Unter dem Eindruck eines Lernentwicklungsgespräches.
Anfang der Woche saß ich mit in einem Lernentwicklungsgespräch:
Ein Hamburger Gymnasium. Zwei Lehrer. Eine Mutter. Ein Sohn. Eine Versetzung, die gefährdet ist.
Der Sohn ist keiner, der Null Bock hat. Im Gegenteil. Die Lehrer aber sagen, er habe Schwierigkeiten im Kompetenzbereich 3. Das bedeutet, dem Schüler falle schwer, das Gelernte eigenständig anzuwenden.
Der Sohn berichtet von Blockaden in Prüfungssituationen, die Mutter von einem größeren Aufgebot an Nachhilfe-Lehrern, die gebucht wurden.
Ich sitze da und fühle mich hilflos. Ich will nicht wissen, wie der Schüler sich fühlt und seine Mutter.
Beide Lehrer sind freundlich, nehmen sich Zeit, sprechen hier von Grundlagen, die in Englisch fehlen, und dort von den Lücken in Latein. Und dass man realistisch bleiben müsse. Auch die Kollegen würden sagen, es hapere im Kompetenzbereich 3.
Ich will den Lehrern keinen Vorwurf machen. Wie stressig muss es sein, 30 Jugendliche in der Pubertät vor sich zu haben und sie zum Lernen zu motivieren. Der ständige Lärm, schwierige Vorgaben aus der Behörde und leider immer noch viel zu wenig Teamwork im Kollegium, geschweige denn Supervision oder andere Hilfen, um mit schwierigen Situationen zurecht zu kommen. Da bleibt so gut wie keine Zeit für individuelle Förderung.
Und doch finde ich es traurig, dass nicht mal so ein Satz fällt wie:
„Mensch, Jakob, hast du vielleicht eine Idee, wie wir dir helfen können?“
„Wir haben gesehen, wie du dir neulich Mühe gegeben hast, und das Referat in PGW war ja auch gar nicht schlecht. Vielleicht können wir da ansetzen.“
„Wir glauben, dass du es schaffen kannst!“
oder (und das ist jetzt eher visionär)
„Kannst du uns eine Rückmeldung geben, was wir anders machen können? Denn schließlich ist dein Misserfolg auch unser Misserfolg.“
Stattdessen findet ein Gespräch statt, das im Grunde darauf hinaus läuft, dem Schüler zu beweisen, was er alles nicht kann. Wenn er kleinmütig einwendet, wo er sich doch in den Unterricht eingebracht hätte und welche Arbeit gelungen sei, kommen wieder die Belege, wo ihm die Grundlagen fehlen würden, wo die Lücken klaffen, was er nicht kann ….
Ist irgendjemandem damit gedient?
Unter dem Eindruck dieser kleinen Sitzung in der Schule finde ich es so wichtig, dass wir Eltern nicht in die gleiche Kerbe hauen, dass wir unsere Kinder (oder die Lehrer) nicht runterputzen und noch stärker unter Druck setzen.
Deshalb kam mir dieses Zitat gerade recht:
„Was Kinder wirklich brauchen ist deine Bereitschaft, Zeit in sie zu investieren. Zu fragen, was passiert ist, dass sie schlechtere Noten haben. OHNE Vorwürfe. OHNE Moral. OHNE gutgemeinte Tipps. Interessiert fragen, was sie wollen, nicht nur welche Zensuren, sondern überhaupt. Im Leben.“(Stephan und Maria Cramer)
Immer fröhlich den Glauben an das eigene Kind nicht verlieren und gut zuhören, was es will im Leben.
Eure Uta
Das Titelbild ist von Taylor Wilcox von Unsplash. Vielen Dank!
Dieser Artikel läßt mich sehr bedrückt zurück.
Weil es meistens haargenau so läuft.
Wie ist das gespräch ausgegangen? Hast Du eingegriffen?
Nein, ich war nur Gast, deshalb habe ich mich sehr zurückgehalten. Zudem waren die beiden Lehrer wirklich nett. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, eher wie Schule so angelegt ist und dass wir hierzulande die Tradition haben, eher auf die Defizite zu gucken.
Auch mich bedrückt er, dein Bericht.
Und dann lasse ich mich erleichtert zurücksinken, weil ich an DIESEM Bildungsprozess nicht mehr teilnehmen muss.
Was ist in den letzten Jahren schief gelaufen! Da faselt man von Kompetenz, aber was einzig wichtig ist, ist Wertschätzung. Wertschätzung in Bezug auf das Kind, Wertschätzung in Bezug auf die Tätigkeit als Lehrer ( die ich bei dir ja sehe;-)).
Gerade habe ich von einer ehemaligen Schülerin einen Brief bekommen ( 30 Jahre ist das her! ). Und daran kann ich sehen, dass unsere damalige Art, mit Schule & Schülern umzugehen einfach persönlicher, empathischer war, als ich es zuletzt sein durfte….
LG
Astrid
Um 14:40 Uhr werde ich ein Elterngespräch über die Möglichkeiten unseres Sohnes in Bezug auf die weiterführende Schule mit der derzeitigen Klassenlehrerin und der Schulleiterin führen. Sie kennen unser Kind seit Anfang Dezember (4. Klassenleherwechsel in 4 Schuljahren), die Schulleitung ist seither als Fachlehrerin Deutsch mit 5 Stunden in der Klasse. Ich bin gespannt, ob man mir auch vom Potenzial oder nur von den Defiziten berichten wird.
Ich werde mal versuchen, im Gespräch das obige Zitat unterzubringen 😉
Ich habs getan 🙂
Und als es hieß: „Haben Sie noch Fragen an uns?“ habe ich gesagt, dass ich gerne wüsste, wo sie die Potenziale und Stärken unseres Sohnes sehen. Und sie hatten einiges zu berichten. Das hat gut getan (auch wenn die beiden Lehrerinnen jedes Mal ein ABER… nachschoben. Das habe ich großzügig ausgeblendet).
Oh, wie großartig! Ich freue mich sooooo, wenn meine Posts so etwas auslösen. Ich danke dir! Alles Liebe, Uta
Im Grunde ist den Lehrern kein Vorwurf zu machen. Sie haben es ja genau so erfahren. Es gehört schon viel Einsicht und Aufgeschlossenheit dazu, es anders und besser zu machen. Oder das Glück zu haben, von anderen Methoden, wie z.B. durch deinen blog bzw. deine Arbeit, zu lesen und dann auch wirklich etwas zu ändern! Im Studium wird das sicher nicht vermittelt. Ich habe zu meinem Leidwesen meine Kinder früher auch so betrachtet. Ein Martemeo Seminar, an dem ich dank einer lieben Freundin teilnehmen durfte, hat mir die Augen geöffnet und danach hat sich doch einiges verändert! Und hier lesen tut auch immer wieder sehr sehr gut 🙂 Das sollten viel mehr Lehrer tun 😉 … Eltern natürlich auch 🙂
Meine Tochter ist gerade im Lehramtsstudium … ich bin da ganz guter Dinge 😉
Lieben Gruß … Sigrun
Liebe Uta,
da ist sie wieder , die verflixte Defizitperspektive – oder auch Falle, in die wir Erwachsenen immer wieder tappen. So gut, bei Dir immer wieder dazu zu lesen, und an der eigenen Einstelllung zu arbeiten!
In ein paar Stunden findet es auch für mich statt – das Elterngespräch nach den Zeugnissen. 10 Minuten hat man mit dem jeweiligen Fachlehrer, um einmal nachzuhören, wie es läuft. Offen gestanden wird es doch eher auf ein „warum es eben nicht so gut läuft“ hinauslaufen… Denn wer geht zu den Zeugnis-Elterngesprächen in den Fächern, in denen es gut läuft? Wäre vielleicht mal eine Idee: Die Lehrer sagen den Eltern vor den Kindern, was diese so richtig prima machen.
Ich habe jetzt schon ein wenig Bauchweh – und könnte mir vorstellen, dass sich keiner der heute anwesenden Lehrer so richtig auf den Nachmittag freut. Nur gut, dass mein Sohn zu Hause bleiben darf…
Liebe Grüße, Susanne
Liebe Uta,
wie wahr,
immer wird geguckt, was man alles nicht kann. Ich stelle mir vor, wie es uns an der Arbeit erginge, wenn ständig alle uns nur erklären würden was wir nicht können. Ich hab mal ein schönes Buch ( bzw. Bücher) von Tom Buhrow und seiner Frau gelesen, wo sie die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA aus ihrer Sicht erklärten, und das sei ganz klar besonders deutlich beim Schulsystem.
In Amerika würde immer erst gelobt, aber im Gegenzug in Deutschland nur auf die Defizite geschaut.
In unserer weiterführenden Schule vor Ort, darf man beim 2. Elternsprechtag im Jahr nicht kommen, es sei denn man wird eingeladen. Eingeladen werden nur die „Härtefälle“ ( 4- und schlechter).
Auch an anderen Terminen hieß es oft beim Großen ( 10. Klasse) deine Mutter braucht nicht kommen, es gibt ja keine Probleme.
Bei der Tochter ( Gymnasium) hab ich mir immer Termine geben lassen, einfach nur um mal die Menschen kennen zu lernen, mit denen sie sich die ganze Zeit rumschlagen musste. Das hab ich auch den Lehrern so gesagt und wir hatten kurze aber nette Gespräche.
Manchmal wirkt es Wunder, wenn man die Lehrer kennenlernt und sieht wie sie so drauf sind. Dann wundert man sich auch nicht mehr unbedingt über bestimmte Ansichten der Schüler.
Unser Großer hatte jetzt im Halbjahr in Mathe 2x 2+ geschrieben, stand im mündlichen im November auf 3-. Daraufhin hat er sich ( auch laut Lehrerin) verbessert, aber nicht sehr viel. Trotzdem gab sie ihm im Januar in mündlich eine 4+, zusammengerechnet gab es eine 3.
Kind (meiner Meinung nach zu Recht) stinksauer, weil er aufs berufliche Gymnasium gehen will und die Noten in 3 Hauptfächern und einer Naturwissenschaft besser als 3 sein müssen.
Die Lehrerin wollte nochmal nachrechnen, hat aber nach einer Woche doch die 3 gegeben. Er würde ja die Zugangsvorraussetzungen trotzdem erfüllen. Ja, tut er, allerdings nur knapp, ich finds trotzdem blöd von ihr, so motiviert man Pubertisten garantiert nicht.
Ich hatte schon als Kind den Eindruck, das man der Willkür der Lehrer ausgesetzt ist, und finde das auch bei meinen Kindern wieder so vor. Es gibt viele tolle Lehrer, die mit Engagement und Freude bei der Arbeit sind und diese gut machen, aber es gibt leider auch immernoch viele Nieten dabei.
Ich hab meinem Sohn nun empfohlen einfach mündlich noch eine Schippe drauf zu legen, damit sie ihm im Sommer einfach keine 3 mehr geben kann. Ungerecht finde ich es trotzdem.
In Sport hat er dagegen eine 2 bekommen, weil er sich ja im Gegensatz zum 5. Schuljahr(!!!!?) doch gesteigert hat. Er ist immernoch nicht der sportlichste, aber das ist in meinen Augen auch keine vernünftige Begründung. Ich finde Sportunterricht in Klasse 10 hat nichts mehr mit Noten aus der 5. Klasse zu tun.
Da ging es halt zu seinen Gunsten, gerecht war es aber auch nicht wirklich.
Es steht und fällt alles mit den Lehrern, finde ich.
Der große Sohn versucht nun noch eine Schippe drauf zu legen, ums der Lehrerin (die ihn seiner Meinung nach sowieso nicht leiden kann) zu zeigen.
Hoffentlich zahlt es sich aus,
ich versuche auch fröhlich nicht immer die Defizite zu sehen, aber gute Dinge will ja oftmals kein Mensch hören.
Liebe Grüße aus Nordhessen,
Christina
Hallo Uta,
ja allüberall sind gerade die Gespräche fällig. Und es ist wahnsinnig schwierig.
Ich stimme mit Dir überein, dass man immer auch das Gespräch mit dem Kind führen muss. Vielleicht nicht immer in Anwesenheit des Lehrers, denn es gibt bestimmte Informationen, die der Lehrer notwendiger Weise den Eltern geben muss, die man eben aufgrund pädagogischer und motivationstechnischer Gründe niemals vor dem Kind sagen sollte.
Im Gespräch mit dem Kind muss man dringend das Kind durch beharrliches Nachfragen von der üblichen Kein-Ahnung-Schulterzuck-Haltung und dem noch üblicheren Daheim-habe-ich-soviel-gelernt-und-in-der KS-war-alles-weg Gehabe wegbekommen. Dazu ist aber meist sehr viel mehr Fachkenntnisse über Lernen notwendig als Eltern sie haben. Und detailliertes Wissen über die „Arten des Versagens“ in den jeweiligen Fächern.
Da unser Schulmotto lange Jahre lautete „Jeder kommt ans Ziel“ hat unser ehemaliger Chef darüber viel nachgedacht. Ich will seine Thesen nicht verfälscht wiedergeben, kann also nur sagen was ich verstanden habe.
Im Grunde, wenn man (aus welchen Gründen auch immer) nicht die Möglichkeit hat den ganz genauen Ursachen nachzugehen, woher die schlechten Leistungen kommen gibt es ein Allheilmittel, das in jeder Lebenslage hilft. Sowohl bei Blackout, Verständnisproblemen und ganz viel mehr Ursachen. Das Allheilmittel heißt: Effektive Lernzeit erhöhen.
Dazu geht führ gewöhnlich ein Beratungslehrer hin und lässt den Schüler aufschreiben wann er für die Schule arbeitet. Naja meist klappt das nicht mehr heutzutage, weil man auch 2 Stunden vor dem Mathebuch sitzen kann mit dem Handy daneben…. Ein Schüler in der der 8./9. Klasse sollte außerhalb der Schulstunden und der Hausaufgaben noch 15 Wochenstunden für die Schule arbeiten. Interessant wird das Experiment, wenn man das ein paar Monate in einem Raum ohne PC, Handy, TV, Schulfremde Bücher, Telefon, Musik durchführt. Ich war selber durch äußere Lebensumstände in der 8. Klasse in der Situation und zuvor der Meinung ich hätte eine Minderbegabung in Sprachen. Nun saß ich für 3 Monate alleine mit meinen Schulsachen an einem Ort, an dem es keine andere Ablenkung gab. Und am Ende des Schuljahrs hatte ich eine 2 in Englisch.
Früher nannte man es „Studierzeit“. Es ist nur fast die gleiche Situation wie bei „jedes Kind kann schlafen lernen“. Das Kind wird kommen uns jammern, es müsse nur mal kurz die Freundin anrufen/im Internet nachschlagen/etwas essen/es würde es nicht kapieren. Je nach Zeit und Geduld, kann man dann das Kind wieder an seinen Arbeitsplatz zurückschicken oder sich mal erzählen lassen, was es bisher durchgelesen habe und was da drin stehe. Und im Zweifelsfall sich auch das Schulbuch vorlesen lassen. Wahrscheinlich hat das Kind es nicht sinnentnehmend überflogen. Und dann kann man mal über die Heftführung sprechen.Da könnte ich ganze Epen drüber schreiben, was angeblich nie an der Tafel stand. Gegebenenfalls Aussagen des Kindes über Mütterconnections verifizieren (Heft ausleihen). Ja mein Ex-Schüler Louis konnte seinem Vater glaubhaft machen, ich würde nie Beispiele an der Tafel rechnen. So ……. sind Väter.
Und wenn sich nach ein paar Monaten die Erfolge einstellen hat es das Kind hoffentlich verstanden wie man lernt und man kann vorsichtig die Zügel lockern.
Herzliche Grüße
Coreli
Hallo Coreli,
habe ich das richtig verstanden, dass man Deiner Meinung nach in der 8. & 9. Klasse zusätzlich zu der Schulzeit und den Hausaufgaben 15 Stunden pro Woche lernen sollte? Das sind 3 Stunden pro Werktag! Dem muss ich aber definitiv widersprechen!
Gehen wir mal den Tagesablauf durch: Um 7 Uhr fährt der Schulbus, die Schule geht in diesem Alter ca. von 8 bis 14 Uhr (bei 7 Schulstunden). Da kommt der Schüler also nach 15 Uhr nach Hause, darf sich vielleicht noch rasch das Mittagessen aufwärmen, um danach dann bis 17 Uhr (also 1,5 Stunden) Hausaufgaben zu machen und soll anschließend noch total effizient 3 Stunden lernen, also bis 20 Uhr? Das sind 10,5 Lernstunden pro Tag! Das ist doch ein total krankes bzw. krank machendes System. Und das war noch nicht mal für die Ganztagsschule durchgerechnet.
Ich bin schon dafür, dass sich nicht nur die Lehrer für den Lernerfolg der Schüler einsetzen sollen, es muss auch was von den Schülern kommen. Aber so?
Viele Grüße
Anne