Wie wichtig es ist, in der sogenannten „Trotzphase“ die Gefühle der Kinder ernst zu nehmen.

Wir haben bei uns zu Hause gerade das Thema „Schüchternheit“ und uns Eltern erschüttert, wie sehr Teenager sich selbst in Zweifel ziehen und für ’nicht gut genug‘ halten können, obwohl für uns und die Welt offenkundig ist, was für einen wunderbaren Menschen wir vor uns haben.
„Immer mehr die Person werden, die man ist“ – im Alter zwischen 10 und 20 Jahren schüttelt das die Jugendlichen total durch.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes kann ich manches hier nicht berichten, aber ich möchte ein Thema aufgreifen, das schon im Kleinkindalter die Basis eines gesunden Selbstgefühls bildet: die sogenannte „Trotzphase“. Von Eltern ebenso gefürchtet wie die Pubertät, weil es uns als Mutter oder Vater vorübergehend in Frage stellt. Und wer hat das schon gerne?
In dem kleinen Büchlein „Trotzphasen bei Kita-Kindern“ schlagen die Autoren Britta Kolbe und Wolfgang Bergmann vor, statt „Trotzphase“ lieber von „Selbstständigkeitsphase“ zu sprechen. Das gefällt mir gut. Denn der kleine Mensch erlebt in dieser Zeit eine wichtige Veränderung: mehr Selbstständigkeit und den ersten kleinen Schub in Sachen Persönlichkeitsentwicklung.
Sofort wird klar, wie unpassend der Gedanke ist, das Kind sei ungezogen, böse oder der größte Dickschädel, den die Sippe je erlebt hat.
Angenommen Lilith, zweieinhalb Jahre alt, möchte, nein will heute mit dem Laufrad in die Kita fahren. Sie hat es gestern zum Geburtstag bekommen. Mama sagt „nein“, weil sie heute früher im Büro sein muss und Lilith mit dem Auto bringen will. Das Kind knallt die Badezimmertür und tritt auf dem Flocati im Flur in einen unbefristeten Sitzstreik. Mit hochrotem Kopf sitzt Lilith da, Tränen laufen durch den Zahnpastarest im Mundwinkel, tropfen auf das Unterhemd. Soll Mama doch in ihr blödes Büro fahren. Sie, Lilith, wird heute hier bleiben und nichts anderes tragen als Unterhemd und Laufrad.
Was tun?
Schimpfen? Drohen? Sagen, dass Lilith heute Abend nicht „Der kleine Drache Kokosnuss“ gucken darf, wenn sie sich nicht sofort anzieht? Bis zehn zählen? Für den Nachmittag drei Kugeln Eis mit HSV-Streuseln in Aussicht stellen? Erklären, dass Mama so früh im Büro sein muss, weil die Präsentation für das Meeting um 11 Uhr noch einmal überarbeitet werden muss? Selbst anfangen, Lilith in ihre Kleider zu stopfen? Nachgeben und die Kollegin bitten, sich schon mal um die Präsentation zu kümmern?
Mein Vorschlag:

  • Sich (und dem Kind) kurz eine Pause verschaffen, den Raum verlassen, sich die Nase pudern, tief durchatmen.
  • Wenn man sich etwas beruhigt hat, sich zu dem Kind setzen und sagen: „Du bist wütend, weil du dich so gefreut hast, dein Laufrad heute auszuprobieren, oder?“ (Gefühl des Kindes erkennen und benennen)
  • „Ich kann gut verstehen, dass du sauer und enttäuscht bist. Aber heute habe ich leider nicht die Zeit, mit dir zur Kita zu laufen.“
  • „Eben habe ich in meinem Kalender gesehen, dass ich es morgen einrichten kann. Dann wecke ich dich auch noch eine Viertelstunde früher und du kannst ausprobieren, ob du den ganzen Weg mit dem Laufrad schaffst. Was meinst du?“ (Entgegenkommen, Kompromissvorschlag)
  • „Jetzt will ich, dass du dich schnell anziehst.“ (klare Ansage)

 

„Dem ‚Trotzverhalten‘ von Kindern liegt immer ein Gefühl zugrunde. Das heißt nicht, diesem Gefühl immer nachgeben zu müssen, es jedoch wahrzunehmen, ernst zu nehmen und in Worte zu fassen.“ (Britta Kolbe, Wolfgang Bergmann: Trotzphasen bei Kita-Kindern. Aus der Reihe: Die kleinen Hefte. Berlin 2016, Seite 23)
und:
„Wünsche ernst zu nehmen, bedeutet nicht, sie erfüllen zu müssen.“ (ebenda Seite 28)

Kolbe und Bergmann schreiben, dass Eltern häufig einwenden, sie hätten nicht die Zeit, so auf ihre Kinder einzugehen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass Kinder dadurch kooperativer werden und das Miteinander auf Dauer besser funktioniert. Zudem ist es die einzige Art des Umgangs miteinander, die Kinder stärkt.
Sich immer fröhlich in die Kinder hineinversetzen,
eure Uta
Herzlichen Dank an den Cornelsen-Verlag für das Rezensionsexemplar!

Titelbild von Ketut Subiyanto von Pexels. Vielen Dank!

  • Liebe Uta,
    die Lütte ist seit nun da drei Jahren in dieser Phase … Immer, wenn wir denken, jetzt wirds besser, kommt doch noch ne Steigerung…ich versuche oft, so wie oben von dir beschrieben, zu reagieren. Manchmal gelingt es mir nicht. Weil ich einfach gestresst bin. Oder auch, weil es der fünfte „Ausraster“ dieser Art an einem Tag ist. Manchmal gelingt es mir. Aber es interessiert die Lütte nicht. Sie schreit noch lauter, tritt irgendwas weg, und neuerdings: hält sie sich die Ohren zu. Sie will einfach nichts hören von Mamas Gesabbel …
    Liebe Grüße,
    Dorthe

  • huhu,
    hm, ich finde oft hilft es, wenn man selber nicht unter Strom steht- das klingt so einfach, ist es aber nicht *seufz*
    Aber wenn wir gelassener sind, ist es auch erträglicher und einfacher, solche Situationen zu meistern.
    Ich versuche immer einen großen Zeitpuffer einzukalkulieren und vorrausschauend zu planen…
    Ich finde grade bei dem beschriebenem Beispiel ist es ja vorhersehbar gewesen:
    Gestern zum Geburtstag ein Laufrad bekommen ist es doch klar, dass das Kind damit zum Kiga möchte und es dort auch allen zeigen mag- das hätte ich vermutlich eingeplant.
    Aber es gibt auch diese unvorhersehbaren Momente, oder den 25. Wutanfall am Tag… und da hilft durchatmen und gelassen bleiben sehr viel- also immer schön fröhlich die Nase pudern (ich säh an manchen Tagen bestimmt wie in den Pudertopf gefallen aus *g*)

  • Hallo an alle Eltern und die, die es noch werden;-),
    Und vielen Dank für den tollen Blog. Ich bin zwar recht neu hier, habe aber in den letzten Tagen schon einiges gelesen und auch mitgenommen. Uns steht diese Phase noch bevor und auch ich erwarte sie mit gemischten Gefühlen, freue mich aber schon jetzt über zahlreiche Anregungen. Deshalb wollte ich eine ebenfalls teilen: Uta, du schlägst vor, erst einmal ein Moment den Raum zu verlassen und durchzuatmen – bevor man die Beherrschung verliert ist das sicherlich das beste. Schöner fände ich es allerdings, das Kind in irgendeiner Art und Weise in diesem GefühlsChaos zu begleiten. Hierfür habe ich schon verschiedene Möglichkeiten gelesen und bin gespannt, welche für uns funktionieren wird und wie oft ich selbst doch den Raum verlassen will 😉 was hältst du von diesem Ansatz? ganz liebe Grüße

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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