Ich habe mich vergangene Woche über einen Schub neuer Follower gefreut. Kronprinz (14) hat die Entwicklung in einem Diagramm festgehalten. Die Grafik hängt in der Küche. Und er legt Wert darauf, dass nur er den Zuwachs eintragen darf.
Den steilen Anstieg verdanke ich meiner Leserin „Papagena“. Sie hat in ihrem Blog
„Die Kunst den Alltag zu feiern“ auf meine Episoden rund um das Katzenklo hingewiesen. Vielen Dank!
Bei „Papagena“ traf ich auf diese
Geschichte. Sie handelt von ihrer Tochter, die einen Brief ihrer Grundschullehrerin mit nach Hause brachte. Darin weist die Lehrerin die Eltern darauf hin, dass Töchterchen in letzter Zeit ein Problem mit Gewalt habe. Um es vorweg zu nehmen: die Rede ist von „an der Kapuze ziehen und daraus resultierendes Würgen am Hals durch den Reißverschluss“. (Wir sind an dieser Stelle froh, dass Schulen heute kein Kellerverlies mehr haben. Sonst wäre die kleine Papagena wohlmöglich in Untersuchungshaft genommen worden.)
Liebe MamaPapagena,
auch wir hatten schon so eine Nachricht aus der Grundschule. Prinzessin, damals 9, soll einen Mitschüler getreten haben. „Ja, ja, das stimmt“, sagte Prinzessin, als ich sie zur Rede stellte, „J. hatte mich ins Gesicht geschlagen. Aber ich renne ja nicht gleich wegen jeder Kleinigkeit zu Frau M. Ich wehre mich halt.“
Ein anderes Mal soll sie und mehrere Komplizen aus der Klasse bei einem Gerangel die Ranzenschnalle eines Mitschülers kaputt gemacht haben. Frau M. mühte sich um Aufklärung. An mehreren Tagen hintereinander durften die fünf Tatverdächtigen nicht in die Pause, sondern sollten sich im Verhör mit der Lehrerin zu den Anschuldigungen äußern. Nachdem mehrere solcher Gespräche stattgefunden hatten, kam Prinzessin mittags weinend nach Hause. Sie hatte bisher nichts davon erzählt, aber jetzt war sie mit den Nerven fertig.
Ich weiß Frau M.’s Bemühungen um lückenlose Aufklärung zu schätzen. Wohlmöglich hatte sie im Dienst der Gerechtigkeit auf ihren Pausenkaffee verzichtet. Sie wollte – wohl auf Druck der Mutter des“Opfers“- unbedingt den oder die Schuldige finden. Dabei hatten wir anderen Eltern längst angeboten, gemeinsam die Kosten für die Ranzen-Reparatur zu übernehmen. Das Verfahren wurde endlich eingestellt. Und ich war froh, dass nicht noch Fingerabdrücke oder Speichelproben genommen wurden.
Meine Freundin Irmgard hat – bevor sie als Lehrerin in Pension ging – an ihrer Schule Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet. Eines der Prinzipien ist, dass die Streithähne sich in Ruhe zusammensetzen und jede Konfliktpartei die Möglichkeit bekommt, ihren Standpunkt vorzutragen.
Regeln einer Schlichtung:
- wir lassen den anderen ausreden
- es redet immer nur einer
- wir werden nicht handgreiflich
- wir sagen keine Schimpfwörter
- Persönliches wird vertraulich behandelt
- wir hören dem anderen zu
- wir finden eine gemeinsame Lösung
- wir sind ehrlich miteinander
Es ist ganz schlicht. Schon nach dem ersten Punkt sind die meisten Streitigkeiten beendet. Mehr braucht es häufig nicht. Wichtig ist, dass sich Lehrer oder andere Erwachsene nicht als Richter einmischen. Sie sind höchstens als Moderatoren gefragt.
Ich wundere mich, dass sich nicht alle Lehrer auskennen mit „Streitschlichtung“. Das ist doch keine Raketenwissenschaft.
Und wenn ich die Wahl hätte, ob alle Kinder und Lehrer in der Schule Streitschlichtung lernen oder ob sie lernen, was ein Indefinitpronomen ist, müsste ich nicht lange überlegen.
Mit meiner Freundin Irmgard, der ehemaligen Lehrerin, sprach ich ausführlich über das Thema Streit*. Ich habe noch erfahren,
- dass Mobbing definiert wird als Drangsalieren des immer gleichen Opfers über längere Zeit. Von Mobbing spreche man auch erst, wenn das Opfer selber das Verhalten anderer als unerträglich empfinde
- dass es Mobbing schon immer gegeben habe, heute ist durch das Internet nur eine neue Variante, das anonyme Mobbing, dazu gekommen
- dass auch Lehrer mobben, wenn sie zum Beispiel Schüler „vorführen“.
Ich möchte noch etwas zum Thema Gewalt schreiben:
Als Kronprinz in der fünften Klasse war, gab es einen Mitschüler, der ihn immer wieder an den Haaren zog. Obwohl unser Sohn ihm mehrfach sagte, er möchte damit aufhören, ging das Haareziehen tagelang weiter. Schließlich scheuerte Kronprinz dem Jungen eine. Der Klassenlehrer bekam das mit, hörte sich beide Positionen an, ließ die Jungs sich gegenseitig entschuldigen und das Thema war für alle Zeit beendet. Heute verabreden sich die beiden gelegentlich.
Als ich bei einem Frauenfrühstück sagte, dass ich es völlig in Ordnung fände, dass mein Sohn dem anderen eine gescheuert hat, rückten die anderen Damen von mir ab. Gewalt ist ein Tabu.
Frauen haben eine andere Art zu kommunizieren als Männer. Sie sprechen, um Geselligkeit zu erreichen (gemeinsam um die Feuerstelle sitzen). Männer kommunizieren eher, um ein Ergebnis zu erzielen. Das Ziel zu erreichen, ist ihnen wichtiger als Einvernehmen.
Besonders in Grundschulen und Kindergärten herrschen weibliche Kommunikationsprinzipien vor, weil dort bis heute mehrheitlich Frauen arbeiten. Weibliche Kommunikation ist nicht besser als die männliche Art. (Wehe denen, die nicht mit an die Feuerstelle dürfen!) Und vor allen den Jungs täte es gut, wenn sie mehr raufen dürften.**
Als Irmgard vorschlug, an ihrer Schule eine Raufecke einzurichten, in der sich die Schüler – unter Einhaltung vorher festgelegter Regeln – beherzt austauschen dürfen, kam sie mit ihrem Vorschlag nicht durch.
Trotzdem immer schön fröhlich bleiben
Uta
*Meinen Post zum Thema Geschwisterstreit findet ihr
hier.
** Diese Erkenntnisse gründen sich auf mein Training
hier.
Ein interessantes Thema.
Unsere Schule ist eine Brennpunkt-Grundschule. Demetsprechend ist auch die Schülerzusammensetzung. Die Lehrer machen sich ganz gerne unsichtbar, wenn stärkere Schüler die schwächeren drangsalieren, um sich mit deren Eltern nicht anzulegen. Dafür müssen Kinder (meins) dann in die „stille Pause“, weil sie im tristen Pausenhof ohne Spielgeräte einen Parcour-Spielplatz für Ameisen gebaut haben und das Tierquälerei sei. LehrerINNEN.
In der Klasse meines Sohnes gab es einen Schüler, der alle Mitschüler massiv körperlich angriff – Treppe runterschubsen, in den Bauch treten, anspucken. Alle Eltern regten sich drüber auf, niemand tat etwas, die Lehrer sahen weg, die Kinder hatten Angst, Beulen und blaue Flecke. „Geht ihm aus dem Weg half nichts, er war körperlich überlegen und verfolgte die Kleineren. Irgendwann sprach ich diesen Schüler vor der Schule an und sagte ihm ganz ruhig, dass ich es toll finde, dass er ab sofort die anderen Kindern in Ruhe lassen würde. Denn sonst würde ich persönlich dafür sorgen, dass er es tue. Er warf sich aus dem Stand heulend auf den Boden und schrie, als hätte ich ihn niedergeschlagen, das werde er seinem Papa sagen. Alle Eltern schauten mich entsetzt an. Dem großen Bruder gegenüber wiederholte ich nochhmal das Gesagte. Er hat die anderen Kinder nie wieder angegriffen.
In Streitigkeiten zwischen gleichaltrigen und gleichstarken Kindern mische ich mich nie ein. Greifen Größere kleinere an, dann schon. Auch wenn Eltern fremde Kinder mobben, was deutlich häufiger vorkommt, als dass Kinder das untereinander tun.
Ansonsten bin ich der Meinung, Kinder müssen sich auch messen dürfen, sich ausprobieren, ihre Kräfte auswpowern. Viele Kinder werden in Watte gepackt, dürfen nicht klettern, nicht raufen, nicht in Bächen baden, nicht wilde Spiele spielen, sich nicht dreckig machen. Was für Erwachsene werden aus in Watte gepackten Kindern, die mit der Überzeugung aufwachsen, man komme nur lebendig durchs Leben, wenn man sich an jede Regel hält, jede Ungerechtigkeit leidend hinnimmt, sich nie wehrt, sich nicht die Hände schmutzig macht und nichts Schwieriges ausprobiert? Ich fürchte, das werden ängstliche, unsichere, Eigenverantwortung ablehnende Erwachsene. Genau die, die ich nicht mag.
Louise L. Hay machte in den Neunzigern den Vorschlag, an den Schulen statt dem Auswendiglernen hirnrissiger Geschichtsdaten lieber Fächer zu unterrichten wie „Wie erreiche und erhalte ich Selbstachtung und Selbstwert?“ und „Wie erreiche ich eine gute Beziehung?“ – weil das wesentlich hilfreicher für unser soziales Zusammenleben wäre. Eigenverantwortliches Handeln und vor allem das Bewußtsein dafür, dass wir für alles was wir tun, die volle Verantwortung tragen – mit allen positiven oder auch negativen Konsequenzen, fände ich wesentlich sinnvoller, als Diskussionsrunden, stille Pause und Elternbriefe. Wenn Du schneller Roller fährst, als Du es kannst, gibts aufgeschlagene Knie. Und wenn Du ein anderes Kind triezt, dann kriegt Du dafür von ihm womöglich eins auf die Mütze.
Wir wollten für den Schulgarten ein Insektenhotel bauen. Der Rektor war dagegen, weil er fürchtete, es könnten ihn Eltern verklagen, wenn ein Kind von einer Wildbiene gestochen wird. Ich dachte mir: Einmal gestochen, weiß das Kind doch dann endgültig, dass man seinen Finger nicht in eine Bienenwohnung steckt.
Das einzige Spielgerät im Pausenhof, ein tüvgeprüftes Karussell, ist seit Monaten abgesperrt und darf nicht mehr benutzt werden, weil ein Kind runterflog und sich den Arm brach – trotz Rindenschnitzeluntergrund. Ich bin fassungslos.
Weil ein Kind beim Fußballspielen gestürzt ist und sich auf dem Asphalt das Kinn aufschlug, darf jetzt auch nicht mehr Fußball gespielt werden im Pausenhof. Kein Scherz.
Wenn das erste Kind an einer eingeatmeten Erbse erstickt, wird der Anbau von Erbsen in Deutschland mit Sicherheit verboten.
Herzlicher Gruß,
Katja
Aber ja, natürlich ist das Werfen von Schneebällen verboten. Auch das Klettern auf die Pausenhofbäume, die Nutzung der 3m hohen Kletterwand (mit viel Fördergeldern eingerichtet)und – kaum zu glauben aber wahr: die Nutzung der mit 30.000 Euro Steuergeldern eingerichteten Schulküche für den Ganztagszug, um mit den Kindern zu kochen und im Advent Plätzchen zu backen. Weil: es könnte sich ein Kind am Herd verbrennen. Das ist wirklich kein Scherz.
Haare raufen, verzweifeln oder Amok laufen?
Ich kann mich noch gut an das Ende meienr eigenen Schulzeit erinnern. Wir wollten, wie jeder Abschlußjahrgang, einen Abibaum pflanzen. Auf dem terrassierten Vorplatz der Schule vor dem Haupteingang war dafür ausreichend Möglichkeit. Aber wir durften nicht wie gewünscht einen Apfelbaum pflanzen, auch keinen Kirschbaum. Ein Laubbaum sollte es auch nicht sein. Weil: Wegen des Obstes könnten Schüler verleitet werden, auf den Baum zu klettern und runterfallen. Auf dem im Herbst fallenden Laub könnten die Schüler ausrutschen und der Hausmeister müsste das Laub dann täglich zusammenrechen. Es sollte ein Nadelbaum sein – steril, unattraktiv, zum Sterben langweilig. Wir haben darauf verzichtet, einen Baum zu pflanzen.
Das war allerdings schon vor 24 Jahren. Vermutlich der Beginn der Panikmacher-Ära…
Lieber Gruß,
Katja
Liebe Raumfee,
ich wollte längst schreiben, aber jetzt:
vielen Dank für diesen wunderbaren Kommentar mit eigenen Beispielen. Was für eine Bereicherung für mein Blog!
Und ich liebe Louise L. Hay.
Das mit den Erbsen wird sofort ins Repertoire meiner Argumente aufgenommen.
Sind Schneeballschlachten bei Euch auf dem Schulhof auch verboten, weil da kleine Steine drin sein könnten und irgendein Kind auf dieser Welt bei irgendeiner Schneeballschlacht mal einen Stein ins Auge bekommen hat?
Herzliche Grüße
Uta
Liebe Uta,
Dein Post spricht mir aus der Seele. Neulich haben wir etwas ganz ähnliches bei uns in der Schule erlebt. Mit Eltern-her-zitieren und pädagogischen Vorträgen – derweil die drei Jungs nur noch genervt dabeisaßen – sie hatten sich doch längst wieder vertragen!
Dein USA-Report hat Spaß gemacht! So konnte ich mir ein bisschen vorstellen, wie es Euch so ergangen ist! Ich hab im Urlaub das Netz, obwohl vorhanden, vollständig ignoriert. Einfach mal Pause.
Und herzlichen Glückwunsch zu den 38 Mitgliedern – ich freu mich so für Dich!
Love, Isa
Hey Du,
erst mal DANKE für diesen Artikel!
Sehr tröstlich zu wissen!
Ich musste allerdings bereits wiederholt in der Schule antreten – das letzte Mal hatte mein Tocherkind ein anderes Mädchen in der Umkleide beschämt, weil sie lauthals feststellte, besagtes Mädchen trage eine Jungen-Unterhose, was man deutlich an der vorn verlaufenden Naht erkennen könne, die sei nämlich, um dahinter *pieP* zu verstauen…
Na-ja, es bleibt jedenfalls immer spannend mit den Kindern!
Herzliche Grüße,
Papagena
Ja gell, Haare ziehen tut ja auch gaaaar nicht weh! Da bin ich während des Lesens jetzt ganz nah an sie herangerückt.
Die heutige Zeit ist schon ein bisschen verquer in der grossen Übervorsichtigkeit.
Ich gehöre noch zu den Menschen (jetzt 55-jährig), die in ihrer Schulzeit (Realschule) in der Klasse 46 Kinder waren. Das war die allerhöchste Anzahl – unter 40 Kinder waren wir nie.
Es ging gar nicht, ohne irgendwelche Rangeleien, schon nur in den Pausenhof zu kommen.
Ein Hoch auf den Lehrer ihres Sohnes – ein grosses Hoch auf ihren Sohn! Ich finde, er hat das richtig gemacht.
Ein ganz grosses Dankeschön für ihren Blog!
Seit ich sie gefunden habe, lerne ich sehr gerne aus ihren Geschichten und lese oft mit Gänsehaut, da ich Kinder sehr liebe und ein gutes Leben für alle wünsche.
Wie sind wir nur alle gross geworden?
Liebste Grüsse und meine Hochachtung
Bettina
Da ich deinen Blog seit einiger Zeit entdeckt habe und ihn sehr gern mag und als hilfreich empfinde, verstecke ich mich mal nicht laenger … Danke und liebe Gruesse an Kronprinz.
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