Bilderbuch über einen stotternden Jungen 

 29/09/2021

...und wichtige Infos über diese Sprachstörung bei Kindern

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte ich dieses Bild gesehen: ein Junge steht mitten in einem Fluss, vollkommen eins mit dem Wasser, umgeben von Schaumkronen, mit geschlossenen Augen die Strömung genießend. Eine sanfte Gischt umspült ihn. Und das Wasser spritzt und funkelt im Licht, als feiere es ein Kind in seinem Element. 

Dass etwas fließt, mal schnell, mal langsam, dass es sich staut, um dann wieder weiter zu fließen, wird zum großen Trost dieses Jungen. Das Stocken und Sich-Stauen kennt er von den Wörtern, die nicht aus seinem Mund wollen, die mit seiner Zunge verwachsen, am Gaumen kleben und alles aufhalten, was aus ihm raus will, aber nicht kann.

Der Junge stottert.

Eine Seite aus dem Buch mit freundlicher Genehmigung des Verlages. ©Aladin

Wer in die Haut eines Kindes schlüpfen möchte, das mit dieser Sprachstörung zu tun hat, dem sei das Bilderbuch „Ich bin wie der Fluss“ empfohlen. Der Junge wacht am Morgen mit dem Klang der Wörter auf: Glas mit Murmeln, Dino-Figur auf dem Fensterbrett, Baum, Krähe, Mond,  … innerlich spricht er fließend, aber dann bleiben ihm die Laute im Hals stecken und bilden einen Rückstau bis tief in seine Seele.

Buch zweier Kanadier endlich auf Deutsch

Der kanadische Illustrator Sydney Smith hat die Geschichte des Jungen gezeichnet. Es finden sich kaum harte Konturen in diesen Bildern, als ließe sich nicht klar zeichnen, was auch nicht klar als Wort vernehmbar wäre. Als der Lehrer in der Schule den Jungen aufruft und um einen Wortbeitrag bittet, verschwimmen von einer Seite auf die nächste die Farben im Raum, die Pullis der Mitschüler werden zu schmutzig-bunten Klecksen, Tafel und Klassenzimmer verlieren ihre geometrische Fassung. Mit den Augen des Jungen blicken wir in diesen Raum, in all die Gesichter, die sich zu ihm umgedreht haben, und erleben seine Panik.

Die Geschichte des Jungen ist die Geschichte von Jordan Scott, dem Autor des Buches. Und wie der Junge hatte auch er diese schlimmen Tage in der Schule. Manchmal aber holte ihn nach Schulschluss sein Vater ab. Dann sind sie zusammen an den Fluss gefahren, haben Kiesel gesammelt, nach Lachsen Ausschau gehalten und zusammen geschwiegen. Irgendwann sagte der Vater zu ihm, er, sein Sohn, sei wie der Fluss. So wie das Wasser sich bewege, so wie es fließe und sich an manchen Stelle stauen würde, so spreche er. Dieser Tag am Fluss, so Jordan Scott in seinem Nachwort, habe für ihn alles verändert. … Und bei mir stand auch alles unter Wasser, nachdem ich diesen Satz gelesen hatte.

"Stottern ist schrecklich schön. ... manchmal würde ich gerne mit Anmut und Eleganz sprechen und nur in Worten, die sich sanft und glatt anfühlen. Aber das bin nicht ich."

Jordan Scott - Foto: Andrew Zawacki©

Für kleine und große Menschen, die stottern, sind die Sätze von Scott und die Bilder von Sydney Smith hoffentlich ein großer Trost. Alle anderen können nach dem Blättern durch dieses berührende Kunstwerk besser verstehen, wie es sich anfühlen muss, tagtäglich um Worte zu ringen. „Der Mund verzerrt sich, merkwürdige Laute dringen daraus hervor und was als ‚normaler‘ Redefluss gilt, zerplatzt,“ beschreibt der Autor seinen täglichen Kampf. 

Ursachen und Therapie des Stotterns

Auf meiner Suche im Netz nach aktuellem Wissen über Ursachen und Therapie des Stotterns bin ich auf die „Planet Wissen“-Sendung vom 16. Dezember 2020 gestoßen.

Das habe ich daraus mitgenommen:

  • Bei Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren sind gelegentliche „Unflüssigkeiten“ beim Sprechen normal.
  • Wenn Kinder in diesem Alter stottern, vergeht es meistens von selbst wieder.
  • Eltern von stotternden Kindern im Vorschulalter sollten das Sprechverhalten ihres Kindes beobachten. Wenn es sich nach einem halben Jahr nicht bessert, sollten sie mit ihrem Kinderarzt darüber sprechen und nach einem Therapeuten fragen.
  • Auch wenn das Kind oder die ganze Familie durch das Stottern sehr gestresst ist oder diese Beeinträchtigung des Sprechens schon in der Eltern- oder Großelterngeneration aufgetreten ist, sollte man sich Hilfe holen.
  • Stottern ist erblich. Wenn dein Kind stottert, musst du nicht denken, du hättest in der Erziehung etwas falsch gemacht oder ein Trauma hätte die Sprachstörung ausgelöst.
  • Wenn dein Kind stottert, setze es nicht unter Druck mit Bemerkungen wie „Hol erst einmal tief Luft, ehe du etwas sagst“ oder „Denk nach, was du wirklich sagen willst!“ Solche Belehrungen stressen den Stotterer.
  • Wichtig ist, dem Kind Zeit zu lassen für seine Sätze, Augenkontakt zu halten und liebevoll und möglichst entspannt zuzuhören. 
  • Während Stottern bei den meisten Kindern wieder vergeht, ist es bei Erwachsenen nicht heilbar. Aber! Es ist so gut behandelbar, dass die Betroffenen durch erlernte Artikulations-Techniken nahezu flüssig sprechen können. 
  • Es gibt inzwischen mehrere Therapie-Ansätze („Fluency Shaping“, Van-Riper-Therapie, Stotter-Modifikation, „Lidcombe“-Programm, D.E.L.P.H.I.N.-Therapie), deren Wirkung durch wissenschaftliche Studien belegt ist.
  • In der Regel zahlen die Krankenkassen die Behandlungskosten.
  • Die „Kasseler Stottertherapie“ bietet auch Online-Therapien für Jugendliche und Erwachsene an.

Ich hoffe, ich konnte allen, die sich vielleicht Sorgen machen, ob ihr Kind stottert, erste Hinweise geben. Vor allem aber möchte ich, dass möglichst viele Erwachsene und Kinder "Ich bin wie der Fluss", das Bilderbuch über einen stotternden Jungen, lesen und anschauen. Je mehr Verständnis es für diese angeborene Sprachstörung gibt, desto weniger Kinder werden dafür ausgelacht und werden so einsam, wie es Jordan Scott als kleiner Junge war. 

Alle, die mir bis nächste Woche Dienstag, 5. Oktober 2021, 23:59 Uhr, in einem Kommentar mit mindestens drei Sätzen schreiben, warum sie das Bilderbuch gerne gewinnen möchten, nehmen an der Verlosung teil. 

Und noch eine Verlosung

Alle, die sich hier für meinen neuen Newsletter eintragen, haben ebenfalls bis nächstenDienstag kurz vor Mitternacht die Chance, mein erstes Buch "Doch! Erziehen kann leicht sein", das Buch, das die wichtigsten Geschichten und Erkenntnisse aus unserem Familienleben in einem Band versammelt, zu gewinnen.

Immer fröhlich Verständnis zeigen für Menschen, die stottern,

Eure Uta 

PS: Ich danke dem Aladin-Verlag und "meinem" Verlag Ellert&Richter für die Verlosungsexemplare. 

  • Hallo Uta,
    ich folge Dir schon länger und nehme immer viel von dem mit, was Du so schreibst.
    Als Erzieherin im Kindergarten habe ich des öfteren mit Kindern zu tun, die Wortfindungsstörungen oder dergleichen haben. Als ich Deine Buchbeschreibung las, dachte ich gleich „wie wunderbar wäre es, solch ein tolles Buch für „meine Kinder“ zu haben“ und versuche deshalb auf diesem Weg mein Glück.
    Schreib bitte noch lange weiter!
    Liebe Grüße!
    Dana

  • Liebe Uta,
    ich freue mich immer, von tollen Büchern zu lesen. Dieses würde mir als Lehrerin und Mutter sicher helfen, sollte ich auf stotternde Kinder treffen. Denn: ich habe auch schon mal „Hol erstmal tief Luft“ gesagt. Immer kann man lernen und immer lernt man.
    Liebe Grüße
    Katrin

  • Liebe Uta,
    danke für den wunderbaren Buchtipp! Ich liebe und sammle außergewöhnliche Bilderbücher wie dieses, daher würde ich mich sehr freuen, wenn die Losfee mir 🍀Glück beschert. Ich arbeite ebenfalls als Coach und bin als Förderschullehrerin immer auf der Suche nach kindgerechten Büchern, die beschreiben wie ein Leben mit besonderen Einschränkungen aussieht, aber nicht aus einer defizitären Sicht, sondern einer positiven auf die Stärken bezogenen Perspektive.
    Das ist in diesem Buch offensichtlich gut gelungen!
    Lieben Gruß,
    Annette
    P.S.: Die neue Seite gefällt mir sehr gut:-)

  • Liebe Uta,
    das Buch klingt wirklich wunderbar und ich musste gleich daran denken, wem ich es schenken würde. Meiner Tochter, die Logopädin ist und es sicher gut gebrauchen könnte. Wenn ich es nicht gewinnen sollte, hab ich es mir vorgemerkt, dann schenke ich es ihr zu Weihnachten. Danke für den tollen Buchtipp und viele liebe Grüße aus Nordhessen,
    Christina

  • Liebe Uta,
    die Bilder in dem Buch sind ja der Hammer!
    Ich kenne einen Jungen, der sehr stottert, wenn er allerdings singt oder (und das finde ich am allerschönsten) mit seinen Freunden spricht, ist das Stottern weg.
    Danke fürs Vorstellen eines so schönen Buches!
    Liebe Grüße
    Dana

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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