Wie eine Familie für eine Weltreise alles aufgab 

 26/01/2017

Weil ich krank war, habe ich einen schönen Buchtipp für euch.

Ich habe mir eine Grippe eingefangen und war bei der Ärztin. Als sie mich sah, zog sie sich sofort einen Mundschutz über und meinte nach meinem Bericht: „Das ist die Grippe.“  Ich machte noch ein paar Diagnose-Vorschläge („Bronchitis, Lungenentzündung?“), weil ich dachte, ich könnte sie dazu bewegen, mich abzuhorchen. Horcht denn heute niemand mehr ab? Ich hörte das auch im hustenden Bekanntenkreis. Alles bellt sich die Lunge aus dem Hals, aber kein Arzt setzt einem mehr die metallisch-kühle Metallscheibe vom Stethoskop auf den Rücken, um auf ein verdächtiges Rasseln zu lauschen. Dabei ist das eine Kindheitserinnerung mit garantiertem Placebo-Effekt.
Nach dieser Ferndiagnose über den breiten Schreibtisch verließ ich also die Praxis. Und als es mir nach literweise Hühnerbrühe und Ingwer-Zitronen-Tee am anderen Tag deutlich besser ging, nutzte ich die verordnete Bettruhe, um endlich das Buch „Eine Million Minuten“ von Wolf Küper zu lesen.
Stellt euch eine Familie aus Bonn vor, Vater, Mutter, Tochter und Sohn, die von einem Tag auf den anderen beschließen, zwei Jahre auf Weltreise zu gehen. Nicht, weil sie im Lotto gewonnen hätten, sondern weil die vierjährige Nina eines abends zum Papa sagt: „Ach Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz schönen Sachen, weißt du?“
Nicht, dass Wolf Küper nicht schon viel von der Welt gesehen hätte. Er ist hochdekorierter Umweltforscher, schreibt Gutachten für die UNO und wird entsandt auf Klimagipfel und Umweltkonferenzen in Afrika und Südamerika. Beruflich hat er alles erreicht, aber meist ist er wochenlang in Konferenzsälen und Hotelzimmern fern der Familie, angewiesen auf Telefon und Skype, um von seiner Frau zu erfahren, wie es „Mr. Simon“, dem Baby, geht und vor allem, wie es Nina geht. Denn die Tochter zeigt große Entwicklungsverzögerungen und stellt die Ärzte vor Rätsel.
Vielleicht war es ein Gutachten zu viel, das auf Konferenzen zerredet wurde, vielleicht ein Quadratkilometer Regenwald zu wenig, der nicht gerettet werden konnte, oder es war wirklich Nina, ihre beiden dünnen Arme um Papas Hals und die Millionen-Minuten-Frage, die die Familie alles aufgeben ließ. Wolf Küper kündigte seine Stelle, seine Frau und er verkauften alles, was nicht  in die Koffer ging, und flogen mit den Kindern nach Asien, dem Beginn ihrer Weltreise. Endlich Zeit „nur für die ganz schönen Sachen“.
Wolf Küper führt Tagebuch in dieser Zeit, hält fest, wie es nach und nach keine so große Rolle mehr spielt, dass Nina für alles so lange braucht. Denn jetzt haben sie keine Termine mehr. Je länger sie unterwegs sind, desto mehr rücken berufliche und Therapeuten-Termine in die Ferne, verlieren Wochentage und Zubettgehzeiten an Bedeutung.
Mich beeindruckt an dem Buch, wie sehr es den Küpers bei dieser Reise nicht nur darum geht, neue Länder  zu entdecken, sondern intensiv Zeit als Familie miteinander zu verbringen.

Eines der überraschendsten Dinge aber war für mich das Gefühl, wir hätten uns gegenseitig kennengelernt. Ist das absurd zu denken, man würde seine eigenen Kinder kennenlernen? Beide, Simon und Nina, waren jedenfalls viel komplexere, tiefgründigere Persönlichkeiten, als ich mir das vorgestellt hatte.“ (Seite 222)

Schließlich haben die vier nicht nur schöne Momente erlebt, sondern auch viele Beschwernisse gemeinsam durchgestanden. Denn auf so einer Reise taumelt man ja nicht nur von einem Paradies ins nächste. In Neuseeland erlebten sie den kältesten Winter seit 40 Jahren, rutschten mit dem Wohnmobil beim Wenden auf einer verschneiten Bergstraße in einen Graben und mussten über Nacht aneinander gekuschelt darin ausharren.
O-Ton aus dem Wohnmobil:

Eine Stimme flüstert in der Dunkelheit: „Papa?!“
„Ja!“
„Bist du da?“
„Ja.“
„Ich auch.“
„Das habe ich mir fast gedacht“, flüstere ich.
„Und Mama und Mr. Simon sind ja auch da.“
„Ja.“
„Jetzt ist es soo schön zuhausig, ne?“

Ich habe „Eine Million Minuten. Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“, sehr gerne gelesen, weil man gedanklich mit auf Reisen geht und Abstand gewinnt von all dem, was wir alle immer glauben, zu müssen, zu sollen und zu brauchen.

Zum ersten Mal Pazifik – Prinzessin und Kronprinz vor vielen Jahren auf einer unserer Reisen.

Was sind für mich die Minuten nur für die ganz schönen Sachen?
Für mich braucht es dazu keine Weltreise. Heute Nachmittag hier in Hamburg gab es für mich solche Minuten. Mein Mann kam früh nach Hause, Kronprinz und seine Freundin waren schon da und schließlich bog Prinzessin noch mit ihrem Fahrrad um die Ecke. Wir haben zusammen gegessen, Kaffee getrunken und lange um den großen Tisch gesessen. So schön. Und mein blöder Virus ist auch fast besiegt.
Immer fröhlich die ganz schönen Sachen im Blick halten.
Eure Uta
PS1: Ich wollte noch erwähnen, dass von der kleinen Nina aus dem Buch eine wunderbare Wortschöpfung stammt: „nur keine Hastik!“. Das wird mein neues Lebensmotto.
PS2: Dazu passt auch, dass Wolf Küper am Ende so rührend einer – ich glaube – Erzieherin von Nina dankt: „Gabriele Kaufmann war die Erste, die Nina ihre 8 Minuten plus fürs Schuhanziehen gelassen hat – ihr verdanke ich letztlich die Einsicht, dass jeder Mensch seine eigene Zeit hat.“
PS3: Herzlichen Dank an den Knaus-Verlag für das Rezensions-Exemplar!

  • Das klingt wirklich wahnsinnig toll! Direkt mal auf meine Liste geworfen für irgendwann mal.
    Ich war zwischen Weihnachten und Neujahr heftig krank. Im übrigen muss man als Patient in der Arztpraxis den Mundschutz tragen und nicht die Ärztin, da wird man direkt an der Rezeption aufgeteilt, damit man gesunde Menschen nicht zu nahe kommt.
    Zumindest hat sie mich abgehorscht um festzustellen, dass ich fast eine Lungenentzündung habe. Ohyey!
    Dir noch gute Besserung! 🙂
    LG

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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