Online-Coaching, Anna und Christopher, Teil 5
Coaching-Gespräche laufen nicht stringent. Und das ist auch gut so. Denn im Austausch können Themen aufkommen, die plötzlich dringend sind. Oder es haben sich Situationen ergeben, in denen das „Problem“ noch einmal deutlicher zu Tage trat. So ging es Anna und Christopher:
Anna:
Liebe Uta,
deine Zusammenfassung und Schlussfolgerungen haben mich sehr bewegt, denn sie fassten alles perfekt zusammen. Ich denke: Ja so ist es! Zu deinen beiden Fragen (1. Wie wirken meine Schlussfolgerungen auf euch? Ist das eine andere mögliche Sichtweise der Dinge? 2. Vertraut ihr Nils?) einfach ein überzeugtes JA, und gleichzeitig die Angst, dass Christopher es anders beantworten wird.
Ein anderes Beispiel, allerdings mit unserer Tochter (zweieinhalb Jahre alt):
Wir wollen zu viert auf das Trampolin im Garten (seltene Sache, Kinder sind voller Vorfreude). Wir sagen Smilla, sie solle heute nicht barfuß springen, denn es sei richtig kalt und sie hatte sowieso kaum etwas an. Smilla verneint und will nicht. Christopher sagt „Doch!“, Smilla verneint. Christopher droht : „Entweder Schuhe an oder du kannst nicht mithüpfen.“ Ich werfe ein (freundlich) „Hä? Sag doch nicht etwas, was wir eh nicht einhalten!“. Worauf Christopher sagt, während er sie dann barfuß aufs Trampolin hebt und hinterherkommt: „Vielleicht sollten wir das aber durchziehen!“- „Wie? Du willst sie vor dem Trampolin sitzen lassen, wir hüpfen und sie weint… sowas machen wir doch nie!?“ sage ich etwas ungläubig, in dem Wissen, dass sie sich eigentlich was anzieht, wenn ihr wirklich kalt wird. „Die Frage ist, was ist Erziehung!? Vielleicht ist genau DAS unsere Aufgabe!“ Puuuuhhh… er lenkte dann irgendwie ein und es wurde lustig. Überzeugt war er aber nicht. Am Ende hüpfte Smilla nicht nur ohne Schuhe, sondern auch ohne Shirt. Nur im Body. Sie kam danach in die warme Badewanne…wir waren ja Zuhause und haben Ferien. Alles super.
Entschuldige die wirre Schreibweise, ich tippe am Handy.
LG Anna
Jetzt kommt Christophers Sicht der Trampolin-Situation:
Von mir kam dann ein Satz neuer Fragen zur Trampolin-Situation.
Anna:
Liebe Uta,
Danke für deine Fragen. Ich habe sie gestern schon gelesen und sie gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwie konnte ich nicht direkt antworten. Da ging es ja ans „Eingemachte“. Ich habe mich etwas geschämt und ertappt gefühlt. Aber so ist Reflektieren wohl; -)
Hier nochmal deine Fragen und meine Antworten direkt dazu:
- Ihr sagt beide („Wir sagen Smilla …), dass sie nicht barfuß springen soll. Als Christopher das durchziehen will, sagst du, „Hä? Sag doch nicht etwas, was wir eh nicht einhalten!“. Sagst du das vor den Kindern?
Das habe ich tatsächlich vor den Kindern gesagt:-( aber auch in dem Wissen, dass zumindest Smilla sowas noch nicht voll erfassen kann. Trotzdem falsch.
- Wozu macht ihr beide die gleiche Ansage und dann fährst du Christopher dafür in die Parade?
Ich hätte Schuhe besser gefunden. Aber nicht wirklich wichtig, weil sie sich bewegt und ihr eh warm wird. Es hätte gut sein können, dass Smilla die Schuhe gerne anzieht (sie liebt Schuhe). Dass Christopher Smilla die Ansage macht, dass sie die Schuhe anziehen soll- okay! Dass er mit Ausschluß droht – für mich nicht okay. Sowas finde ich doof, das will ich nicht. Obwohl…hätte er gesagt, „doch du ziehst die Schuhe an! Es ist zu kalt!“ Hätte ich das okay gefunden. Aber dieses Drohen ist mir fremd.
- Was hat dich so sprechen und handeln lassen?
Ich war erschrocken, dass er so eine Drohung ausspricht. Und wir dadurch kurz davor sind, die ganze schöne Sache- alle zusammen hüpfen (selten und spaßig) – in den Sand zu setzen. Denn Smilla hätte doll geweint, Nils hätte so nicht hüpfen wollen (Smilla tut ihm schnell leid und er will sie dann vor uns verteidigen) und ich hätte eh keinen Spaß gehabt, wenn sie vor dem Trampolin sitzt und weint. Sie hätte die Schuhe nie angezogen. Ich wusste das. Ich habe nach Christophers Ansage einfach die ganze Situation kommen sehen…da hatte ich keine Lust drauf. Nur aus Prinzip oder aus Sorge hätten wir keinen Spaß mehr gehabt…ich war wirklich traurig.
- Was denkst du, wie Christopher sich fühlt in dieser Situation?
Doof. Übergangen. Vielleicht verletzt.
- Gibt es nur die eine Bewertung: barfuß in Kälte = Gesundheit und Spaß?
Es gäbe natürlich auch eine andere Bewertung. Eine, die die Erziehung in dem Moment höher stellt als das Genießen des Moments… oder aber die Sorge um die Gesundheit.
- Verhält sich Christopher auch so, wenn du etwas durchsetzt gegenüber den Kindern?
Nein, ich glaube nicht. Bzw. wenn ich scheinbar (oder wirklich) ungerecht oder motzig bin, sagt er es mir. Aber eher nicht vor den Kindern.
- Was denkst du, was in dieser Situation bei den Kindern ankommt? Wie sehen sie ihren Vater? Wie erleben sie eure Partnerschaft?
Mama darf entscheiden, sie ist die Bestimmerin, Papas Ansage muss man nicht ernst nehmen, ihn muss man unter Umständen nicht ernst nehmen.
Partnerschaft : dass ich Christopher nicht ernst nehme (in dieser Situation!). Ich bin ansonsten eigentlich überzeugt, dass wir miteinander sehr respektvoll umgehen, der Umgangston zwischen uns wirklich respektvoll ist und die Kinder das sehen. Aber in der Situation – tja. Doof.
Und nun meine Fragen an Christopher zur Trampolin-Situation und seine Antworten:
- Ist es „dogmatisch“, wenn du Smilla sagst, sie darf nur mit Schuhen auf das Trampolin?
- War es dir wichtig, dass Smilla Schuhe anzieht?
- Wenn ja, warum setzt du dich damit nicht durch?
- Schadet es den Kindern, wenn sie gelegentlich eine klare Ansage bekommen?
- Wie bewertest du Annas Verhalten in dieser Situation?
vielen Dank für eure Antworten!
Ich möchte einmal meinen Eindruck von unserem Austausch zusammenfassen:
Ich bin davon überzeugt, dass ihr als Familie sehr gut unterwegs seid. Eure Kinder können sich glücklich schätzen, dass sich ihre Eltern so viele Gedanken machen.
Ich habe auch den Eindruck, dass ihr sehr liebevoll und respektvoll miteinander umgeht.
So wie ihr Nils schildert, bin ich überzeugt, dass er ein sehr normaler, sogar sehr kooperativer Junge ist. Ich finde nichts besorgniserregend an dem, was ihr berichtet. Eher im Gegenteil. Wie er sich gegenüber sein Schwester zu verhalten scheint, finde ich bemerkenswert lieb. Ihm wird es sehr helfen, wenn ihr ihm zu 100 Prozent vertraut und neue Zuversicht schöpft, auch was seinen Schulstart angeht.
Wenn Nils mal „nicht hört“, könnte es daran liegen, dass er uneindeutige „Schwingungen“ empfängt. So nach dem Motto: „Papa sagt zwar, ich soll den Schlafanzug anziehen, aber er fühlt sich irgendwie schlecht dabei, er will niemand sein, der Befehle gibt oder dogmatisch oder patriarchalisch oder was auch immer ist. Wenn ich ihm jetzt folge, dann fühlt er sich vielleicht wie ein Despot. Also verhalte ich mich mal lieber uneindeutig.“ Das Ganze läuft natürlich höchst unbewusst ab, auf jeden Fall haben Kinder sehr feine Antennen dafür, wenn Eltern innerlich zerrissen sind. Und dann funktioniert das nicht mit dem Hören und Folgen.
Mein Eindruck ist ferner, dass die Sanktionen in der Vorschule ein gewisses Misstrauen gegenüber Nils ausgelöst haben. Ganz ehrlich: hier sehe ich eher ein Fehlverhalten bei der Lehrerin als bei Nils, zumindest was ihre Strafmaßnahmen angeht. Dazu unten mehr.
Ich hatte an einigen Stellen den Eindruck, dass ihr Zweifel habt oder euch selbst runterzieht, wenn ihr den Kindern mal Ansagen macht oder etwas durchsetzt. Wichtig ist: Steht ein für eure Bedürfnisse und Bedingungen. Dann lernen Kinder auch, für ihre einzustehen. Eiert dann nicht rum, sondern steht 100 Prozent dahinter.
Aber man muss nicht konsequent sein um der Konsequenz willen. Das hat etwas Künstliches. Das merken Kinder und dann wird der Ton genervt, weil es nicht wirkt und weil die Kinder spüren: Da spielt mein Papa oder meine Mama eine Rolle. Und das ist irgendwie aufgesetzt. Sie „riechen“ förmlich eure Angst vor Machtlosigkeit und dass euch alles entgleiten könnte. Und wups … erhaltet ihr das befürchtete Ergebnis: sie hören nicht.
Ist euch vielleicht mal aufgefallen, dass ihr das, was euch wirklich wichtig ist, auch durchsetzt und die Kinder dann auch kooperieren, weil einfach eine andere innere Kraft (natürliche Autorität) und eine starke Absicht dahinter steckt?
Deshalb nicht so viel grübeln: Ihr merkt schon, wann der Punkt erreicht ist, etwas durchzuziehen. Ja … und man macht Fehler und man eiert auch herum. Das ist nicht tragisch. Dafür sind wir Menschen. Und gerade Kinder wollen es mit echten Menschen zu tun haben und nicht mit Leuten, die eine Rolle spielen oder den ganzen Tag Pädagogen sind.
Was mir noch wichtig ist: Partnerschaft hat Priorität. Wenn Eltern ihre Partnerschaft pflegen, ist das etwas, von dem die ganze Familie sehr profitiert.
Weniger gucken: Wer hat Recht in der Situation xy? , sondern „Wie kann ich meinen Partner unterstützen in dieser Auseinandersetzung?“
Auch mal abends fragen: „In Situation z gibt es immer Stress. Was bringt dich so auf die Palme? Wie kann ich dich da unterstützen?“ (obwohl ich glaube, das macht ihr schon!)
Und schließlich noch einmal zur Vorschule: Gut, dass ihr dort interveniert habt. Ich würde noch einmal hingehen und um ein Gespräch bitten. Dabei würde ich sehr deutlich machen, dass es Nils – verständlicherweise – sehr zusetzt, wenn er solche Sanktionen zu spüren bekommt, und sagen, dass ihr nicht möchtet, dass er mit Gemeinschaftsausschluss bestraft wird. Ihr könntet die Lehrerin bitten, sich an euch zu wenden, wenn er sich wiederholt nicht an Regeln halten sollte. Dann kann man überlegen, was die Gründe sein könnten, statt ihn zu strafen und zu demütigen.
Liebe Anna, lieber Christopher, an dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön fürs Mitmachen! Ich habe viel gelernt.
Vielleicht habt ihr Lust mir zu schreiben, was beim Online-Coaching für euch funktioniert hat und wo ich es optimieren könnte.
Ich wünsche euch ein erfülltes und freudvolles Familienleben!
Herzliche Grüße
Uta
Liebe Uta,
von uns beiden ein großes Dankeschön für das ganze Coaching und deine letzte Einschätzung.
Aus unserer Sicht hat das Ganze funktioniert, denn es hat sich viel geändert. Im Umgang mit Nils, in den Gedanken über Nils, im Umgang zwischen uns Eltern und auch in den Gedanken, die wir jeweils von-/-übereinander haben in den jeweiligen (kritischen) Situationen. Wenn man so drüber nachdenkt, also eine ganze Menge!!! …das bedeutet also, dass all deine Fragen und die Reihenfolge dieser, funktioniert haben und zielführend waren.
Gerade dadurch dass der Austausch täglich war, empfinden wir das als eine gute Möglichkeit, wirklich etwas „anzugehen“. Man ist dadurch ja wirklich gezwungen, sich Gedanken zu machen und diese dann auch noch halbwegs passend zu verschriftlichen. Alleine das Verschriftlichen trägt ja nochmal ordentlich für die eigene Erkenntnisgewinnung bei… dann der große Vorteil, das Ganze aus den heimischen Wänden heraus angehen zu können, ohne wöchentlich einen Termin wahrnehmen zu müssen! Das ist ja häufig schwierig, in den Alltag zu integrieren beziehungsweise eine Sache, die den Angang erschwert. Auch die so zeitlich komprimierte Auseinandersetzung empfinden wir echt als Vorteil. So kann wirklich in kurzer Zeit was geändert werden (jetzt wiederhole ich mich). Alles irgendwie perfekt bei deinem online coaching! Jedenfalls jetzt grade so unser Gefühl:-)
Toll! Danke!!!
Alles Gute für Dich und deine Vorhaben!
Christopher und Anna
Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, das war jetzt nicht zu lang für euch!
Immer fröhlich einander unterstützen in der Partnerschaft!
Eure Uta
Titelbild von Rene Asmussen von Pexels. Vielen Dank!
Ich finde es auch interessant, die einzelnen Situationen (die wir sicherlich alle mehr oder weniger selber kennen) aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Ich wünsche mir mehr davon. 🙂
Danke, dass du geschrieben hast, Janine! Das sind für mich wichtige Rückmeldungen! LG Uta
Liebe Uta,
ich finde es gar nicht zu lang, es ist gut so und gibt wertvollen Input.
Danke fürs Teilen!
Lg Sternie
Danke für deine Rückmeldung!
Liebe Uta,
dein Online-Coaching ist superspannend zu lesen. Dass es etwas ausführlicher ist, als deine anderen Texte, tut der Sache keinen Abbruch. Durch den ungekürzten Originalton werden die Situationen richtig miterlebbar (und ja, diese kalte-Füße-Schuh-Geschichte hätte genauso auch bei uns spielen können).
Einen Tipp habe ich noch, wie ich mich gern „aus der Affäre ziehe“, wenn etwas so schlichtes wie Schuhe-oder-nicht zum Machtkampf zu werden droht (wenn ich mir selber sogar noch unschlüssig bin, ob barfuß hüpfen vielleicht nicht doch ok sein könnte): Ich verschiebe die Entscheidung. Wir würden im diesem Fall ausmachen, dass kurz barfuß gehüpft werden darf, dann werden die Füße überprüft, ob sie kalt sind und danach entschieden, ob es so weitergehen kann / Schuhe angezogen werden / das Trampolin verlassen wird und man nach drinnen zum Aufwärmen geht.
Viele liebe Grüße,
Kristin
Liebe Uta,
für mich können deine Posts gar nicht lang genug sein:-)
Denn danach sind meine Unsicherheiten,die mich leider oft mürbe machen, wie weggeflogen und ich fühle mich bestärkt.
Du gibst vielen Mamas diese Bestärkung ,das ist so wundervoll !DANKE
Alles Gute und liebste Grüße