiner Verbindung zum Internet? Wenn ja, wie lange? Und was hilft euch, das Bedürfnis online zu sein, aufzuschieben?
Kommen eure Kinder damit klar, nicht immer im Mittelpunkt zu stehen?
Immer fröhlich auch mal in den Flugmodus gehen (beim Handy, meine ich)
Eure Uta

  • Spätestens wenn man grössere Kinder hat und Regeln einführen will und dabei merkt, dass man sich selber nicht daran halten kann, hat man ein Problem.
    Wir sind die Vorbilder unserer Kinder. Es tut gut sich und seine Abhängigkeit zu prüfen. Entzug tut weh, aber er lässt ein Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung zurück, dass ich nicht missen möchte. Seid mutig und stark!

  • Liebe Uta,
    mir selbst fällt es schwer, Dinge warten zu lassen. Wenn ich z.B. eine Idee für das nächste Strickprojekt habe, obwohl ich mit dem aktuellen noch Tage oder Wochen beschäftigt bin, mache ich mich sofort auf die Suche nach einer Anleitung und Wolle. Eines nach dem anderen fällt mir schwer. Kommt mir ein Gedanke oder eine Frage in den Sinn, versuche ich gleich, mehr Informationen über das Internet zu finden. Mir fällt es schwer, mich im Sumpf der ständigen 1-click-Verfügbarkeit von Waren und Informationen auszubremsen.
    Es ist also schon so, dass das Thema „Abwarten“ hier Thema ist. Für mich bezüglich Selbstdisziplin und die Vorbildfunktion, aber auch für die Herzbuben, z.B. wenn sie mich während eines Telefonats oder Gesprächs unterbrechen oder „können wir mal wieder xyz kaufen“ oder dringend einen Hund brauchen.
    Wenn ich mit den Herzbuben spiele, esse oder im Wartezimmer sitze, bleiben Handy, Telefon und andere Medien tabu.
    Insgesamt fruchten meine Bemühungen noch nicht gut, telefonieren ohne Unterbrechung klappt noch nicht und auch nicht, nacheinander zu sprechen, den anderen ausreden zu lassen etc.
    Wann können Kinder eigentlich lernen, dass andere Menschen eigene und ganz andere Bedürfnisse haben als sie selbst? Ich glaube, bei dem großen Herzbuben ist wegen seines Autismus‘ die Wahrnehmung dessen stark verzögert oder eingeschränkt. Aber müsste es bei dem kleinen Herzbuben die Wahrnehmung schon vorhanden sein?
    Liebe Grüße und danke für die Anregung,
    Frieda

  • Ein interessantes und sehr wichtiges Thema!
    Ja, auch ich finde es für Kinder – spätestens ab dem Kindergartenalter – ungeheuer wichtig, sich mit Geduld, Durchhaltevermögen und Rücksichtnahme vertraut zu machen und sich darin zu üben. Dafür muss meiner Meinung nach aber unbedingt eine Phase vorausgegangen sein, in der alle Bedürfnisse, wann immer möglich, sofort und vollständig befriedigt worden sind – nämlich in der Säuglingszeit. So können die Kinder das nötige Urvertrauen entwickeln und werden nicht auf ständige Alarmbereitschaft gepolt: „Komme ich etwa zu kurz? Ist mein Leben in Gefahr?“.
    Wir haben zwei Jungs, 4 und 2 Jahre alt. Der größere kann mittlerweile sehr gut warten und aushalten – er macht mit uns anstrengende Tageswanderungen (fröhlich, ohne zu jammern!), er bewahrt sich Schokolade, wenn er denn mal zu einem besonderen Anlass etwas davon bekommt, wochenlang auf, und wenn ihn etwas wurmt, sagt er: „Ich bin darüber sehr traurig – aber so ist das eben.“
    Unser kleiner Sohn ist dagegen das ungeduldigste Kind, das man sich vorstellen kann: Wird ein spontaner Wunsch von ihm nicht in Null-komma-Nix befriedigt, wirft er sich auf den Boden und weint bitterlich! Dies hält zum Glück nie lange an, aber, nein, von Frustaushalten bisher keine Spur!
    Ob das hauptsächlich mit seinem zarten Alter zu tun hat? Oder doch auch sehr stark eine Frage der Persönlichkeit ist? Leider können wir uns nicht mehr so genau daran erinnern, wie unser größerer Sohn mit zwei Jahren war … und sind nun sehr gespannt, wie sich der Kleine weiter entwickelt! Schließlich haben beide Jungs als Säuglinge das gleiche ungetrübte Rundum-Sorglos-Paket erhalten und wurden, ab etwa anderthalb, gleichermaßen dazu angehalten, auch mal warten zu können.
    Ob wir Eltern unsere eigenen spontanen Wünsche gut aufschieben können? Jein. Manche Probleme haben wir nicht, weil wir sie uns gar nicht erst ins Haus geholt haben – z.B. besitze ich kein Smartphone, noch nicht mal ein funktionierendes Normalhandy und lebe sehr gut ohne. Und was die Internetbenutzung per Laptop betrifft: Bei mir steigt sofort das „Online-Bedürfnis“, wenn das Leben sonst nicht ganz rund läuft; es ist also eine Art Ersatzbefriedigung. Der lasse ich dann manchmal, sofern zeitlich möglich, auch einigermaßen freien Lauf, versuche dann aber möglichst bald die Schraube zu finden, an der gedreht werden muss, damit ich selbst wieder im Gleichgewicht bin: z.B. reale Kontakte pflegen, mehr schlafen, im wirklichen Leben kreativ sein (wie etwa im Garten) …
    Vielleicht gehört auch dies zum „Frusttraining“ mit Kindern dazu: Ihnen zu helfen, zwischen einem spontanen Wunsch und einem echten Bedürfnis zu unterscheiden; und immer wieder den Blick darauf zu lenken: Was brauche ich WIRKLICH, damit es mir gut geht? Und was ist nur Schein?
    Liebe Grüße!

  • Ja, ich kann das. Aber das musste ich lernen.
    Mein Handy ist oft tagelang aus, wenn ich nur zuhause bin. Im analogen Urlaub ist es nur am ersten Tag komisch, dann habe ich das Internet vergessen. Einerseits gut so, andererseits weist das auch darauf hin, wieviel Zeit man sonst im Alltag mit Tätigkeiten verschwendet, die offensichtlich entbehrlich sind.
    Ich werde öfter mal angeschnauzt, weil mein Handy aus ist, oder ich nicht sofort auf Nachrichten antworte (sofern sie nicht ultradringendes Antworten erfordern). Ich weise dann gerne darauf hin, dass ich nicht im Bereitschaftsdienst bei der Feuerwehr bin und keine Notwendigkeit und auch kein Auftrag besteht, dass ich 24 Stunden Gewehr bei Fuß stehe. Ein Smartphone und damit die theoretische Möglichkeit zur ständigen Kommunikation und Information zu besitzen bedeutet keine Pflicht zur ständigen Kommunikation und Information.
    Ab und zu analoge Urlaube zu verbringen hilft da beim Zurechtrücken der Prioritäten. Den Kindern übrigens auch.
    LG, Katja

  • Liebe Uta,
    die Lütte braucht sehr viel Aufmerksamkeit und fordert diese bei Nicht-Bekommen durch totales Quatschmachen. Kurz warten fällt auch schwer. Allerdings muss sie es trotzdem. Bei mir. Und wir sind schon immer ganz viel (auch längere Strecken) gelaufen. Das kennt sie.
    Ihr Papa erfüllt ihr schnell mal zwischendurch ihren Wunsch. Er ist da bei sich aber auch nicht anders. Und das Handy ist fast an der Hand angewachsen 😉
    Meins dagegen piept nur sehr selten. Er sagt immer, das liegt daran, dass er mehr Freunde hat 😉
    Ich lese dann abends gern Blogs (in letzter Zeit weniger und vor allem habe ich weniger Kommentare hinterlassen…), und da werde ich manchmal auch ganz hibbelig, wenn’s nicht schnell genug geht … Aber ich denke, ich kann mich ganz gut gedulden … Meistens 😉
    Liebe Grüße,
    Dorthe

  • Liebe Uta,
    als Grundschullehrerin kann ich nur sagen, dass dies Sich-geduldig-einer-Sache-Widmen und auch mal aushalten, wenn etwas nicht sofort klappt, bei den Schülern immer seltener vorhanden ist. Dabei ist es so wichtig, um die Grundfertigkeiten in den ersten Schuljahrgängen zu lernen. Vielen Kindern fällt es unglaublich schwer, sich konzentriert einer Sache zuzuwenden und diese, auch wenn sie vielleicht nicht immer Spaß macht (ordentlich schreiben, ausschneiden, anmalen zum Beispiel) zu Ende zu bringen. Leider gehören für alle Schüler auch unliebsame Tätigkeiten manchmal zum Schulalltag dazu. Dinge noch einmal zu überarbeiten oder an Aufgaben, die man nicht sofort versteht, dranzubleiben beispielsweise. Hier fehlt es vielen Kindern zunehmend an Ausdauer. Sicher manchmal auch an feinmotorischen Fähigkeiten. Doch die Bereitschaft, sich diese anzueignen, setzt wiederum voraus, geduldig zu bleiben und auch mal Frust auszuhalten, wenn es nicht sofort klappt. Die meisten Schüler aber erwarten, dass sie innerhalb kürzester Zeit zu den tollsten Ergebnissen kommen, die dann bitte auch entsprechend gewürdigt werden sollen. Ein „Ich glaube, das kannst du besser, probiere es noch einmal“ wird häufig mit Unmut aufgenommen. Die Mühe, sich etwas nach und nach anzueignen, fortwährend zu üben und bei der Sache zu bleiben, nehmen die Schüler nicht mehr gern auf sich. Aber ohne dies lernt man eben nicht wirklich gut lesen und schreiben. Die Erfahrung, dass man dafür über längere Zeit wirklich arbeiten muss, ist für viele Schüler neu. Ich habe den Eindruck, dass dies von den Eltern zu Hause zu wenig trainiert wird.
    Eine gute Möglichkeit übrigens, dies auch außerhalb der Schule zu üben, ist das Erlernen eines Musikinstrumente oder das Singen in einem Kinderchor. Oder natürlich der Sportverein. Und die Kinder nicht gleich abmelden, wenn es anstrengend wird, sondern zum Durchhalten anspornen.
    Liebe Grüße, Catja

  • Da muss ich doch mal widersprechen.
    Für den Hund geht es bei dieser Übung vorallem darum, zu lernen, dass der Hundehalter der Chef ist. Der Chef entscheidet, wann der Hund spielen darf und wann nicht, der Chef unterbricht das Spiel und der Chef lässt dann das Hundespiel wieder zu. Damit wird der Hund auch während dem Spiel abrufbar (damit der Hund aus eventuellen brenzligen Situationen geholt werden kann). Wenn der Hund deiner Cousine nach der Wartezeit spielen darf, vermute ich, dass er weiterhin ungestüm losziehen wird, aber er hat gelernt, dass deine Cousine entscheidet, wann er spielen darf.
    Dass Erstklässler eine Klasse von 31 Kindern besuchen müssen, finde ich ein absolutes Unding. Das ist doch für Lehrerin und Schüler unbefriedigend. Wenn Erstklässler unbedingt was wissen wollen, finde ich das lobenswert und der Lernwille sollte doch verstärkt werden.
    Klar ist es notwendig, sich auch mal hintenan stellen zu können, aber doch nicht, wenn es darum geht, Schulthemen wissen zu wollen oder zum Schulsport zu rennen.
    Mein Sohn ist in einer Klasse mit 16 Schülern, es ist eine erste Klasse. Da es zu viele Kinder für eine Klasse waren (über 30 Kinder) wurde eine zweite Klasse gemacht. Wieso klappt das in Deutschland nicht? (Wir wohnen in der Schweiz, in der man ja sehr wenige Steuern zahlt und es trotzdem möglich ist, zu grosse Klassen zu teilen).
    Manchmal denke ich mir, die Ansprüche an unsere Kinder orientieren sich zu sehr an dem, was eigentlich Erwachsene können sollten. Wie ich es erlebe, können zufriedene Kinder, deren Bedürfnisse befriedigt sind, sich sehr gut zurücknehmen.
    Ansonsten ist iPad und Co. bei uns kein Problem, da ich es nicht so permanent nutze und die Kinder es so ebenfalls lernen.

  • Hallo Uta,
    Ich lese deinen Blog erst seit Kurzem.
    Mir gefällt das Zitat der Lehrerin nicht.
    Meine Mutter musste ab und zu in die Schule kommen wegen meiner Schwester. Sie quatscht zuviel und stört etc. Im nächsten Schuljahr gab es wohl einige Wechsel, so dass auf einmal die Klasse kleiner war. Beim Elternabend hat die Lehrerin die Schüler gelobt. Es sei jetzt viel angenehmer…da hat sich meine Mutter schon gefragt: ist jetzt mein Kind unerzogen gewesen oder waren vorher einfach die Bedingungen beschissen. Ganz ehrlich…31 Kinder in einer Klasse ist furchtbar. In der Oberstufe hat es mich früher immer genervt, wenn Leute geredet haben. Das war mir zu viel: der Vorne quatscht die hinter mir…aaaahhhh! Da leiden wohl alle drunter. Vin mir aus die,die nicht warten können. Aber auch diejenigen die deren Gezappel ertragen müssen. Bei so einer Klassenstärke gibts keine Gewinner.
    Ich grusel mich zum Glück erst in fünf Jahren ; -)
    Und Handy: lautlos und am besten nicht mitnehmen, nicht in Reichweite.
    Viele Grüße

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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