Warum es so wichtig ist, von Zeit zu Zeit nichts zu tun.
Gestern Abend waren wir Nordlichter zum ersten Mal in einem bayrischen Biergarten. Über uns das mächtige Blätterdach von Kastanien, vor uns eine Maß Radler, um uns herum Münchner mit ihrer Brotzeit oder riesigen Brezeln, Pommes, Krautsalat. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, aber wir sprachen über Handyspiele und mein Mann erklärte mir, dass man Spiele-Apps auf Smartphones „Kill-time-applications“ nennt: Ergänzungen zum Zeittotschlagen.
Es braucht Spiele, um die Zeit tot zu schlagen?
Das erscheint mir so krank. Denn ich habe in diesen Tagen noch mehr als sonst das Gefühl, dass die Zeit an mir vorbei rast. Ich war gerade erst in Kanada, dann habe ich 60 Grad hell, 60 Grad dunkel (Handtücher) und 30 Grad hell (Tops und Blusen) in Hamburg gewaschen und Rasen gemäht und jetzt bin ich schon wieder woanders, sitze in einem Biergarten in München. Äh, welche Zeitzone nochmal? Ach ja, Weißwurst-Äquator.
Um bei all diesem Taschepacken, Katzenlecker-Besorgen und Hunderte-von Mails-Runterarbeiten wenigstens von Zeit zu Zeit im Einklang mit dem Zentrum meines Seins zu sein, wollte ich vor Sonnenuntergang aufstehen, mich mit Sesamöl einreiben und meditieren. Das hatte ein Ayurveda-Lehrer empfohlen. Nun war es schon sieben, wir hatten nur Olivenöl im Schrank und bei meinen Meditierversuchen fühlte ich mich wie „ein Supercomputer, der von der Seele eines verrückten Eichhörnchens besessen ist“ (ein Ausdruck von Martha Beck).
So kroch ich resigniert auf unseren Lesesessel, kuschelte mich in eine Decke und las in dem Buch „Enjoy your life. 10 kleine Schritte zum Glück“ von eben jener Martha Beck, die ich sehr verehre. Darin schreibt sie, dass das Nichtstun die produktivste Tätigkeit sei, der wir jemals nachgehen können. Wir bräuchten Phasen des Nichts, um unseren verschütteten Wesenskern wieder zu spüren, um wieder aus unserem Innersten schöpfen zu können wie aus einer klaren Quelle, anstatt immer nur die tausend Ansprüche abzuarbeiten, die von außen an uns herangetragen werden.
Mir fiel ein, dass sich in meiner Weisheitsliteratur im Regal schöne Bilder für dieses Nichts finden:
Anne Morrow Lindbergh („Muscheln in meiner Hand“) vergleicht das Nichts mit der Nabe eines Rades: hier ist die wenigste Bewegung und trotzdem ist die Nabe der Ausgangspunkt aller Speichen und das Zentrum, ohne das das Rad keine Stabilität hätte und nicht ins Rollen käme.
Deepak Chopra verwendet das Bild eines Sees: Wenn seine Oberfläche aufgewühlt sei, könne ein Hochhaus hineinstürzen, ohne dass es viel bewirke. Sei die Oberfläche aber ganz ruhig, entstünden große, wunderschöne Kreise, wenn man nur den kleinsten Kiesel hineinwerfe.
Das Nichtstun ist also höchst produktiv. Martha Beck empfiehlt, davon jeden Tag mindestens 15, besser 20 Minuten einzuplanen: Ein Schild an die Büro-Tür hängen „Bitte nicht stören!“, einen Timer stellen, sich in eine bequeme Lagen begeben und nichts tun. Untersuchungen zeigen, dass Teile des Gehirns, die für verbale Tätigkeiten zuständig sind, ihre Aktivität herunterfahren, während andere Teile des Gehirns geradezu „aufleuchten“.
Schon bei diesen Worten, bei dieser wunderbaren Erlaubnis für das Nichtstun, begann ich ruhiger zu werden. Ich schaute in unseren Garten. Ich schaute und schaute, tat nichts, außer den Kater an meiner Seite zu kraulen und je länger ich so da saß, desto ruhiger und friedlicher wurde ich. Ich achtete nicht auf meine Atmung, quälte mich nicht in einen schmerzenden Schneidersitz, zwang mich nicht, an nichts zu denken und tat einfach nichts. N-I-C-H-T-S.
Danach war das Gefühl, sich in einer Tretmühle zu befinden, weg. Mit Freude machte ich mich an meine Arbeit und genoss alles, was ich tat.
Immer fröhlich sich jeden Tag 15 Minuten Nichtstun gönnen,
eure Uta
PS: Und da es auch für Kinder so wertvoll ist, an den Reichtum des Nichts herangeführt zu werden, gebe ich euch im nächsten Beitrag Tipps, wie ihr in den Ferien und überhaupt mit der Langeweile von Kindern umgehen könnt.
Titelbild von cottonbro von Pexels. Vielen Dank!
Liebe Uta, ja das Nichtstun ist so wichtig! Nachdem mir klar geworden ist, WIE wichtig es für mich ist, habe ich nun vor einigen Wochen begonnen, morgens vor den Kindern aufzustehen, mich mit dem ersten Kaffee in den Garten zu setzen und ins Nichts zu gucken und dabei an nichts zu denken. Das lässt mich viel ausgeglichener in den Tag starten, als eine halbe Stunde länger Schlafen es je könnte. Auch mein Mann darf mich in der Zeit nicht ansprechen 🙂
Vielleicht warst du ja im Hirschgarten? Das ist der Biergarten meiner Kindheit ♥️.
Alles Liebe
Johanna
Liebe Johanna, wir waren im Taxis-Garten. Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße, Uta
Wie wunderbar! Dein Artikel trifft genau meine derzeitige Stimmung.
Gerade haben wir in meiner Kita ein Sommerfest mit dem Gedanken „weniger ist mehr“ gefeiert. Mit Wasser, Sand und Seifenblasen. Und ganz viel Zeit zum Schauen, Genießen und Seele baumeln lassen…
Ganz liebe Grüße, Annette
Uta, was für ein wunderschöner Beitrag, der mal wieder voll ins Schwarze trifft. Ich werde mir nun sofort den Link des Beitrags kopieren, um ihn als erstes meiner Mama zu schicken. Die immer schon getrieben ist, etwas zu tun und dieses Treiben an mich weitergegeben hat. 😉 Ich freu mich sehr auf deinen nächsten Beitrag und schick dir liebe Grüße nach Hamburg oder hierher nach München, wo auch immer du gerade bist.