Neulich gingen wir ein paar Schritte und Prinzessin (13) hakte sich bei mir unter. Außerdem wird bei uns viel umarmt, der Rücken gekratzt, auf dem Schoß gesessen.
Wahrscheinlich haben wir zu viel Nähe, dachte ich. Man sollte mit seinen Kindern nicht befreundet sein. Ich bin die Mutter, der Soßenkönig ist der Vater. Wichtige Entscheidungen müssen wir fällen. Wir müssen auch mal unbequem sein und streng und doof und peinlich.
Okay, das machen wir alles. Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung oder zumindest nur manchmal, wenn wir es wieder so genießen mit unseren Kindern und keine Lust haben, bis in die letzte Faser konsequent zu sein.
Aber wenn es wieder so eine kuschelige Phase gibt mit den „Pubertieren“, habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Wahrscheinlich bin ich eine von den Müttern, die der Kinderpsychiater Michael Winterhoff und Buchautor („Warum unsere Kinder Tyrannen werden. …“) so gerne an den Pranger stellt. So eine Mutter, die den gleichen Nagellack benutzt wie ihre Tochter und in symbiotischer Beziehung mit ihren Kindern lebt, weil sie von ihnen die Bestätigung braucht, die sie woanders nicht bekommt. So eine Mutter, die aus eigenem Mangel heraus die Kinder an sich kettet. Eine, die in ihrem übergroßen Harmoniebedürfnis nicht durchgreifen kann, die ihre Kinder mit falsch verstandener Liebe erdrückt, die einfach zu schwach ist.
(Bis auf den Nagellack hat der Soßenkönig die gleiche Schwäche.)
Ich habe dieses Verhalten untersucht, bei uns und bei anderen, und komme zu anderen Schlüssen als Winterhoff und Konsorten.
Ich bin stark, habe (meistens) keinen Mangel und kann (wenn es drauf ankommt) sehr wohl durchgreifen. Der Soßenkönig und ich genießen es nur einfach sehr, Eltern zu sein.
Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist einfach enger geworden als noch vor einer Generation. Am Elternsprechtag kam mir eine Mutter Hand in Hand mit ihrer 15jährigen Tochter entgegen. Bei einem Vortrag über berufliche Perspektiven in der zehnten Klasse sah ich mehrere Halbwüchsige, die ihren Kopf auf Vaters oder Mutters Schulter legten.
„Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen sagen heute, sie verstünden sich gut mit ihren Eltern. Drei Viertel der Befragten würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie selbst erzogen wurden.“
Das schreibt ZEIT-Redakteur Martin Spiewak in der Ausgabe vom 11. September und bezieht sich dabei auf die Shell-Jugendstudie. Spiewak sieht ferner eine „Entspannung im Verhältnis der Generationen“.
Am vergangenen Wochenende bin ich in meine alte Heimat zum Treffen meines Abitur-Jahrgangs gefahren. Bis tief in die Nacht habe ich mit alten Schulfreunden gesprochen. Viele haben Familie, manche nicht, Alleinerziehende, Patchwork, alles ist dabei.
Mein Schulfreund Klaus ist seit drei Jahren von seiner Frau getrennt. Nach seinem Auszug hat er sich eine Wohnung gesucht, die nahe bei der Schule seiner beiden Kinder liegt. „Dann können sie häufiger bei mir übernachten und ich kann vor der Arbeit mit ihnen frühstücken“, erzählt Klaus. Sein Sohn steht kurz vor dem Abitur. „Der will ja nicht mehr viel von mir wissen, aber ich hole ihn immer vom Fechttraining ab. Dann habe ich ein paar Minuten mit ihm zusammen.“ Damit Klaus nicht sieht, wie gerührt ich bin, sortiere ich im Nudelsalat auf meinem Teller die Erbsen heraus. Er bestellt sich noch ein Bier.
Seine Tochter ist jetzt 15 und macht gerade ein Auslandsjahr in Costa Rica. Um Kontakt mit ihr zu halten, hat Klaus neuerdings ein Smartphone („das war vorher nicht so mein Ding“) und skypen kann er auch, darf er aber nicht mehr. „Sie sagt, sie will nicht mehr so viel mit mir telefonieren, weil ihr Spanisch sonst nicht besser wird.“ Klaus ist stolz, dass seine Tochter das durchzieht. Aber unter der Trennung von Louisa leidet er wie ein Hund.
Eine oder zwei Generationen früher hätte Klaus‘ Ehe vielleicht gehalten. Aber eine oder zwei Generationen früher hatten Väter und Mütter nicht so viel Nähe zu ihren Kindern wie viele Eltern heute.
Es ist nicht unbedingt besser oder schlechter. Es ist einfach anders.
Noch einmal ZEIT-Redakteur Martin Spiewak:
„… hat ein Jugendlicher, der mit 15 Jahren schon zum Austauschjahr nach, sagen wir: Argentinien geht, das Rebellieren zum Selbstständigwerden nötig?“
Jugendliche heute müssen nicht mehr unbedingt ausbrechen aus erstarrten Strukturen, weil die Strukturen weicher, die Hierarchien zu Hause flacher geworden sind. Kaum jemand muss noch gegen einen übermächtigen Vater ankämpfen. Der Hausarrest gehört ins Familienmuseum. „Solange du deine Füße noch unter unseren Tisch stellst, …“ – dieser Satz hat heute einen anderen Context. Eltern und Kinder sind heute froh, wenn es ein familiäres Füßeln unterm Tisch gibt. Wahrscheinlich suchen Heranwachsende heute eher Halt und Nähe, als dass sie unbedingt aus einer häuslichen Enge ausbrechen wollen.
Wenn ihr auch so gerne mit den Halbwüchsigen kuschelt und sie mit euch, müsst ihr nicht denken, dass ihr schon wieder etwas falsch macht. (Die Eltern, mit denen ich zu tun habe, haben sowieso jede Minute das Gefühl, etwas falsch zu machen.) Schaltet die Talkshows aus mit all den warnenden „Experten“, pfeffert die Bücher in die Ecke von den ewigen Bedenkenträgern und kostet – wie mein Schulfreund Klaus – die Zeit mit euren Kindern aus.
Immer fröhlich die Nähe genießen und sich von niemandem ein Haar in die Suppe werfen lassen.
Eure Uta
Liebe Uta,
wie schön! Deine Fotos in letzter Zeit übrigens auch. Also nicht, dass sie das vorher nicht waren, aber nun sind sie irgendwie noch mehr besonders 🙂
Ich finde allerdings, dass es komisch aussieht, wenn eine Tochter (über 16) Hand in Hand mit Papa geht. Und die Mama läuft so daneben. Das mag ich nicht.
Die Lütte ist seit Samstag bei Oma und Opa auf Helgoland. Schon nach zwei Stunden haben wir (ja der Papa auch) sie vermisst. Sie bricht grad wohl gern aus der elterlichen Enge aus … abends skypen geht, aber sonst: keine Zeit (und kein Heimweh!)
Ich freu mich unglaublich auf Donnerstag, wenn ich sie eeeendlich wieder knuddeln kann …
Liebe Grüße,
Dorthe
Liebe Dorthe, danke für das Fotokompliment! Das freut mich sehr. Und eure Lütte finde ich einfach beeindruckend. Jetzt ist sie auch schon ohne Probleme in „Übersee“. Für Eltern ist so eine Auszeit klasse. Dann kann man mal Luft holen und sich wieder neu freuen, oder? Herzliche Grüße, Uta
Wundervoller Beitrag und ich gebe dir total recht!
Es klingt vielleicht komisch, aber selbst mit meinen 30 Jahren kuschel ich noch gerne mit meiner Mutter, was aber evtl daran liegt, dass wir uns zu selten sehen. Aber auch als Jugendliche hatte ich meine Momente, wo ich unbedingt eine Elterliche Umarmung gebraucht habe.
Mit meinen beiden Kindern ist das kuscheln auch sehr wichtig und ich hoffe, dass sich daran nichts ändern wird, denn nahe ist in meinen Augen sehr wichtig für die Familie, egal wie alt man ist.
LG nicky
Liebe Nicky, ja, das glaube ich auch. Berührung und Nähe brauchen Menschen in jedem Alter. Aus zahlreichen Tierexperimenten weiß man, dass die Kleinen verkümmern und sterben, wenn sie von den Eltern nicht geleckt werden. Danke fürs Schreiben! LG Uta
Ich stimme dir zu!
…Allerdings darf ich keine Beispiele erzählen…
…sagt der Pubertant.
:-)))))
Spannend, gestern ist mir der Winterhoff empfohlen worden, weil er ähnliche Ansichten hätte wie Jesper Juul und überhaupt total interessant wäre und wichtig zu lesen.
Und jetzt dein Artikel hier, der dem eher kritisch gegenüber steht. Ich bin ja eigentlich, auch wenn ich nicht soo viel gelesen habe, schon ein Fan von Jesper Juul und lese deswegen auch deinen Blog, darum ist mir dein Urteil schon auch viel wert… 🙂
Hmm. Kannst du sein Buch trotzdem empfehlen? Oder ist er nur ein schlechtes-Gewissen-macher?
Danke!
Wenn Winterhoff und Juul ähnliche Ansichten haben, dann ist Sommer auch das gleiche wie Winter. Ich habe damals Winterhoffs erstes Buch gelesen und ihn in Talksshows gesehen, danach habe ich einen großen Bogen um seine Werke gemacht. Ich mag sein Bild vom Kind, ja vom Menschen nicht. Kann sein, dass er inzwischen Kreide gefressen hat, aber nach dem, was ZEIT-Journalist Martin Spiewak von seiner Begegnung mit Winterhoff jüngst geschrieben hat, scheint das nicht der Fall zu sein. Am meisten profitiert habe ich aus Juuls Büchern „Die kompetente Familie“ und „Dein kompetentes Kind“. Liebe Grüße Uta
Ich freue mich sehr, dass meine Kinder (9 und 11) immer noch gerne einen „Kuschel-Stopp“ bei mir einlegen! Das ist meist ein kurzer Moment, wie Du schreibst… den Kopf auf die Schulter legen, oder sich anlehnen und drücken. Ein Bussi auf die Backe (das macht meine Tochter gerne bei mir – früher war es mehr andersrum). Ich finde das sehr schön!
Abends beim Insbettbringen wird sowieso noch mal gekuschelt – ohne dieses Ritual würden sie traurig einschlafen.
Außerdem sind meine Kinder ganz verrückt nach Fußmassagen! Als Kosmetikerin habe ich Fußpflege gelernt und irgendwann mal damit angefangen – jetzt habe ich den Salat!
Ich habe nämlich gar nicht immer Lust, schwitzige Turnschuh-Latschen in Größe 41 durchzukneten…
Und manchmal wolle meine beiden Rabauken sogar noch den „Knuddelarm“ spielen. Ein völlig sinnfreier Quatsch, den wir oft gespielt haben, als sie noch kleine Kindergartenmäuse waren:
Ich stelle mich am Ende des Zimmers auf, breite die Arme aus und bewege sie rudernd auf und ab, während sie sich langsam schließen. Dabei rufe ich laut: „Der Knuddelarm, der Knuddelarm, der Knuddelarm ist ZU“. Bei ZU sind die Arme dann geschlossen.
Die Kinder müssen währenddessen blitzschnell durch den Raum flitzen (aber erst bei LOS gehts los) und rechtzeitig in meinen Armen landen, bevor sie sich geschlossen haben.
Total blödsinnig – aber sie fanden das immer extrem lustig.
Bis heute.
Ich denke, solche familieninternen Ticks gibt es überall, oder?
ODER?
Liebe Grüße,
Papagena
Liebe Papagena, Knuddelalarm habe ich verpasst, Mist! Inzwischen würden sie mich völlig über den Haufen rennen, das riskiere ich nicht. Und Füße massieren, ach, das hätte ich selber gerne. Wenn das mal jemand bei mir macht, schnurre ich wie unser Kater. Ganz herzliche Grüße in den Süden! Uta
Liebe Uta,
ich schließe mich dem Foto-Kompliment an, das habe ich auch gedacht: dass die Fotos noch schöner geworden sind. Toll!
Und wieder beruhigt mich dein Beitrag aus, für uns, noch fernen Zeiten. Ich genieße es sehr, wenn meine Herzbuben mit uns kuscheln, Nähe suchen. Wenn ich beim Vorlesen zwei müde, warme Herzbuben auf dem Schoß oder im Arm habe, beim Frühstück meinen Kaffee nicht trinken kann, weil ein Kopf auf meiner Schulter liegt, bin ich glücklich.
Ich habe schon etwas Angst davor, wie es ist, wenn sie groß sind. Aber noch sind sie ja klein und ich habe noch eine Schonfrist und nun die Aussicht darauf, dass vielleicht auch später noch gerne acht Füße unter dem Tisch stecken.
Neulich war meine Mutter zu Besuch. Sie sagte, sich macht es sehr traurig, wenn sie sieht, wie wir heutzutage mit den Kindern umgehen. In den Arm genommen zu werden kennt sie aus ihrer Kindheit nicht. Überhaupt Zugewandtheit hat sie nicht oder nur wenig erleben dürfen. Wir haben so ein großes Glück, dass das, was früher war, eben doch nicht immer besser war.
Liebe Grüße,
Frieda
Liebe Frieda, das könnte meine Mutter wahrscheinlich so unterschreiben. Gekuschelt wurde damals – glaube ich – nur in ganz wenigen Familien. Danke für deine Worte! Liebe Grüße, Uta
Ich kenne das aus meiner Herkunftsfamilie auch nicht und hoffe sehr, dass es mit meiner eigenen Familie mehr in diese Richtung gehen wird, gerade wenn die Kinder größer werden.
Mein Kleiner und ich kuscheln oft, da versuche ich dran zu bleiben. Meine Große (4) ist leider nicht so arg kuschlig, ABER mich hat DIE LISTE *g* inspiriert: Ich habe den Kleinen mit der Babysitterin weggeschickt und meiner Großen den Rücken massiert, richtig mit Öl und so. Fanden wir beide toll – und ich bin sehr dankbar für die Inspiration!
Viele Grüße
Karin
… und ich bin sehr dankbar für diesen Kommentar! Liebe Grüße, Uta
Eigentlich hatte ich gestern einen langen Kommentar hier geschrieben. Komisch.
Die Zweitfassung muss jetzt kürzer werden, aber manchmal ist es ja auch nicht schlecht, sich kurzzufassen. 😉
Kuscheln und überhaupt positiven Körperkontakt gab es in meiner Herkunftsfamilie genauso wenig wie Lob und Bestätigung. Seit Generationen. (Meine Mutter schenkte mir zur Geburt das Buch von herrn Winterhoff) Deshalb stieß es dort auch schon immer auf Befremden, dass mein Sohn ein Kuschelmonster war und immer noch ist und ich das ganz natürlich finde – angefangen vom Stillen („Jetzt wird es aber mal Zeit, dass deine Brust wieder dir gehört!“) bis zum auf dem Schoß sitzen und Rücken streicheln („Hängst du schon wieder/immer noch an der Mama? Dafür bist du doch wirklich schon viel zu groß.“). Inzwischen nur noch selten öffentlich, da darf ich seit Kurzem nicht mehr knuddeln und die Haare glattstreichen, denn das würde ja die Coolness in präpubertären Kreisen beeinträchtigen, aber dafür umso lieber zuhause dann, nach einem langen Schultag, an dem man obercool sein musste. 😉
So lange er das noch mag, freue ich mich drüber – es wird schnell genug vorbei sein damit, wenn das dann kichernde Zahnspangenträgerinnen übernehmen. Und die wird er dann ja hoffentlich nicht auch noch mit in mein Bett zum Kuscheln und Vorlesen bringen. Obwohl ihm momentan noch nicht eingeht, was daran denn unpassend sein könnte… 😉
Herzlich, Katja
Danke, dass du noch einmal geschrieben hast. Nach der „Kurzfassung“ hätte ich ja gerne die Langfassung gelesen:-) Liebe Grüße, Uta
Liebe Uta,
ich liebe deinen Blog! Und ich könnt dich drücken für diesen Beitrag von dir! Danke von Herzen dafür dass ich schwarz auf weiß lesen kann, dass ich NICHTs falsch mache wenn ich ein supergutes Verhältnis zu meinen Großen (18 und 15) habe und auch mit der Kleinen (6) schmuse und knuddle wie wir beide es möchten. Tut so gut das auch mal zu lesen von jemanden, dessen Meinung ich sehr zu schätzen gelernt habe – seit ich deinen Blog lese *lach*.
Alles Liebe, viele Grüße, Karin aus dem Bayerwald
Dieser Kommentar war jetzt mein Betthupferl. DANKE! Uta
Es ist schön und tut gut, den Kindern und uns, also kann es nicht falsch sein, oder?
Ich bin schon länger ein stiller Leser Deines Blogs und ich finde Deine Beiträge immer wieder ganz wunderbar und mag Deinen Blog sehr!
Herzliche Grüße,
Kebo
Danke, Kebo, dass du aus der Stille kamst und geschrieben hast! Herzliche Grüße, Uta
Liebe Uta,
ich habe keine Kinder, aber ich liebe Deinen Blog. Deine Sicht auf das Thema Familie gefällt mir so richtig gut. Normalerweise lese ich nichts mehr, was sich um die Erziehung von Kindern dreht.
Hab mal eine Weile Erziehungswissenschaften studiert. Das aber irgendwann kurz vor Ende abgebrochen und da ich keine eigenen Kinder habe..aber bei Dir macht es richtig Spaß
Das Bild, das Du von Familie zeichnest, ist so locker und liebevoll, dass mir jedes Mal das Herz aufgeht.
Deine Bilder gefallen mir auch sehr und da ich Fotografin bin, glaube ich das gut beurteilen zu können;)
LG Kira
Liebe Kira, gestern Abend habe ich deinen Kommentar gelesen. Er tat so wohl nach einem sehr anstrengenden Tag. Lieben Dank und herzliche Grüße, Uta