Über einen Konflikt mit meinem Mann und mit Prinzessin
Das erste Beispiel hat nichts mit Erziehung, sondern mit Partnerschaft zu tun. Allerdings stecken wir unseren Partner auch gern in Umerziehungsprogramme. Insofern passt es doch ;-))).
Als mein Mann zu Ostern nach Hamburg kam, holte ich ihn spät abends am Flughafen ab. Die Woche war anstrengend. Jetzt wollte er nur noch nach Hause. Der erste Parkautomat, in den wir das Ticket schoben, schluckte das Geld, gab aber den Parkschein nicht zurück. Vorgang abgebrochen. Nächster Automat. Dieser wollte aus dem Stand die doppelte Parkgebühr. Mein Mann schnaubte, zahlte dann mit Karte. Geschafft. Als wir uns der Schranke am Ende unserer Parkreihe näherten, kam ein Mitarbeiter des Flughafens und begann den Kasten, in den man das Ticket schieben musste, aufzuklappen und zu putzen. Wartungsarbeiten. Mein Mann trommelte auf das Lenkrad. Ich atmete tief ein, tief aus. Endlich konnten wir fahren. Dann kam bis nach Hause eine rote Welle, die ihresgleichen suchte, Baustellen, verträumte Fahrer vor uns, die Stimmung im Auto so angespannt wie unsere Anschnallgurte.
Ich war sauer. „Konnte er sich nicht locker machen, ein bisschen erleuchteter sein? Wir waren doch zusammen im Auto. Alles gut. Konnten wir nicht das schon genießen?“ Und so Gedanken wie: „Wo Widerstand ist, erzeugt man Widerstand. Bei mir hätte der Parkautomat sicher funktioniert, wären die Ampeln grün gewesen …“
Endlich waren wir zu Hause. Aber die schöne Heimkehr war vermasselt. Zumindest für mich. Denn in mir tobten die Vorwürfe. „Mein Mann sollte anders nach Hause kommen, sich anders verhalten, anders sein… Er sollte meditieren, mittags einen Power Nap oder wenigstens Autogenes Training machen. Da gibt es doch Möglichkeiten, wenn man nur will! Und so weiter und so fort. Grrrrrrr!“ Ihr könnt euch vorstellen, wie österlich entspannt wir waren.
Ist es nicht genial, dass dann eine Nacht folgt und ein frischer Tag? Das denke ich so oft. „Jeder Tag ist wie ein neues, weißes Blatt“, hat beim Coaching mal eine Trainerin zu mir gesagt. Wie recht sie hat! Und wie ermutigend!
Ich saß in aller Frühe in meinem Lesesessel, forschte in meinem Inneren und erkannte: Mein Mann wütete gegen Parkautomaten und Ampeln. Und ich? Ich wütete gegen ihn. Er ist sauer auf ein paar Geräte, aber es käme ihm nie in den Sinn, seinen Ärger an mir abzulassen. Ich hielt mich zwar – wegen meiner Duldsamkeit gegenüber Ampeln – für eine weibliche Ausgabe des Dalai Lama, kannte aber keine Scheu, den Menschen an meiner Seite heftig zu entwerten. Interessant.
Erkenntnis 1: Mein Ego nutzt auch vermeintliches Erleuchtet-Sein, um sich noch stärker in den Vordergrund zu drängen.
Dann fiel mir auf, wie auch unsere unterschiedlichen Kindheits-Prägungen bei der Hochspannungs-Autofahrt eine Rolle spielten. Mein Mann kommt aus einem extrem arbeitsamen und ergebnisorientierten Elternhaus. Fleiß ist der höchste Wert. Effizienz kommt direkt dahinter. Und Gefühlsausbrüche bei Misserfolgen gehörten zu seinem Aufwachsen wie sein Bonanza-Rad mit dem Fuchsschwanz. Ein Satz wie „Der Weg ist das Ziel“ wäre dort nie auf ein Kissen gestickt worden.
Bei mir zu Hause saß man auch gerne mal um eine Kerze. Meine Eltern sind unglaublich geduldige und ruhige Menschen. Gefühlsexplosionen, Ausraster, Wut, die nach außen drängt, das ganze Konzert der Gefühle fand wenig Anklang. Da bin ich reingewachsen. Man ist duldsam, immer friedfertig, bescheiden in seinen Ansprüchen und äußerst zurückhaltend im Ausdruck seiner selbst.
Und wenn man Jahrzehnte später mal ein bisschen Stress hat, schaltet die Vergangenheit auf Auto-Pilot. Das Muster meines Mannes: Ich fühle mich nur gut, wenn ich etwas bewirke und vorankomme. Mein Muster: Es ist böse und gefährlich, wütend und ungeduldig zu werden. Die alten Muster haben einen fest im Griff, tief eingeprägte Schutz-Mechanismen laufen zu Höchstform auf und führen Kämpfe (gegen Ampeln, gegen sich selbst, gegen den Partner), wo sich weit und breit kein wirklicher Gegner findet.
Erkenntnis 2: Wir werden besonders in Stresssituationen gesteuert von dem, was wir als Kind als hilfreich für unser Überleben abgespeichert haben.
Erkenntnis 3: Es hat sehr geholfen, eine Nacht darüber zu schlafen und dann mit meinem Mann darüber zu sprechen. Ich habe ihm gesagt, wie leid es mir tut, ihn so entwertet zu haben. Danach hatten wir den schönsten Karfreitag, den man sich vorstellen kann.
Dass unsere alten Kindheitsmuster und unsere Ego-Eskapaden auch bei Konflikten mit unseren Kindern eine entscheidende Rolle spielen, liegt auf der Hand. Gerade lese ich das Buch „Entdecke dich selbst durch dein Kind. Wie wir Kinder achtsam erziehen, indem wir Veränderung in uns selbst zulassen“ von Shefali Tsabary. Der New-York-Times-Bestseller, der seit 2015 auch auf Deutsch vorliegt, entspricht ganz meiner Philosophie für ein Leben mit Kindern, auch wenn ich mir das Buch an mancher Stelle etwas konkreter wünschen würde. Shefali Tsabary stammt aus Indien, hat in den USA Psychologie studiert und betreibt in New York eine eigene Praxis für Eltern-Coaching. Kern ihrer Beratung ist, die Achtsamkeits-Philosophie Eckhart Tolles auf die Arbeit mit Familien zu übertragen.
Sie schreibt:
„Immer wenn wir auf unser Kind reagieren, sollten wir uns klarmachen, dass wir tatsächlich auf Teile von uns selbst reagieren, die das Kind reflektiert. Daher sehen wir unsere Kinder kaum so, wie sie sind, sondern stellen sie uns als „Mini-Ich“ vor, was unser Ego auch anstrebt. … Daher identifizieren wir uns auch im Übermaß mit unseren Kindern, ihren Gefühlen und ihren Problemen. Da wir weder in der Lage sind, unsere Emotionen von ihren zu trennen, noch objektiv und rational zu sein, identifizieren wir uns in Wirklichkeit mit etwas aus unserer eigenen Vergangenheit. In diesem … Prozess ersticken wir unabsichtlich die Fähigkeit unserer Kinder, sie selbst zu sein, und binden sie auf eine Weise an unsere Psyche, die sie nicht brauchen.“ (Seite 75/76)
Auch ich bin überzeugt: wenn wir die Beziehung zu unseren Kindern auf eine gute Grundlage stellen oder sie verbessern wollen, führt kein Weg daran vorbei, uns selbst persönlich weiter zu entwickeln. Dazu bedarf es keiner monatelangen Therapien, sondern eines größeren Bewusstseins für unsere eigenen Ego-Spielchen.
Ein Beispiel:
Ich war mit Prinzessin (18) in die Stadt gefahren, um mit ihr einen Sport-BH zu kaufen. Dieser Shopping-Tripp war von mir von langer Hand vorbereitet worden. Ich hatte mir eine Empfehlung für einen Laden geben lassen, in dem man wohl besonders gut beraten würde. Und da ich einen Horror davor hatte, unser Auto in der Ecke nicht abstellen zu können, hatte ich auch ein nahegelegenes Parkhaus herausgesucht. Planmäßig erreichten wir unser Ziel, fanden den Laden und zufrieden schlenderte ich zwischen den Ständern mit einer großen Auswahl an BHs. Hatte ich das nicht geschickt eingefädelt? War ich meiner Tochter nicht die beste Mama, die sie sich wünschen konnte? Eine mütterliche Freundin, fach- und ortskundig, sanft lenkend in Stil- und Mode-Fragen?
Prinzessin aber checkte das Angebot, sagte: „Das ist nicht mein Laden!“ und war keine zwei Minuten später wieder draußen. Ich stand da zwischen den ganzen C- und D-Cups und spürte, wie ich ärgerlich wurde. Gedanken: „Ich hatte doch diesen Laden extra herausgesucht. Da macht man sich solch eine Mühe und es wird nicht geschätzt! Sie könnte doch wenigstens etwas anprobieren. Sie sollte …, sie hätte doch …, warum ist sie nicht wie ich …, … “ In meinem Kopf ging es nur um mich. Das Ego lief zur Höchstform auf. Ich hätte fast gesagt: „Guck doch mal richtig hin! Probier bitte wenigstens ein Modell an! Sei nicht so voreingenommen!“ Dabei kenne ich das doch auch, dass ich in einen Laden gehen und sofort weiß: Hier werde ich nichts finden. Zudem hatte Prinzessin mich mit keinem Wort darum gebeten, unseren Wäscheeinkauf generalstabsmäßig vorzubereiten. Zum Glück hielt ich den Mund, wir ließen das Auto stehen, wo es war, und liefen zu einer Boutique, die sie vorschlug. Auf Anhieb fand sie dort zwei passende Modelle. Wir gingen noch einen Kaffee trinken und hatten den schönsten Nachmittag.
Das Beispiel ist harmlos. Ich kenne aber etliche Familien, die sich aus solchen Banalitäten heraus in schlimmste Streitigkeiten verstricken und in denen die Eltern und Teenager-Kinder sich immer weiter voneinander entfernen. Wenn sich die Halbwüchsigen nicht so verhalten, wie wir uns das vorstellen, nehmen wir es gerne persönlich: Wir fühlen uns ohnmächtig, vielleicht sogar als Versager. Dabei hatte das Verhalten des Teenagers gar nichts mit uns zu tun. Und dann schaukelt es sich hoch: Ich fühle mich nicht respektiert und überschreite die persönlichen Grenzen meines großen Kindes. Dieses fühlt sich nicht respektiert, unter seiner Würde behandelt und feuert zurück mit Verletzungen. Ego kämpft gegen Ego … ein Teufelskreis.
Shefali Tsabary schreibt: „Das Dasein unserer Kinder zu feiern, bedeutet, ihnen zu erlauben, ohne die Fallstricke unserer Erwartungen zu existieren.“ (Seite 44)
Wie kommen wir in einen Engelskreis?
Kurz und knackig:
- Mindestens die Hälfte von dem, was wir sagen wollten, nicht sagen! (Nichts hilft mehr als das!)
- Abwarten, durchatmen, eventuell den Ort des Geschehens kurz verlassen, einen Raum lassen zwischen Reiz und Reaktion.
- Vertrauen, sich bewusst konzentrieren auf das Beste im eigenen Kind und wissen, dass das, was wir für unsere Tochter oder unseren Sohn wünschen, vielleicht nicht heute eintrifft, aber später … und auf ihre oder seine Art.
- Gemeint ist kein: „Mach du nur! Du wirst schon sehen, was du davon hast, wenn du nicht auf mich hörst.“ sondern „Ich liebe dich, ich vertraue dir und wenn ich etwas tun kann, um dich auf deinem Weg zu unterstützen, sag Bescheid.“
- Sich aufrichtig fragen: Geht es mir wirklich um mein Kind oder vielleicht auf einer tieferen Ebene um mich und um meinen Selbstwert als Mama oder Papa? Betrachte ich mein Kind als Erweiterung meiner selbst oder als eigenständiges Wesen?
- Ist es wirklich wahr, dass ich aus Liebe oder Sorge handele und es ja nur gut meine?
- Innere Erforschung: Kenne ich ähnliche Situationen aus meiner Kindheit? Wiederhole ich gerade ein Muster? Will ich das oder kann ich darüber hinaus wachsen? Ist das, worüber wir hier streiten, vielleicht mein Thema und meine Weiterentwicklungs-Chance und nicht die meines Kindes?
Immer fröhlich sich das eigene Ego bewusst machen,
eure Uta
PS1: Auf das Buch „Entdecke dich selbst durch dein Kind“ von Shefali Tsabary werde ich wahrscheinlich ausführlicher eingehen, sobald ich es ganz durchgelesen habe.
PS2: Dieser Post ist unbezahlte Werbung wegen Buch-Verlinkung.
PS3: Danke Isa für den wertvollen Literatur-Tipp!
Super beschrieben, gute Erkenntnisse. Und ja, wenn unsere Kinder Dinge nicht so machen, wir wir meinen, dass sie es sollten: Was hat das eigentlich mit mir zu tun, mit meinem Selbstwert? Gute Anregung!
Danke, dein Artikel passte heute gerade wie der Engel im Chaos…:-) Mein Sohn (3) konfrontiert mich momentan mit ganz neuen Formen des „Ich-will-das-jetzt-partout-nicht“ und ist, anders als noch vor ein paar Wochen, oft auch wirklich nicht zu Verhandlungen, bzw. Kompromissen bereit. Ich habe mich sogar schon bei „Wenn – dann (nicht)“- Drohungen ertappt, dabei wollte ich so einen Blödsinn eigentlich nie von mir geben…
Tja… gute Frage, warum mich das selbst manchmal so aufregt.
Der Rat, abzuwarten und nur die Hälfte von dem zu sagen, was mir spontan gerade (an Negativem) durch den Kopf schwirrt, finde ich sehr klug und natürlich auch für „Erwachsenen-Beziehungen“ sehr hilfreich! Fällt mir impulsiver „Herz-auf-der-Zunge-Frau“ nur nicht gerade leicht…
Danke, ich finde deine Artikel wirklich sehr oft sehr (gedanken-) anregend!
Herzlichen Gruß,
Sarah
Liebe Uta,
das klingt wieder ganz nach dir und sehr menschlich.
Viele Grüße,
Marie
Oh liebe Uta, deine letzen Zeilen haben mich mitten ins Herz getroffen. Die Pubertät der beiden großen Mädels trifft mich gerade sehr und ich frag mich so manches mal, wo ist das kleine Mädchen hin, welches nahezu simbiotisch mit mir lebte und so große Trennungsangst hatte und mich heute oft behandelt als wäre ich der dümmste Mensch auf Erden. Und dann die mittlere die nur diskutiert und mir leider oft so ähnlich ist, dass ich es nicht ertrage und nur negative Eigenschaften sehe 🙁 den Rat nur die Hälfte zu sagen, werde ich mal beherzigen. Und Respekt an deine Ruhe!
Ich liebe den Film „Alles steht Kopf“, weil er so wunderbar lustig zeigt, wie sich das Gehirn von Kindheit zu Pubertät verändert.
Ich habe mir fest vorgenommen, ihn öfter anzusehen, wenn meine Kinder anfangen zu zicken. Ich hoffe das hilft mir dann, nicht alles auf die Goldwaage zu legen und etwas nachsichtiger mit unserer Gefühlswelt sein. 🙂
Brillanter Text von dir, liebe Uta.
Vor allem auch der Punkt, dass wir in Partnerschaften immer noch viel zu oft in unseren alten Mustern leben.
Wie schön, dass ihr dennoch so einen friedlichen Karfreitag hattet.
Tsabarys Buch habe ich auch im Schrank. Hab schon reingelesen aber finde es tatsächlich auch etwas sperrig. Kennst du schon „Nestwärme, die Flügel verleiht“ von Frau Stahl? Dazu würde mich deine Meinung auch sehr interessieren.
Liebe Grüße,
Christina