Über Prinzessins Heimkehr und meinen emotionalen Ausnahmezustand
Prinzessin (16) ist am Samstag nach dreieinhalb Monaten auf einem Internat in Kanada glücklich in Hamburg gelandet. Sie verbringt die Weihnachtspause hier und fliegt Anfang Januar für die restlichen Monate wieder nach Vancouver.
Mein Mann war in der Nacht von Freitag auf Samstag um vier Uhr wach und hatte auf dem Flug-Radar gesehen, dass sie gerade über Neufundland war. Gut dass er mich nicht geweckt hat. Gerade nachts kann ich die Vorstellung nicht gebrauchen, dass unser Kind in einer Blechbüchse mehrere tausend Meter in der Luft über einer verlassenen Weltengegend unterwegs ist.
Beim Frühstück zeichnete sich ab, dass ihr Flieger mit so viel Verspätung in Frankfurt landen würde, dass sie wahrscheinlich den Anschluss nach Hamburg verpassen würde. Wir tranken also noch einen Tee, bis ihre Freundin, die mit zum Flughafen kommen wollte, anrief: „Ich habe sie auf dem Handy erreicht. Sie schafft es doch!“ Hektisch bin ich auf die Leiter geklettert und habe in der Einfahrt das Willkommenstransparent entfaltet, wir sind mit Freundin und Herzluftballon in Auto gesprungen und zum Flughafen gesaust.
Dort hatten wir noch genug Zeit, uns in der Menschentraube vor der Ankunftstür nach vorne zu arbeiten. Wir standen und standen. Immer wieder gingen diese Türen auf, Reisende verteilten sich nach rechts und nach links. Fünfzig Mal, hundert Mal. „Wenn ich noch mehr fremde Menschen sehe“, dachte ich, „nutzt sich in meinem Hirn dieses Areal für die Gesichtserkennung ab.“
Kurz bevor Prinzessin nun wirklich kommen musste, drängte sich ein großer Typ an mir vorbei und verbaute mir die Sicht auf die Ausgänge. Ich befand mich in einem so extremen emotionalen Zustand, dass ich ihm fast mit meiner Handtasche eins übergezogen hätte. „Hallo? Da wartet man dreieinhalb Monate auf diesen Moment und dann kommt so ein Trampel und nimmt einem die Sicht!“
Mein Mann schob mich aber wieder nach vorne („Lass doch mal die Kleine vor!“) und dann kam sie und es war kein Halten mehr, ich rannte zum Ende der Absperrung, der Herzluftballon legte sich flach in den Wind und ich hatte sie im Arm.
Oh, das war so schön! Und weil ihr Gepäck in Frankfurt geblieben war, passten wir mitsamt der Freundin wider Erwarten in unser kleines Auto. Mal wieder ein Beispiel für „Fluch oder Segen?“. Wäre die große Tasche nicht ein Fall für die Gepäckermittlung geworden, hätte die Freundin mit der S-Bahn zurückfahren müssen. So quetschten wir uns alle vergnügt ins Auto und die Tasche wird uns heute nachgeliefert.
Als wir zu Hause die Einfahrt hoch fuhren, stand – als hätte er es geahnt – Prinzessins Kater Gulliver unter dem Willkommens-Transparent. Er wurde geküsst und mehr gedrückt, als ihm lieb war. Dann Dusche, Lieblingsessen und die Frage „Mama, kannst du mir die Haare föhnen?“
Und ob ich das konnte. So innig sind selten Haare geföhnt worden. Noch einmal die Strähne vorne links und etwas mehr Schwung für die Locke an der Schläfe. Hinter den Ohren entdeckte ich noch Rest-Feuchte und ein klammes Grundgefühl auf der Kopfhaut. Ich schwenkte den Föhn bis zur Überhitzung, bürstete das Haar, schnupperte verstohlen an ihrem Nacken, kratzte den Rücken, massierte die Schultern … und war selig.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass Prinzessin so viel Nähe wollte. Was für ein Geschenk! Und ich musste an eine Stelle in dem Buch „Mit Kindern wachsen. Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie“ von Myla und Jon Kabat-Zinn denken. Darin beschreibt Jon, wie ihr 19jährige Sohn in der Nacht nach Thanksgiving um 1:30 Uhr vom College nach Hause kommt. Er hatte abends angerufen und Bescheid gesagt, dass er zum Festessen nicht zu Hause sein würde. Sein Vater hatte sich darüber geärgert, sich aber dann ein Herz gefasst und gesagt, er möge sie doch ruhig wecken, wenn er angekommen sei. So stürmte der große Kerl dann mitten in der Nacht die Treppe hinauf, schmiss sich quer auf das große Bett seiner Eltern, umarmte sie und blieb noch eine Weile selig liegen. (Seite 15/16)
Jon schreibt dazu: „Solche Augenblicke machen den Segen und die Freude aus, die wir Eltern erleben können, wenn wir es nicht selbst verhindern, so wie ich es an jenem Tag fast durch meine anfängliche Verärgerung getan hätte. Ebenso leicht können solch glückliche Augenblicke vorübergehen, ohne dass wir sie überhaupt bemerken. Doch was ist das Besondere an ihnen? Spüren wir nur bei der ersten Heimkehr aus dem College, bei der Geburt, beim ersten Wort oder beim ersten Schritt eine so tiefe Verbindung zu unseren Kindern? Oder sind solche Augenblicke häufiger, als wir vermuten? … Mein Erfahrung ist, dass es solche Augenblicke im Überfluss gibt. Nur gehen sie leicht unbemerkt und ohne dass ich ihren Wert erkenne, vorüber, wenn ich nicht wach genug bin, sie zu sehen. Es erfordert eine gewisse Art von innerer Arbeit, sie wahrzunehmen, …“ (Seite 16/17)
Und einen Absatz später:
„Wie wir die Fülle der Ereignisse unseres Lebens mit unserem Geist und unserem Herzen aufnehmen, entscheidet über die Qualität unserer Reise …“ (Seite 17)
Immer fröhlich glückliche Augenblicke sammeln!
Eure Uta
Ach, liebe Uta, der geht ja schon wieder so zu Herzen … Hat mich jetzt richtig weggerissen, Dein Text. Du hast es so schön aufgeschrieben, ich kann es mir lebhaft vorstellen und so tief nachempfinden. Auch, wenn bei uns im nächsten Jahr nun mal erst Klassenfahrt Nr. 1 ansteht. Vermutlich werde ich dann alle anderen Eltern über den Haufen rennen und den Bus stürmen, so die Kleinen nach zwei Tagen hoffentlich wohlbehalten wieder aus dem Hamburger Umland zurückkehren werden …
Alles Liebe für Euch, genießt die gemeinsame Zeit!
Nicolle
Ach bah, schnief. Ihr seid so prima, alle miteinander – habt ein wunderschönes Weihnachten. Und lasst noch ein paar Haare am Katerchen. 😀
Liebe Grüße
Maike
Wie schön!
Herzliche Grüße und die besten Wünsche!
Liebe Uta,
eine schöne Weihnachtszeit voller Momente, die den Speicher bis zur endgültigen Rückkehr der Prinzessin aufüllen, wünscht dir Frieda
Hach nun sitzt ich hier am Rechner und verdrück ein paar Tränchen, wie schön ist es, wenn auch die großen Kinder noch mal klein sein können und unsere Nähe brauchen.
Danke dafür!