Bevor der Weihnachtsrummel begann, habe ich in dem Buch „Die Liegenden“ des italienischen Kolumnisten Michele Serra gelesen. Mit „Die Liegenden“ ist sein 18jähriger Sohn und seine Freunde gemeint, weil sie ihr Leben meist im Liegen verbringen: mit Kopfhörern auf den Ohren und einem Handy fest verwachsen mit dem Mittelhand-Knochen.
Es gibt Stellen, über die ich sehr lachen musste und die das Leben mit Heranwachsenden treffend beschreiben:
„Alles bleibt an, nichts wird ausgeschaltet. Alles steht offen, nichts wird geschlossen. Alles wird angefangen, und nichts beendet.“
Man könnte noch ergänzen:
Alles wird ausgebreitet, nichts wird eingesammelt.
Alles wird benutzt, nichts wird geputzt.
Alles wird nachts erlebt, weniges am Tage.
Alles wird den Freunden erzählt, weniges den Eltern.
Alles wird gesucht, nichts wieder gefunden.
Alles geht besser mit Chips, selten mit Vollkorn-Dinkel-Ingwer-Keksen.
Alles beginnt mit einem Blick in den Spiegel, nichts läuft ohne Deo.
Alles mit Käse Überbackene schmeckt, nichts mit weichem Gemüse.
Viele Eltern finden diese Zeit anstrengend. Wenn wir das Alter unserer Kinder (17 und 13) nennen, werden wir meistens bedauert. Ganz anders meine Freundin Katrin. Als wir unseren Freunden die Bilder vom Herbsturlaub zu viert zeigten, rief Katrin plötzlich: „Das ist die beste Zeit. Man kann so tolle Gespräche mit ihnen führen.“
Katrin und ihr Mann können gerade nur den Hund betüdeln. Die Tochter studiert sechs Zugstunden entfernt, der Sohn verbringt ein Schuljahr im Ausland. Als wir unsere Freunde neulich zum Essen einluden, waren sie ganz selig, dass unsere Kinder mit am Tisch saßen. Dabei hatten wir gerade dem Kronprinz einen giftigen Blick zugeworfen, weil er halb unter dem Tisch auf sein Smartphone schielte. „Selbst das fehlt mir so“, seufzte Katrin, „diese netten kleinen Konflikte.“
Das mit den tollen Gesprächen ist wahr. Deshalb stimmt der Punkt „Alles wird den Freunden erzählt, weniges den Eltern“ nicht ganz.
Gut: Es gibt Phasen da habe ich bessere Gespräche mit dem Labrador von nebenan als mit meinen Kindern.
Aber man muss nur zuwarten. Mal bin ich nachts vor einem Spätfilm versackt, als der Kronprinz von einer Party kam und wir bis in die Morgenstunden gesprochen haben. Mal saß ich im Urlaub auf einem Stein vor dem Ferienhaus und bewunderte den Sternenhimmel. Plötzlich erschien im Dunkel unsere Prinzessin (13), packte sich auch auf den Stein und hat mir in allen Details das komplizierte Beziehungsgeflecht ihrer Freundinnen erklärt.
Die Konstellationen am Himmel sind ein Witz dagegen, das sage ich euch.
Die Weihnachtskarte von Prinzessin (13) für ihre Eltern. |
Für solche Gespräche muss man Durststrecken aushalten, immer irgendwie in Beziehung bleiben und darf nichts erzwingen.
Und man muss Gelegenheiten schaffen.
Mein Mann geht deshalb laufen. Es kann regnen, es kann schneien – Vater und Sohn binden die Laufschuhe und haben die besten Gespräche. „Wie läuft es so?“ – „Muss ja.“
Nein wirklich, sie sprechen über Berufspläne, Zimmerpreise in Großstädten, Lautsprecher-Designs … Wenn sie wieder kommen, stehen die Haare windgetunet über ihren roten, glücklichen Schwitzgesichtern. Und mein Mann hat tausend mal mehr über den Kronprinzen erfahren, als wenn er ihn ins Kreuzverhör nehmen würde.
Meine Gelegenheiten sind Rückenkratzen, Füßemassieren und Kochen (keine Sorge, alles räumlich und zeitlich getrennt). Den Sandwichtoaster aufheizen oder das Waffeleisen, Popcorn in den Topf werfen und eine DVD in den Player oder einen Kakao machen mit Sahne und Schokostreuseln. Das sind alles gute Gründe, sie herunter zu locken aus ihren Zimmern. Und dann kann es sein, dass sie den Kakao mit nach oben an den Rechner nehmen (= Durststrecke) oder sie bleiben viel länger als gedacht am Tisch und wir sprechen über Gott und ihre Welt.
Und jetzt, bevor dieser Post und das Jahr zu Ende geht, ist es wieder höchste Zeit, mein Lieblings-Pubertäts-Zitat von Jesper Juul zu bringen:
„Was unsere Kinder in der Pubertät von uns brauchen, …, ist eigentlich nur das: zu wissen, auf dieser Welt gibt es einen oder zwei Menschen, die wirklich glauben, dass ich ok bin. Das brauchen sie. Viele von uns haben keinen solchen Menschen in unserem Leben. Mit einem kann man gut überleben, mit zwei kann man wunderbar leben. Doch das ist nicht unsere Tradition als Eltern. Wir verhalten uns eher wie Lehrer, sitzen mit einem Rotstift da und schauen, was noch nicht richtig ist. Das ist weder für die Kinder hilfreich noch für die Eltern.“ (Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten. München 2010, Seite 23)
Wie schafft ihr Gelegenheiten, den Kindern zu geben, was sie in der Pubertät brauchen?
Immer fröhlich im alten und im neuen Jahr mit den „Liegenden“ das Leben genießen.
Eure Uta
Vielen Dank für diesen Beitrag!
Wie wunderbar du das wieder geschrieben hast!
Wir finden die Pubertätszeit auch nicht anstrengender als die restliche Kinderzeit.
Mit unserem 15jährigem ist es schön:
Anregend, witzig, provokativ, meistens nett, ja, und zugegeben, auch mal anders…
Man darf einfach gar nicht damit rechnen, dass sie „Musterkinder“ sind, dann wird alles ganz leicht!
Wir sind einfach ganz sicher, dass er seinen Weg gehen wird.
Auch wenn „alles an und offen bleibt“…
Humor ist wichtig!
Ich wünsche dir ein wunderbares Silvester und ein glückliches neues Jahr!
Liebe Seifenfrau, danke, dass du immer so nett schreibst und danke für deine guten Wünsche. Deine Einstellung zum Sohn finde ich klasse. Alles Gute für 2015! Uta
Ganz ehrlich: Ich fand die „schlimme“ Pubertätszeit überhaupt nicht schlimm. Sie sind bisweilen chaotisch (aber das bin ich ja auch manchmal), sie denken, sie hätten immer recht (wobei das ja gar nicht sein kann, denn ich hab ja schon immer recht… hihi), aber ich fand es so spannend, beim Erwachsenwerden zuzuschauen und dann und wann wahlweise im oder am Wege zu stehen und ihnen die Hand zu reichen. Die Gespräche werden tatsächlich anders, intensiver. Sie haken mehr nach, werden kritischer (gut so!!!) – ich muss also zusehen, dass ich weiß, was ich rede und meine Haltung gut fundiert zum Ausdruck bringen kann. Das schult die eigene Reflektionsfähigkeit.
Die Große und ich hatten (haben) für solche Gespräche Zeit bei Hundespaziergängen, beim Stallmisten, in den Ferien können wir stundenlang frühstücken oder nachmittags beim Tee quatschen. Mini redet von Natur aus nicht viel. Sie hat Sprechphasen, so alle paar Tage mal abends nach dem Abendessen. Sonst eher selten. Sie ist eher introvertiert.
Die Große macht sich mittlerweile mit dem Lieblingsschwiegersohn auf einen eigenen Weg, das ist nochmal eine sehr herausfordernde Phase, weil sie und ich offensichtlich doch eine engere Beziehung haben, als wir beide so dachten…. und jetzt müssen wir beide loslassen üben. Nicht so einfach, aber wir kriegen das hin.
Liebe Grüße und einen wunderbaren Start ins Jahr 2015 wünscht dir und deinen Pubertisten
das LandEi
Ja, das mit den Sprechphasen ist bei Prinzessin auch so. Tagelang nichts und dann ganz intensiv. Danke, dass du geschrieben hast, und dir auch alles Gute für 2015! Uta
Ah ja: In der Beschreibung erkenne ich uns – mit 14jähriger „Liegenden“ – ganz klar wieder. Die Chips-Phase ist derzeit deutlich abgeklungen. Allerdings die (täglichen) mit Käse überbackenen Kartoffeln und der in den Ferientagen (besser -nächten) regelmäßig selbstständig eingesetzte Sandwichtoaster tragen zum Überleben bei. Gekauft wird am liebsten über Amazon (…also Mama, falls Du mal wieder was bei Amazon…)..nur wegen der Frage: Den Account habe ich übrigens nicht für meine Einkäufe eingerichtet 😉 . Schöne Momente sind es übrigens auch, wenn ich aus meinem Leben etwas berichte und dann ein Gespräch hierzu beginnt…oder ich mir ausmale, was wäre wenn die „Liegende“ den Sandwichtoaster heimlich mit zum Silvesterbesuch bei der Tante mitnimmt, um unter dem nächtlichen Bett auf dem Teppich….es ist einfach schön – durchaus manchmal nur kurz – wenn über das Antlitz der „Liegenden“ der Hauch eines Lächelns huscht! Dann weiß ich, ich habe sie doch kurz erreicht!
Es tröstet mich doch sehr, dass Du, Uta, einen ganzen Post zu den „Liegenden“ geschrieben hast. Ich erkenne, dass die „liegende“ Phase einfach eine altersgemäße Phase ist. Ganz vielen Dank dafür, mir standen ein wenig die Freudentränen in den Augen!
Ein gutes neues gesundes und immer wieder fröhliches neues Jahr 2015 wünscht Dir auch von Herzen: Anette
Liebe Anette, ja, der Sandwichtoaster. Den sollte man dazu bekommen, wenn man „Die Liegenden“ kauft oder ein anderes Pubertätsbuch. Der Geruch von schmelzendem Käse macht sie ganz gefügig. Dir auch ein fröhliches neues Jahr und danke für deinen Kommentar! Uta
Liebe Uta,
ja, bei uns bleibt auch vieles an und offen und überall liegt der Kram rum.
Unsere Kinder sind (13,12 und 9) und da gucken sich leider die jüngere schon zu gerne alles vom großen Bruder ab…vor allem dieses gechillt sein.
Darum beneide ich meinen Großen ja, den bringt nichts aus der Ruhe. Zumindest nicht so schnell wie mich. Gelassenheit habe ich mir für 2015 vorgenommen, auch wenn ich an die Stromrechnung gar nicht denken darf!
Freue mich schon auf deine tollen Posts im nächsten Jahr,
Eleonore
Liebe Eleonore, danke für die Anerkennung und die guten Wünsche! Dir auch ein erfülltes neues Jahr! Liebe Grüße, Uta
Danke für den herrlichen Beitrag! Ich freue mich da schon fast aud die Pubertät, auch wen ein bissl Bauchweh und Wehmut dabeisein werden. den Lauftipp finde ich toll – ob ich meine Männer such dazu bringe?;-)
Liebe Grüße und eine. guten Rutsch! Lolo (Elke)
Hallo Uta, vielen lieben Dank für Deinen tollen Blogbeitrag. Du sprichst mir aus der Seele. Gerade gestern beschwerte sich mein Mann bei mir, dass unser Pubertier (m. 17J.) so wenig Zeit mit uns/insbesondere mit ihm verbringt. Nach Deinem Beitrag ist er beruhigt. Ich habe wunderbare Gespräche mit ihm, spätabends in der Küche, bei Käsesandwich und Kakao mit Sahnhaube. LG und einen guten Rutsch in ein wunderbares neues Jahr mit unseren Pubis. Claudi
Liebe Uta,
das Buch hab ich mir kurz vor Weihnachten gekauft, aber noch nicht angefangen.
Zur Zeit lese ich noch das Pubertier von Jan Weiler, was ja ähnlich ist, ich hab es heute erst angefangen, aber es hat nur wenig Seiten. Danach sind die Liegenden dran.
Das Zitat von Jesper Juul ist auch mein Lieblingszitat.
Auch in einem Buch von Tom Buhrow und seiner Frau (Ich glaub es war mein Amerika, dein Amerika) gab es einen denkwürdigen Text.
Sie erklärten was in Deutschland und den USA unterschiedlich war/ist. Da sie längere Zeit in den USA gelebt hatten, konnten sie das Schulsystem auch gut vergleichen. Sie schrieben das der krasseste Unterschied im Schulischen war, das man in den USA immer das positive unterstützte. Also die Lehrer sagten,“ in dem Fach bist du super, und das kannst du gut und in dem und dem Fach müssen wir noch besser werden“. Im Gegensatz dazu in Deutschland,
„Du kannst das nicht, da bist du schlecht und da könntest du dir mehr Mühe geben“. Der Unterschied wäre wirklich signifikant, und ich musste wirklich zustimmen. Das ist auch im „normalen“ Alltag oft so, man kann jede Menge Negatives aufzählen, aber für das Positive muss man erst mal nachdenken.
Dabei ist es ganz einfach, man darf sich einfach nicht so auf das Negative einlassen.
Jan Uwe Rogge hat mal in einem Vortrag erzählt, man solle einfach 3x am Tag mit seinen Kindern laut lachen, dann klappe das schon mit der Pubertät, und das versuche ich seitdem und es klappt relativ gut bisher.
Unsere Kinder sind 17,14 und 9 und ich stelle eben immer öfter fest, je lockerer man es angeht, umso besser klappt es. Wie heißt es so schön, „Gras wächst nicht schneller wenn man daran zieht“.
Der Mittlere ist gerade am Wachsen, in den Weihnachtsferien liegt er wirklich nur rum, deswegen hab ich auch die Liegenden gekauft. Vorgestern hab ich ihn um halb 3 nachmittags geweckt,
dafür war er heute morgen um 9 wach, hat aber nachmittags (in zwei Decken gehüllt) 3 Stunden auf dem Sofa geschlafen. Wenn er raus geht, dann aber bitte ohne Jacke und womöglich im T-Shirt.
Wenn er wach wird ist die erste Frage immer die, nach etwas zu Essen. Er ist 1,90m groß, kein Wunder das er da essen muss und schlafen :o)))) ‚Wie soll denn das Blut da überall hinkommen und sich Synapsen verbinden wenn man sich auch noch bewegen soll dabei?
Dadurch das ich ihn nicht extra früh wecke (normal gegen mittag) hilft er danach auch fast anstandslos mit. Ich bin mal gespannt, wie es klappt,wenn die Schule wieder losgeht. Bis dahin wird jetzt einfach mal gechillt :o) sind ja schließlich Ferien.
Übrigens spielen alle Kinder und ich im örtlichen Posaunenchor, ich Trompete, die Große Fagott, der Mittlere Saxophon und der Kleine Tenorhorn.
Ich habe sie nie gezwungen, aber trotzdem spielen sie sehr verlässlich mit und haben auch Spaß daran. Ohne eigenen Antrieb kann man kein Instrument spielen, finde ich. Nur weil Mama, Papa oder sonst wer das gut finden, hat man keinen Spaß daran und wenn es keinen Spaß macht sieht man auch keinen Sinn darin. Ich bin echt happy das alle drei das auch so sehen und Spaß an der Musik haben. Mit Musik kann man sich auch gut abregen wenn es zu impulsiv wird. Außerdem findet man mit einem Instrument immer irgendwo Anschluss. Ich kenne z.B. keinen Posaunenchor oder keine Kapelle in der Nähe, die nicht gern neue junge Leute aufnehmen, die Spaß an Musik haben.
Wenn man aber auch Freunde im Chor hat, geht man auch, wenn man eigentlich mal nicht so wirklich Lust hat, und hinterher ist man froh das man da war.
Ich glaube ich hab das einfach vorgelebt ( heißt es nicht:“ erziehen kann man sich sparen, sie machen einem sowieso alles nach?“ das Musik meist Vergnügen ist und ich hoffe das sie das auch in einigen Jahren noch so sehen.
So, und jetzt hör ich auf, sonst platzt noch die Seite bei meinem vielen Text.
Ich wünsche dir und deiner Familie ein wunderschönes gesundes neues Jahr 2015 und
…
immer fröhlich weiter bloggen, ich freu mich über jedes neue Posting von Dir,
liebe Grüße
Christina
Großartiges Posting – muss mir schnell das Buch besorgen – und bei fast allen Postings ist was dabei, was mich beruhigt, bestärkt, oder zum Nachdenken bringt… vielen DANK!!! Lg Irmi E.
so lustig, ein post über meine bald 16 jährige Tochter!!!!!!
Ich wünsche dir ein gesundes, glückliches 2015!!!
Liebe Grüsse Nicole