Mit Quatsch und Kissenschlachten Konflikte lösen
Leserin Bianca hatte mir das Buch „Spielen schafft Nähe - Nähe löst Konflikte“ von der schweizerisch-amerikanischen Entwicklungspsychologin Aletha Solter empfohlen. Ich hatte - etwas arrogant - darauf geantwortet, dass meiner Ansicht nach Mamas heute sowieso zu viel um ihre Kinder kreisen und es häufig reichen würde, sie wären einfach nur präsent. Eltern müssen nicht die Spielkameraden ihrer Kinder sein. „Neue Spielideen? Das brauchen wir nicht“, dachte ich.
Nun habe ich das Buch gelesen und gebe Bianca recht. Es enthält ganz viel Hilfreiches.
Gerade wenn es mit den Kindern nicht gut läuft, kann ein unheiliger Ernst von einem Besitz ergreifen. Man wird strenger, lauter, grimmiger, spricht dann doch Verbote und Drohungen aus und wird zu der Spaßbremse, zu der man als Kind nie werden wollte.
Solche Situationen rufen Aletha Solter auf den Plan. Mit ihren Ideen bringt sie das Lachen zurück in die Eltern-Kind-Beziehung. Entspannt geht dann vieles leichter.
Ich schreibe mal auf, was bei der Lektüre bei mir „hängen geblieben“ ist. Größenteils verwende ich nicht die Fachbegriffe, weil ich denke, im Hagel der Bauklötze oder Schimpfwörter könnt ihr kaum abrufen, was nochmal ein „Regressionsspiel“ oder ein „Nicht-direktives Spiel“ war.
Versteckspiele aller Art
Im Flieger saß mein Mann in einer Reihe mit einer Mama und ihrem etwa einjährigen Sohn. Mein Mann nahm seine Zeitung, verschwand dahinter, schaute oben über den Rand, tauchte wieder ab und so weiter. Der Kleine war wie gebannt, strahlte und kurz vor der Landung überreichte er meinem Mann als Zeichen ihrer frischen Freundschaft seinen Stoffelefanten.
Wir brauchen kaum das Buch einer Entwicklungspsychologin, um intuitiv solche Spiele mit Kleinkindern zu machen. Aber Aletha Solter verdanken wir die Erklärung, warum sie solch eine Freude daran haben: im Alter zwischen etwa acht Monaten und ihrem zweiten Geburtstag „fremdeln“ Kinder. Es ist evolutionär in ihnen angelegt, dass die Trennungsangst in dieser Phase am größten ist. Versteckspiele greifen diese Angst auf. Ein Mensch oder ein Gegenstand verschwindet, ist wie vom Erdboden verschluckt und taucht plötzlich wieder auf. Für kleine Kinder ist das wie die tröstliche Botschaft, dass nichts wirklich verloren geht. Und so helfen Versteckspiele ihnen, die innere Spannung abzubauen. Besonders wenn sie gerade an eine fremde Betreuung gewöhnt werden sollen und sie täglich kleine Abschiede von Mama und Papa zu verarbeiten haben, kann diese Art von Spaß alles etwas leichter machen.
Machtumkehr-Spiele
Wenn ich ein Kind Huckepack nehme, kann ich mit ihm vereinbaren, dass es nur auf meine linke Schulter zu tippen braucht, dann gehe ich nach links, tippt es rechts, galoppiere ich zur anderen Seite. So kann mein Reiter mich steuern. Er bekommt ein wenig Macht über den Erwachsenen.
Kinder werden tagein und tagaus von ihren Eltern gelenkt. Die Großen müssen ihnen übermächtig erscheinen. Da tut es wohl, wenn sich die Macht gelegentlich umkehrt. Welch ein Spaß, wenn ich auf Papas Rücken sitzen und ihn überall hinsteuern darf! Wie lustig, wenn ich Oma ihre Tabletten geben darf und sie den Mund zusammenkneift, mit den Füßen aufstampft und ich ihr mit Fernsehverbot drohen muss. Welch eine Freude, wenn der Patenonkel bei der Kissenschlacht sich vor Treffern kaum retten kann und dramatisch zusammen sinkt.
Machtumkehr-Spiele sind eine Wohltat für Kinder. Das Lachen kehrt zurück. Streit kann sich auflösen. Alle sind plötzlich wieder kooperativer.
Aletha Solter beschreibt aus ihrer Beratungspraxis, wie in dem einen oder anderen Fall eine Kissenschlacht, bei der ein Kind seine Eltern mal so richtig bombardieren durfte, Familien in stressigen Situationen (viele Umzüge, Scheidung …) sehr geholfen hat. Endlich finden die negativen Gefühle gegenüber Mama und Papa ein Ventil. Endlich darf das Kind zu Befreiungsschlägen ausholen. Und wenn die negativen Gefühle raus sind, können positive Gefühle reinkommen. Sehr heilsam.
Machtumkehr-Spiele können auch helfen, wenn Waffen ein Konflikt-Thema sind:
Aletha J. Solter
„Kinder haben ein so starkes Bedürfnis nach Kriegsspielen, dass es wenig sinnvoll ist, sie zu verbieten, solange sie niemanden dabei verletzen. Statt solche martialische Aktivitäten zu untersagen, können Sie Ihrem Kind bei der Verarbeitung seiner Gefühle helfen, indem Sie sein Spiel in ein Machtumkehrspiel verwandeln. Wenn Ihr kleiner Sohn mit dem Finger auf Sie zielt und ‚Peng, peng, du bist tot!` brüllt, reagieren Sie am besten darauf, indem Sie so dramatisch wie möglich ‚das Zeitliche' segnen.“ "Spielen schafft Nähe - nähe löst Konflikte", Seite 111
Ich bin ganz gerührt! Danke für Deine Offenheit! ?
Man liest bei den Beispielen zwischen den Zeilen quasi schon den Spaß und die gute Stimmung!
Wie merk ich mir das jetzt bloß alles? 😉
Aber wie du schon schreibst, manches macht man einfach intuitiv. Bei uns war beim Bettfertigmachen der „lebende“ Waschlappen beliebt, der die Kinder auffressen wollte. Besonders gern mochte er Käsefüße! 😀