Was mich in diesen Tagen inspiriert hat.
Über Lernsoftware habe ich in meinem vorletzten Post geschrieben und wie sehr sie – richtig eingesetzt – Lehrer entlasten und Schüler individueller fördern kann. Aber nichts, gar nichts, ersetzt natürlich eine gute Lehrerin, einen guten Lehrer. Es ist wie zu Hause: ohne eine tragfähige Bindung kann ich keinen Einfluss nehmen.
Wie sehr Kinder nach so einer Bezugsperson dürsten, zeigt der kleine Zettel, den ein Mädchen ihrer Lehrerin „Frau Weh“ in die Hand drückte, als diese nach einigen Tagen Krankheit wieder in ihre zweite Klasse kam.
“Ich vermise dich so ser! Du bist einfach gut und schön und nett und schümpfst viel weniger als die Frau Dingens. Und obwol du nicht gar nicht schümpfst kannst du uns was beibringen und tust das ja auch. Das zeigt das du Herz hast und Köpfchen auch. Es ist würklich schreklich das du jetzt zu krank bist um zu uns zu kommen.”
Hier geht es zu der ganzen, wunderschön geschriebenen Geschichte von „Frau Wehs“ Rückkehr in den Unterricht.
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Am Wochenende habe ich in meinen alten Tagebüchern gelesen. Die Kindersprüche, die ich aufgeschrieben habe, waren sehr lustig (Steht Prinzessin, damals 4, beim Umziehen vor mir und fragt: „Wie ist das eigentlich, so einen HB zu tragen?“). Weniger lustig fand ich, wie ich mir in meinen Zwanzigern und Dreißigern das Hirn zermartert habe: Sorgen, Zweifel, Ängste, Bedenken. Und hat das zu irgendetwas geführt? Warum habe ich mir nicht einfach eine schöne Zeit gemacht?
Das hat mich wirklich erschüttert, dass ich es mir damals so schwer gemacht habe. Von nun an werde ich nur noch Dankbarkeitsbücher führen. Wer dankbar ist – und irgendetwas findet sich immer – , empfindet keinen Mangel.
„Dankbarkeit ist die einfachste Möglichkeit, glücklich zu sein.“
(Stefan Hiene)
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Kennt ihr den Samariter-Effekt oder auch Freundlichkeitenkette genannt? Es gibt eine Untersuchung (sorry, gerade finde ich die Quelle nicht wieder), die noch aus der Zeit stammt, als es Telefonzellen an jeder Ecke gab. Ein Telefon in so einer Zelle war so manipuliert worden, dass manche Nutzer nach dem Gespräch überraschend ihr Geld zurückbekamen. Wenn diese Menschen aus der Zelle traten, war es so arrangiert worden, dass sie jemandem begegneten, der – ich glaube – stolperte oder dem etwas aus der Hand fiel. Die Untersuchung zeigte, dass die, die überraschend Geld zurückbekommen hatten, unmittelbar danach deutlich hilfsbereiter waren als die, die leer ausgegangen waren. Die Forscher folgerten: Wer Freundlichkeit und Zuwendung erfährt, hat eine deutlich erhöhte Bereitschaft, diese weiter zu geben.*
Wenn man manchmal nicht weiß, wo man bei all den schlimmen Themen in der Welt ansetzen soll, kann man ja jeden Tag eine Freundlichkeitenkette starten.
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Dieser Satz steht seit wenigen Tagen an unserer Tafel im Flur …
und beschwingt mich sehr.
Wir müssen dem Priorität einräumen, wofür unser Herz schlägt. Auch Hirnforscher Manfred Spitzer schrieb einst**, dass unser Glücksempfinden nicht als kleine Aufheiterung zwischendurch gedacht ist, sondern wie ein Kompass: Ha, dabei erlebe ich Freude. Das sollte ich weiter verfolgen. Als Jammertal war diese Welt nie gedacht.
Vor kurzem durfte ich mir zwei Grundschulen an ihrem Tag der offenen Tür anschauen. Interessante Konzepte wurden vorgestellt: verschiedene Lernwerkstätten, jahrgangsübergreifender Unterricht, Klima-Schule … Ich machte mir Notizen und nahm mir fest vor, über das eine oder andere Thema zu Hause mehr zu lesen. Zum Lesen kam es bisher nicht, aber eine Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf. In einer der Schulen bin ich einer Lehrerin begegnet, die einen Schulhund mit sich führt. Im vergangenen Sommer hat sie sich einen Cockerspaniel-Welpen angeschafft und Oskar behutsam an ihren Arbeitsplatz in der Schule gewöhnt. Inzwischen darf Oskar an bestimmten Tagen mit in ihre Klasse kommen. Und die Lehrerin berichtete mir begeistert, wie wohl der kleine Spaniel den Kindern tut. Ich liebe solche Projekte. Getreu dem Motto „Take your pleasure seriously“ habe ich die trockene Literatur vom Schreibtisch geräumt und der Lehrerin mit Hund eine Mail geschrieben. Gestern kam die Antwort: Am nächsten Freitag darf ich in einer Hundestunde mit dabei sein und in der Pause Fotos machen von Oskar und seinen Freunden aus der 4a einer Hamburger Grundschule. Oh, was für eine „pleasure“. Ich werde berichten.
Nehmt ihr ernst und wichtig, wofür euer Herz schlägt? Mögt ihr mir Beispiele schreiben?
Immer fröhlich der Freude folgen.
Eure Uta
* zum ersten Mal bin ich in einem Video von Vera Birkenbiel auf die Freundlichkeitenkette gestoßen, aber auch das Video finde ich nicht wieder. Hat jemand den richtigen Link?
* * nach Manfred Spitzer: Kritik der Disziplin aus (neuro-)biologischer Sicht. in: Micha Brumlik (Hrsg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb. Weinheim und Basel 2007, Seite 2
Liebe Uta,
Hunde in der Schule motivieren und begeistern ungemein. Der große Herzbube bekommt donnerstags in seiner Schule Besuch von Therapiehunden – sein absolutes Wochen-Highlight. Eine Lehrerin bringt ihren Hund täglich mit in die Schule.
Die Hunde helfen dem Herzbuben, sich besser zu fokussieren.
Meine derzeitige Freude ist, neue Rezepte/Lebensmittel auszuprobieren, deinen Blog zu lesen, immer noch zu stricken. Mein Herz schlägt für den Austausch mit Freunden und das Thema „Autismus . Naja, und klar für meine Herzbuben.
Das sind Dinge, die immer großen Raum einnehmen.
Liebe Grüße,
Frieda
Das war mal wieder ein sehr inspierender Beitrag, liebe Uta. Das habe ich HEUTE, einem Tag, bei dem ich schon früh um halb neun an meine Grenzen gestoßen bin, wirklich gebraucht.
Ein bisschen Selbstreflexion schadet nie, nicht nur, was die eigenen nicht erfüllten Ansprüche angeht (nicht Kind anbrüllen), sondern auch was die nicht erfüllten Bedürfnisse angeht (keine Zeit für eine ruhige Tasse Tee gehabt).
Danke – mal wieder!
Es grüßt die Steffi Fee
Ja ich bin im Moment total mit meinen zwei Kindern und meiner Ausbildung (Erzieherin) „gepleasurt“ 🙂 es gibt so tolle und interessante Dinge mit den kleinen zu entdecken und erfahren das ich wirklich glücklich bin diese Ausbildung zu machen. Es ist zwar viel Arbeit aber eben auch pleasure…..
Liebe Uta,
oh wie toll … du guckst dir den Oscar an 🙂 Gerade, da heute in der Spielgruppe kurz das Thema Schule aufkam und ich wieder so unsicher wurde, freu ich mich sehr darüber, dass du nochmal den Weg in die Schule machst … und auf deinen Bericht natürlich!
Auch sehr ermutigend finde ich dein Tagebuch-Erlebnis … weil ich ja genauso bin … ich kann es einfach nicht abstellen … aber ich arbeite daran 🙂
Die Nadel von meinem Glücksempfinden-Kompass müsste sich, glaube ich, mal wieder neu ausrichten … was will ich wirklich? Nordsee oder Stadt … Schreiben oder nicht … Getrennt leben oder nicht … manchmal habe ich so kurze Momente, da fühlt es sich richtig an, da denke ich: Ja genau so! Und zack … wieder bin ich mir nicht sicher, ob mich das echt glücklich macht. Das Sprachbild mit dem Kompass ist großartig!
Und nachher luscher ich mal bei Frau Weh vorbei … das ist ja zu süß!
Danke, liebe Uta!
Und viele Grüße,
Dorthe
„Als Jammertal war diese Welt nie gedacht.“… was ein schöner Satz, den zu glauben vor allem die Deutschen sich irgendwie besonders schwer tun.
Ständig zu jammern über die Dinge, die man eventuell noch nicht hat, oder noch eventueller weniger haben könnte, oder die jemand anderer hat oder bekommen könnte – anstatt dankbar zu sein für all die vielen Dinge, die man hat… das ist so absurd, vor allem in unserem Land.
Früher habe ich die Dinge, für die mein Herz schlägt, nicht so wichtig genommen, bin mehr den Pflichten und Erwartungen anderer hinterhergerannt – auch weil die Dinge, für die mein Herz schlägt, oft nicht kompatibel waren mit dem, was andere sich so ausgedacht haben, für was mein Herz besser schlagen sollte. Das ist ganz schön schwer, sich das irgendwann zu gestatten – aber es wird leichter, je älter ich werde. Vielleicht ist das eine der großartigsten Folgen des Älterwerdens – dass es einem immer egaler wird, was andere über die Dinge denken, für die das eigene Herz schlägt.
Was? Auf Bergen stehen, durch den Wald streifen, den Himmel beobachten, die ganze Nacht durch ein Buch lesen… zum Beispiel.
LG, Katja