Gegen Hirngespinste 

 27/04/2018

Ein kleiner Einblick in die 4-Fragen-Methode

Auf einer langen Autoreise gestern habe ich das Hörbuch „Lieben was ist. Wie vier Fragen Ihr Leben verändern können.“ von Byron Katie gehört. Ihr wisst, wie fasziniert ich davon bin, durch den Wandel meiner inneren Glaubenssätze mein Leben zu gestalten, die Beziehungen zu Mann und Kindern zu verbessern und einen Frühjahrsputz zu machen in meinem Gefühlshaushalt. Die Methode der vier Fragen ist dafür wie ein Werkzeugkoffer.
Kurz vor dem Elbtunnel, die Sonne hing gerade blutrot an den Hafenkränen, fiel mir ein Beispiel für die Anwendung in der Familie ein.
Eine Mama erzählte mir neulich: „Mein Sohn, 13 Jahre alt, ist weder ausdauernd noch zielstrebig. Er hat einfach nicht genug Willenskraft. Er könnte in der Schule viel mehr erreichen, aber er lernt zu wenig und zieht seine Sachen nicht durch.“
1. Frage nach Byron Katie: „Ist das wahr?“ Meine Ergänzung: „Spiel mal alle Situationen mit deinem Sohn vor deinem inneren Auge durch, schau dir euren Alltag genau an. Ist deine Behauptung ‚John ist weder ausdauernd noch zielstrebig.‘ wahr?“
Mama: „Ja, das ist wahr. Ich sage ihm häufig, wenn er ein wenig mehr für die Klassenarbeit lernen würde, könnte er richtig gute Noten erreichen. Aber er will es einfach nicht. Er hat keinen Ehrgeiz. Als er noch ganz klein war, hat sogar die Kinderärztin schon erkannt, dass er einen schwachen Antrieb hat und es mal schwer haben wird.“
2. Frage nach Byron Katie: „Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?“ 
Mama (denkt länger nach): „Na ja, eigentlich bezieht sich das nur auf Sachen, die ihn nicht interessieren. Wenn etwas seine Leidenschaft kitzelt, hat er plötzlich ganz viel Energie. Zum Beispiel wenn bei uns im Haushalt neue Informationstechnologie angeschlossen werden soll, dann fuchst er sich da rein, befasst sich ausdauernd damit und tüftelt so lange, bis er alles perfekt eingerichtet hat. Ja, stimmt. Wenn ich so darüber nachdenke, ist er auf manchen Gebieten sogar sehr zielstrebig. Ich mache mir nur Sorgen, dass er bei den Dingen, die wichtig sind im Leben, den Anschluss verliert und zum Beispiel wichtigen Schulstoff nicht aufholen kann.“
Uta: „Dass John als Mensch grundsätzlich die Charakter-Eigenschaft hat, weder ausdauernd noch zielstrebig zu sein, stimmt also nicht?“
Mama: „Nein, das ist nicht wahr.“
3. Frage nach Byron Katie: „Wie reagierst du, was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst?“ Uta (zur Erläuterung): „Wie verhältst du dich gegenüber John, wenn du im Kopf den Gedanken hast ‚Die Kinderärztin hat Recht. Mein Sohn ist weder ausdauernd noch zielstrebig‘.?“
Mama: „Meine Güte! Das sehe ich jetzt. Wenn ich ihm helfe, für eine Klassenarbeit zu lernen, bin ich von Anfang an nervös und genervt, weil ich mir innerlich sage, dass es doch nichts werden kann, weil er einfach keinen Biss hat, um gute Noten zu erreichen. Ich bin dann sehr ungeduldig. Und er ist auch genervt. Es endet immer im Streit.“
Uta: „Der Gedanke in deinem Kopf vermiest also die Stimmung und blockiert das Lernen mehr, als dass es ihm nützt. Zudem haben wir auch noch festgestellt, dass der Gedanke gar nicht wahr ist. Das machen wir alle. Wir entwickeln unbewusst Überzeugungen und Gedanken und halten verbissen an ihnen fest, obwohl sie weder stimmen noch uns nützen. Im Gegenteil. Sie schaden uns häufig massiv. Deshalb hat Byron Katie die 4-Fragen-Methode entwickelt, um unsere schädigenden Gedanken zu erkennen und wandeln zu können.“
Mama: „Verstehe. Diesen Gedanken zu haben, hat mich also eher blockiert, als dass er uns weiter geholfen hätte.“
4. Frage nach Byron Katie: „Wer wärst du ohne den Gedanken?“
Mama: „Oh, ich fühlte mich befreit. Das tue ich jetzt schon. Mir ist klar geworden, dass es sich nicht um eine grundlegende Charaktereigenschaft handelt, sondern dass John genug Energie und Ausdauer entwickeln wird, wenn es darauf ankommt. Ich sehe auch, dass seine Motivation viel größer ist, wenn ich mich nicht einmische und ihn antreibe, wie bei den Computer-Anschlüssen, von denen ich keine Ahnung habe. Ohne diese ständige Sorge um John würde ich aufhören, ständig nach Beweisen dafür zu suchen, wie antriebsarm er ist. Wir wissen ja – sie lacht – ‚wenn ich einen Hammer in der Hand halte, ist die Welt plötzlich voller Nägel‘. Vielleicht probiere ich es mal aus, ihn ganz allein für die nächste Arbeit lernen zu lassen.
Uta: „Du kannst ihm ja deine Unterstützung anbieten und fragen, welche Art der Hilfe er sich von dir wünscht.“
Mama: „Ja, das könnte ich mal versuchen. Auf jeden Fall werde ich aufhören, ihm so im Nacken zu sitzen. Wenn ich ehrlich bin, hat das ja – außer Streit – sowieso nichts gebracht.“
Nachdem man den belastenden Gedanken mit den vier Fragen geprüft hat, folgt nach Byron Katies Methode die Umkehrung. Dabei greift man auf, was man über einen anderen gedacht hat, kehrt es ins Gegenteil um oder setzt sich selbst an die Stelle der Person. Dabei geht es darum, die Variante zu finden, die einen am stärksten berührt und die größte Selbsterkenntnis enthält. 
Umkehrung:
Der Ursprungs-Gedanke lautete: „Mein Sohn ist weder ausdauernd noch zielstrebig.“
Die erste Umkehrung könnte heißen: „Mein Sohn ist ausdauernd und zielstrebig.“
Ist das wahr? Jetzt gilt es, in sich selbst nachzuspüren, ob diese Aussage nicht auch wahr sein könnte. Und in unserem Fall merkt die Mama, dass John die Eigenschaften Ausdauer und Zielstrebigkeit durchaus besitzt, nur noch nicht unbedingt auf den Gebieten, die sie sich wünscht.
Eine weitere Umkehrungsmöglichkeit ist, sich selbst an die Stelle der Person zu setzen, über die man den belastenden Gedanken hatte:
„Ich bin weder ausdauernd noch zielstrebig.“
Ist das wahr?
Mama: „Nein, das ist nicht wahr. Aber ich merke, dass ich mir selbst häufig den Vorwurf mache, meine Ziele nicht in letzter Konsequenz zu verfolgen. Dabei stimmt das gar nicht. Das meiste, was ich mir vornehme und was mir auch wirklich wichtig ist, erreiche ich. Offenbar projiziere ich diesen Vorwurf auf John. Kein Wunder, dass wir uns dann in die Wolle kriegen.“

Gerade bin ich viel auf Reisen. Hier: Oberhausen, Ripshorstbrücke, Foto: mein Vater

Soweit das Beispiel von Johns Mama.
Am Abend nach meiner Ankunft habe ich – ganz erfüllt von dem Hörbuch – die 4-Fragen-Methode an einem Gedanken ausprobiert, der mich belastet. Dazu habe ich Papier und Bleistift genommen und den Gedanken aufgeschrieben. Byron Katie betont, wie wichtig es ist, das schriftlich zu machen. So bleibt man konsequent dabei, wirklich dieses Werturteil zu untersuchen und verliert sich nicht in Ausflüchten oder auf Nebenschauplätzen.
Den Gedanken sollte man ruhig ausschmücken und alle Gefühle auf das Blatt bringen, die ihn begleiten. So schrieb ich: „Petra* sollte meine Arbeit anerkennen und meine Ratschläge umsetzen. Ich fühle mich in meiner Kompetenz missachtet, wenn sie es nicht tut, die arrogante Kuh. Kann sie sich denn nicht vorstellen, welche Sorgen ich mir mache, wenn sie sich nicht meldet und ich nicht weiß, wie sie ihr Problem gelöst hat?! Wahrscheinlich hat sie es nicht gelöst, weil sie ja mein Wissen nicht annimmt. Und wenn es dann schief geht, soll ich mir wieder das Gejammer anhören …“
Bei der Untersuchung mit den vier Fragen habe ich schnell gemerkt, dass mein Gedanke nicht wahr ist. Woher weiß ich, dass sie meine Arbeit nicht anerkennt? Wie komme ich zu der Anmaßung, sie müsste meine Ratschläge umsetzen und nach meinen Vorstellungen leben? Der Gedanke und damit meine Vorwürfe lösten sich schnell in Luft auf und ich merkte, wie viel freier ich mich ohne dieses Hirngespinst fühlte. Und als ich schließlich die Umkehrungen ausprobierte, brachte Folgende die größte Selbsterkenntnis:
von: „Petra sollte meine Arbeit anerkennen und meine Ratschläge befolgen.“
in: „Ich sollte meine Arbeit anerkennen und meine Ratschläge befolgen.“
Von der Wirkung dieser simplen Übung bin ich so fasziniert, dass ich nun immer mit Papier und Bleistift jedem belastenden Gedanken, der meine Stirn umwölkt,  oder jedem Vorwurf, den ich jemand anderem gegenüber hege, zu Leibe rücken werde.
Was ich in diesem Beitrag grob umrissen habe, findet ihr in Byron Katies Buch ausführlich und mit vielen Beispielen. Und hier könnt ihr euch den Fragebogen von „The work“, wie Byron Katie ihre Arbeit nennt, auf Deutsch ausdrucken.
Ist jemand schon vertraut mit der Methode? Wer wendet das an in seiner Familie? Ich freue mich über Kommentare.
Immer fröhlich sich die vier Fragen stellen,
eure Uta
PS: Ich danke meiner Freundin, die für mich immer den Tipp hat, den ich gerade brauche. Das ist mir fast schon unheimlich, liebe Isa!

*natürlich ist der Name verändert.

Das Titelbild ist von Julia M Cameron von Pexels. Vielen Dank!

  • Faszinierend! Muss ich mal ausprobieren. Gerade ist das Leben in entscheidenden Bereichen mal wieder etwas mürbend ? vielleicht hilft die Methode, Licht ins Dunkel zu bringen…
    Danke ?
    Steffifee

  • Danke, liebe Uta! Es ist so schön, diese Dinge/Erkenntnisse/all das mit Dir teilen zu können. Und super angewendet … ich habe „the work“ noch besser verstanden …

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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