Bei den Vorbereitungen zur Konfirmation sollte der Konfirmand die Stehtische aus dem Auto holen und ins Wohnzimmer tragen. Ist ja schließlich sein Fest.
„Holst du bitte die Stehtische!“, brüllte ich die Treppe hoch.
„Ja, gleich.“
Stille. Beginnende Verspannung in den Schultern der Erziehungsberechtigten.
Schwiegervater stand längst in der Startlöchern, um die Stehtische aufzubauen. Oma hielt die Haustür auf.
Es war, als hätte jemand beim Stopptanz die Musik angehalten.
Dabei könnte Opa in der „Ja-gleich-Zeitspanne“ das Oktoberfest im Alleingang bestuhlen.
Ich blieb eisern. Es ging schließlich nicht um das Ergebnis „Stehtische im Wohnzimmer“. Mich trieb eine pädagogische Mission. Kronprinz soll jemand sein, der hilfsbereit ist, der Verantwortung übernimmt, Gemeinsinn zeigt, Tatkraft …
Schließlich stand die Heckklappe des Autos so lange offen, dass sich im Kofferraum die ersten Moose bildeten.
Beim nächsten Brüllen benutzte ich den vollständigen Taufnamen des Konfirmanden.
Es half.
Der Konfirmand trug einen – noch mal in Worten „einen“ – überzähligen Stehtisch in den Keller.
(Schwiegervater war aus der mütterlichen Mission ausgeschert und hatte die anderen längst im Wohnzimmer platziert.)
Ich sage euch: Das mit dem pädagogischen Sendungsbewusstsein ist des Teufels.
Immer wenn ich im Auftrag seiner Majestät der Wertevermittlung unterwegs bin, wird es ungut.
Immer wenn ich mit doppeltem Boden kommuniziere, wenn ich sage: „Hol die Mülltonne hoch“ und eigentlich meine: „Du bist zu faul, du tust zu wenig für das familiäre Gemeinwohl. Und jetzt wird ein Exempel statuiert“ ist schlechte Stimmung und unterm Strich nichts gewonnen.
Immer wenn ich eine Arbeit, die ich locker im Vorbeigehen hätte tun können, künstlich übrig lasse, weil es ein Lehrstück werden soll, sollte man mich zu den Stehtischen in den Kofferraum stopfen.
Es geht gar nicht um die Mülltonne, die Tische, die Socken-Knubbel. Es geht um die Botschaft, die in Leuchtschrift auf meinem Kopf umläuft: „Sieh es ein – ich weiß es besser – du bist nicht gut genug – sieh es ein – ich weiß es besser – du bist nicht gut genug – sieh es ein …“
Niemand mag auf diese Weise belehrt werden. Und für einen Jugendlichen im Zenit der Pubertät ist das wie Pest und Zimmeraufräumen zusammen.
Es geht nicht darum, dass dem Prinzen eine Zacke aus der Krone fallen könnte, wenn er mal mit anpackt, sondern um das verkrampft Künstliche einer solchen Aktion.
Wisst ihr, was ich meine?
Ich bin unbedingt dafür, dass Jugendliche mit dem Fahrrad die Alpen bezwingen, selber ihr Zimmer streichen oder in Rumänien Kindergärten renovieren.
Aber dieses nickelige Erteilen von kleinen Alltagslektionen ist für beide Seiten unwürdig.
Zu den schönsten Kindheitserinnerungen meines Mannes gehört, dass er zusammen mit Mutter, Oma und Großtanten am Küchentisch saß und die Bohnen sortierte, die sie im Garten geerntet hatten.
Ist das nicht verrückt, dass mein gestandener Mann dieses Erlebnis noch mehr als 30 Jahre später als so beglückend erinnert?!
Aber wehe, Mutter oder eine der Tanten hätte das eingefädelt, um dem Buben Gemeinsinn einzutrichtern. Es wäre nicht zustande gekommen oder überhaupt nicht schön gewesen.
In seinem wunderbaren Buch „Kinder der Morgenröte. Unterstützen statt erziehen“ beschreibt Hubertus von Schoenebeck, wie entspannend es ist, wenn Erwachsene und Kinder ihre Konflikte erziehungsfrei austragen.
Bei erziehungsfreien Konflikten geht es nicht „um Trotz, den es zu brechen gilt, nicht um das Teufelchen, das man zum Besten des Kindes austreiben muss, nicht um das Abendland, das in der Seele des Kindes gerettet sein will. In den erziehungsfreien Konflikten gibt es keinen Angriff auf die Seele des Kindes und deswegen auch nicht eine entsprechend vehemente Verteidigung dagegen. Diese Konflikte verlaufen in anderen Bahnen, jenseits von missionarischem Eifer und innerer Not des Erwachsenen und jenseits von Wut, Hass und Verzweiflung des Kindes.“
Meine neue Vorsätze:
- Ich gestehe eigene Erschöpfung, Überforderung oder Müdigkeit ehrlich ein. Wenn mir dann jemand aus eigenem Antrieb hilft, ist das schön, aber ich halte keine moraltriefenden Vorträge. Ich kann ja die Arbeit einfach ruhen lassen und mich aufs Sofa legen.
- Ich lasse die Kinder öfter mal allein. Arbeit fällt dann von selber an. Wenn sie Hunger haben, werden sie sich selber Brote schmieren … und sei es mit Nutella.
- Wenn ihre eigenen Zimmer nicht aufgeräumt werden, lasse ich sie unaufgeräumt und schließe die Türen (das hatten wir schon hier).
Immer schön fröhlich bleiben
Uta
PS: Vielen Dank für die lieben Wünsche zur Konfirmation!
eine höhere dosis „jesper juul“ täglich führt unweigerlich zum glücklichsein aller familienmitglieder – nicht immer einfach, aber einfach mal machen 😉
großartige anekdote!
gruß,
saskia
Liebe Uta,
ich verstehe Dich sooooo gut! Hast Du über mich geschrieben ;-)?
… oder bei uns Mäuschen gespielt?
Einfach nur danke!
Love, Isa
Hach, wie beruhigend, dass es anderswo genauso ist wie hierso!
Dass Kinder aber auch IMMER den O-Ton sofort erkennen!
Mist!
Papagena