Wenn die Suche nach einem Praktikumsplatz die Eltern mehr stresst als die angehende Praktikantin.
Wenn Prinzessin (17) im Sommer aus Kanada zurückkehrt und wieder in Hamburg zur Schule geht, muss sie vor den Herbstferien ein betriebliches Praktikum machen. Ich habe ihr geschrieben, dass sie sich zeitig darum kümmern müsse. Dann habe ich ihr geschrieben, sie könnte sich doch auf dem langen Flug vor Ostern nach Hause (Ja, sie ist gerade wieder für zwei Wochen zu Hause! Jubel!) Gedanken machen, welcher Beruf sie wirklich interessieren könnte. Kaum war sie ein paar Stunden zu Hause, haben mein Mann und ich gefragt, ob sie schon eine Idee hätte wegen des Praktikums. Wir sind dann ganz dezent, respektvoll und vorsichtig, aber wir können es nicht lassen zu fragen. Ein oder zwei Tage später konnten wir uns nicht beherrschen, den einen oder anderen tollen Vorschlag zu machen, den wir in elterlichen Zweier-Gesprächen längst entwickelt hatten.
Prinzessin nimmt das alles dankbar auf, findet unsere Ideen netterweise auch brauchbar …. und es tut sich nichts. Nothing. Rien. Niente.
Was können wir Eltern jetzt machen?
- Wir könnten Daumenschrauben einsetzen, eine Frist zum Beispiel. Wir könnten sagen: „Bis diesen Donnerstag, 18 Uhr, mitteleuropäische Ortszeit, kümmerst du dich um einen Praktikumsplatz. Wenn nicht, gehst du nicht mit deinen Freunden zum Osterfeuer.“ Wir haben es schließlich im Guten versucht, wenn sie darauf nicht reagiert, bleibt uns nur, ihr Druck zu machen. Denn von Kanada aus kann sie sich schlecht um eine Stelle in einem deutschen Unternehmen kümmern und wenn sie wieder zurückkehrt, wird es kaum noch einen Praktikumsplatz geben. Da grenzt es an unterlassener Hilfeleistung, wenn wir Eltern nicht handeln.
Diesen Vorschlag habe ich wieder verworfen. Sie ist 17 Jahre alt, fast erwachsen. So massiv in ihre Belange einzugreifen, eine Frist zu setzen oder sogar Sanktionen zu verhängen, ist der innigen Beziehung, die wir haben, nicht würdig. Eigentlich ist sie keinem Kind würdig, egal, wie alt es ist. Das ist wie ein Misstrauensantrag gegen das eigene Kind. Und jeder Jugendliche würde – mit Recht – tief verletzt reagieren und in die Total-Verweigerung gehen.
- Wir könnten weiter nett und freundlich erinnern, wie könnten den steten Tropfen geben, der den Stein höhlt. Wir könnten eine Erinnerung, geschrieben mit Buntstift und umrahmt mit Frühjahrsblühern, an ihre Tür hängen. Wir könnten so tun, als würde uns das Thema nicht umtreiben, als würde nicht – zart, aber beharrlich – ein leichter Ärger in uns keimen. („Wir haben doch so tolle Vorschläge gemacht!“ – „Wir haben sie doch so zuverlässig erinnert.“ – „Wir haben uns doch so vorsichtig dem Thema angenähert!“ – „Machen wir nicht alles möglich für unsere Kinder!?“ – „Warum ergreift sie die Hand nicht, die wir ihr zur Stütze reichen?“ )
Auch dieser Vorschlag überzeugt mich nicht. Das ist elterliche Einmischung, aber gut getarnt und rosa angemalt mit Freundlichkeit. Da sagen wir als Eltern nicht die Wahrheit über die kleine Sorge, die wir haben, über den Unmut, der sich bei uns regt. Da tun wir so, als würden wir Prinzessin vertrauen, knüpfen aber doch wieder allerlei transparente Netze und schieben dicke Auffangmatten unter das Seil, auf dem sie tanzt.
- Wir könnten logische Konsequenzen wirken lassen. Ab sofort kümmern wir uns nicht mehr. Wir sagen keinen Ton mehr zum Thema Praktikum, nicht den leisesten Pieps.
Dann wird sie schon sehen, was sie davon hat.Dann muss sie sich umständlich aus Kanada darum kümmern. Dann muss sie das in ihrem eng getakteten Internats-Leben auch noch dazwischen kriegen. Dann können wir nicht helfen, die Bewerbung zu formulieren. Dann werden alle guten Praktikumsplätze weg sein, dann wird sie Mühe haben, überhaupt etwas zu finden. Dann wird sie vielleicht etwas tun müssen, was ihr überhaupt keine Freude macht. Dann wird sie merken, wie stressig es wird, wenn man etwas auf den letzten Drücker tut. …Dann wird sie daraus hoffentlich etwas fürs Leben lernen.
Ich gebe zu, das sind durchaus Gedanken, die ich hatte oder habe. Aber so aufgeschrieben, finde ich sie ganz furchtbar. Ich klinge beleidigt, als würde ich schmollen. Und vor allem ein bisschen schadenfroh, als wäre ich zufrieden, wenn das Leben ihr eine Lektion erteilte. So wie jemand, dem das Leben auch schon viele Lektionen erteilt hätte und es jetzt nur gerecht findet, wenn die eigenen Kinder auch durch diese Schule des Lebens gingen.
Im Kern geht es um die Kränkung, dass wir uns als Eltern doch immer so unglaublich viel Mühe geben und das Kind uns das nicht dankt, indem es unsere Vorschläge aufgreift. Im Kern geht es um uns.
Das ist mir so richtig klar geworden, als ich gestern in dem neuen Buch von Katja Seide und Danielle Graf („Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Gelassen durch die Jahre 5 bis 10“) las. Dort gefiel mir folgende Stelle so gut:
Sollten Sie Verantwortung an Ihr Kind zurückgeben wollen, weil Sie den ewigen Kampf darum leid sind und gleichzeitig Gedanken haben wie ‚Es wird schon sehen, was es davon hat!“, dann wird das Experiment vermutlich scheitern. Kinder haben einen sechsten Sinn für derartige heimliche Agenden – sie wecken in ihnen unbewusst Widerstand. Sie werden sehenden Auges in ihr eigenes Unheil rennen, nur um Ihnen nicht die Genugtuung zu geben, zu gewinnen. … Es gibt Eltern, die mit steinerner Miene neben ihrem weinenden Kind mit urinnasser Hose stehen und ‚Selbst schuld!‘ erklären. Sie hatten ihm schließlich gesagt, es solle vorher nochmal aufs Klo. … Das sind eigentlich liebende Eltern – aber gefangen in ihrer Kränkung.“ (Seite 111/112)
„Gefangen in ihrer Kränkung“ – das hat mich sehr berührt.
Es zeigt sich folgender Mechanismus:
Die Eltern mischen sich ein → das Kind macht nicht, was die Eltern sich wünschen → daraus entsteht Ärger bei den Eltern → unter dem Ärger erstickt das Gefühl dafür, wer das Kind wahrhaftig ist und was es möchte → die Beziehung leidet, jedwede Unterstützung wird abgelehnt, der Einfluss der Eltern wird immer geringer
Was besser funktioniert:
Die Eltern halten sich heraus → der Jugendliche kümmert sich eigenverantwortlich um seine ureigenen Belange → daraus entsteht Erfolg oder Misserfolg → die Eltern haben und zeigen Mitgefühl für diese Erfahrungen, bieten Unterstützung an, sie sind nicht gekränkt, weil sie sich nicht ungefragt für ihre Kinder verausgabt haben → die Eltern bleiben wichtige Ansprechpartner für ihr heranwachsendes Kind und Unterstützer auf Augenhöhe
Die Rückgabe der Eigenverantwortung muss also einem echten Verständnis entspringen, dass es anmaßend war, sie dem Kind überhaupt erst wegzunehmen. Es mag ein bisschen dauern, bis wir Erwachsene diesen Punkt erreichen, aber es lohnt sich. Sobald wir unsere Agenda fallen lassen, haben unsere Kinder wirkliche Freiheit, selbstverantwortlich zu handeln. (Seide/Graf, Seite 112)
Dank obiger Überlegungen ziehe ich folgende Schlussfolgerungen in Sachen Prinzessin und Praktikum:
- Ich nehme den Sachverhalt unter die Lupe und überlege mir, was schlimmstenfalls passieren könnte: Sie sucht von Kanada aus nach einem Praktikumsplatz, was mit den heutigen SocialMedia-Möglichkeiten durchaus erfolgreich sein könnte. Und falls sie auf dem letzten Drücker in einem Unternehmen landet, das ihr nicht gefällt, ist das auch eine Erfahrung. Dann weiß sie schon mal, was sie garantiert nicht machen will. Also nüchtern betrachtet, ist alles halb so wild.
- Deshalb werde ich mich in dieser Angelegenheit nicht mehr äußern und werde auch meinen Mann bitten, das Thema ruhen zu lassen.
- Wenn sie um Unterstützung bittet und ich kann diese Hilfe ermöglichen, ohne mir Arme und Beine auszureißen, gebe ich sie gerne. Ich werde nicht trotzig reagieren, so nach dem Motto: „Jetzt musst du selber sehen, wie du klar kommst!“
- Ich hänge einen Zettel an ihre Zimmertür mit zwei oder drei Punkten (unter anderem „Praktikumsplatz?“), die sinnvollerweise vor ihrer Abreise noch zu erledigen wären. Ich weiß, dass dieser Punkt einen Rückfall bedeutet. Ich möchte aber euch gegenüber so ehrlich sein zu erwähnen, dass ich dies vor wenigen Minuten tat. So als letztes Aufbäumen mütterlicher Sorge. Grrr!
- All meine Betrachtungen haben zu neuer Klarheit und gestärktem Vertrauen geführt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto bewusster wird mir, dass Prinzessin ihren Weg schon gehen wird.
Immer fröhlich die Eigenverantwortung zurückgeben … oder besser noch, sie gar nicht erst nehmen.
Eure Uta
PS: Herzlichen Dank an den Beltz-Verlag für das Rezensions-Exemplar!
Das Titelbild ist von Andrea Piacquadio von Pexels. Vielen Dank!
Hahahahahahahahahahaha … so genial beobachtet!
Und kommt mir alles sooooo bekannt vor. …. und das geht ja weiter … erst Praktikumsplatz, dann Führerschein, Abi, Studienplatz …
Theoretisch war mir das auch klar mit der Rückgabe der Eigenverantwortung und der versteckten Agenda, die die Kinder mitkriegen … jetzt habe ich es noch besser verstanden. Danke!
Liebste Grüße und schöne Ostern für Euch!!
Danke! Und euch auch schöne Ostern! Herzlichst, Uta
Liebe Uta, diese Stelle mag ich in dem Buch auch sehr, weil ich mich gleich „ertappt fühlte. Ich arbeite an mir, aber es ist, wenn auch lohnenswerte, aber große Herausforderung.
Liebe Grüße,
Bianca
Ja, lohnenswert auf jeden Fall! Liebe Grüße, Uta
Ich kann das alles nachvollziehen, und ich glaube, man kann in dieser Hinsicht nicht wirklich alles „richtig“ machen. Manchmal muss man sich auch sagen: Ich wäre da jetzt gerne cool, kann es aber nicht sein, und tue deshalb Dinge, die ich eigentlich doof finde, bzw. von denen ich weiß, dass sie nichts bringen.
Das mit der Kränkung im „selbst-schuld-Modus“ nehme ich mir mit. Sage ich viel zu oft, obwohl ich spüre, dass Trost/Mitgefühl etc. dran wären, bzw. Belehrungen gerade total sinnlos sind…
Muss an den Spruch denken: „Wer die Lebensbahn seiner Kinder zu verpfuschen gedenkt, der räume ihnen alle Hindernisse weg.“
Emil Oesch
So, wie ich mir deine Tochter (aus den Mosaiksteinchen dieses Blogs) vorstelle, mache ich mir ÜBERHAUPT keine Sorgen – DIE FINDET IHREN WEG!
Liebe Esther, vielen Dank für deinen Kommentar und deine Bestärkung für Prinzessin! Herzliche Grüße, Uta
Hallo liebe Uta,
als bisher stille, aber hochinteressierte Mitleserin möchte ich hier jetzt auch mal gerne meinen Senf beisteuern, auch wenn es in diesem Artikel so wunderbar darum geht, dass man gefälligst seinen Senf ungefragt bei sich behalten sollte… 😉 Aber beim Lesen kamen mir so viele Gedanken, dass ich diese hier teilen möchte.
Mein Kind ist zwar noch ein Kleinkind, aber ich kenne dieses Helfersyndrom dennoch aus eigener Erfahrung, das äußert sich ja nicht nur bei den eigenen Kindern. Man ist ja so furchtbar stolz auf seine eigenen Lösungen! Es gibt einem ja auch einen unglaublichen Kick, wenn man nach längerem Grübeln, Abwägen und Herumwühlen in der eigenen Lebenserfahrung auf d i e idealsten Ideen kommt… selbst, wenn sie nicht das eigene Leben betreffen. Man möchte diese Entdeckerfreude, die Früchte der eigenen Überlegungen mit dem Betroffenen teilen und sehnt sich nach tiefster Dankbarkeit und dem freudigen Aufgreifen und Umsetzen eben dieser Ideen… ja… und wenn das dann nicht passiert oder gar Widerwillen auftaucht (eure Tochter hat da ja eh sehr diplomatisch euch gegenüber reagiert!), ist man zutiefst gekränkt. Diese Erkenntnis ist der Schlüssel und du hast sie wunderbar herausgearbeitet in deinem Text (und deinem Gefühlsleben).
Hast du / habt ihr denn mit eurer Tochter über genau diese Gedanken, über eure Sorgen ihre Zukunft betreffend, aber auch über euren eigenen Eifer beim Ideenschmieden gesprochen? Vielleicht tut es euch gut, wenn sie erfährt, was wirklich eure Beweggründe sind. Und vielleicht findet ihr ja dann gemeinsam andere Wege und „Kanäle“, wo ihr euer elterliches Engagement und eure Lebensweisheit hineinströmen lassen könnt…?
Ich bin schon gespannt auf eure weiteren Erfahrungen mit diesem Thema und wünsche beiden Generationen alles Gute!
Danke.
Liebe Grüße
Theresa