Eltern fangen schnell an zu drohen und zu strafen, dabei haben sie – auch ohne solche „Hebel“ – mehr Einfluss als sie denken.
„Und dann steh‘ ich vor dem großen Kerl und kann nichts mehr machen. Ich kann ihn mir ja nicht wie früher unter den Arm klemmen, ins Auto schnallen und einfach zum Gitarrenunterricht bringen.“
O-Ton einer Mutter. Ihr Sohn Tim ist 12. Seit der Scheidung lebt sie mit ihm und seiner Schwester allein. Die Situation mit dem Gitarrenunterricht (Er sagt: „Ich gehe heute nicht hin.“ Sie sagt: „Ich zahle dafür, du gehst da hin.“) ist eine, die ihr Angst macht. „Ich denke dann, es entgleitet mir mit Tim.“
Das ist eine typische Situation zu Beginn der Pubertät. Die üblichen Ansagen funktionieren nicht mehr. Als Mutter oder Vater hat man dann schnell das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
So auch bei mir. Prinzessin (14) hatte spät abends etwas Bauchweh, war versorgt mit Tee und Wärmflasche und wollte zum Zähneputzen nicht mehr aufstehen. Ich sagte, ohne Zähneputzen geht für mich nur, wenn man à la Pirat Störtebecker den Kopf unterm Arm trägt. Keine Reaktion. Resigniert verließ ich ihr Zimmer.
Dabei unterschätzen Eltern, welchen Einfluss sie auf ihre Kinder, auch auf die Größeren, haben.
Sie denken, jetzt muss ich den nächsten Hebel ansetzen, laut werden, mit etwas drohen, sonst verliere ich völlig die Kontrolle und mein Kind gerät in den Morast des Verderbens.
Wenn ich aber schimpfe und strafe, gerate ich in den Morast der Machtkämpfe. Dann behält mal der eine die Oberhand, mal der andere. Aber letztlich verlieren alle.
Eltern haben einen großen Einfluss auf ihre Kinder. Immer.
Besonders wenn die ersten zehn Jahre gut gelaufen sind. Wenn ich mein Kind liebevoll geführt und seine Persönlichkeit geachtet habe, habe ich gute Chancen, dass meine Meinung, meine Werte ihm auch als Jugendlicher und Erwachsener wichtig sind.
Tim ist in letzter Sekunde zum Gitarrenunterricht gefahren.
Prinzessin ist nach unserem Gespräch doch noch ins Bad gegangen. Fünf Minuten später hörte ich ihre Schritte.
Das sind kleine, banale Beispiele, aber sie zeigen, worum es im Kern geht:
- Als Eltern in der Pubertät klar Position beziehen („Mir ist das wichtig, weil …“).
- Aber dann nichts mehr sagen.
- Dem Jugendlichen Raum geben, sich selbst zu positionieren.
- Aushalten, dass sie sich auch mal nicht verhalten wie gewünscht.
- Immer in Beziehung bleiben.
Gitarrenunterricht, Zähneputzen – das sind Peanuts.
Wer mal eine Anregung dafür braucht, wie man in Beziehung bleibt oder wieder in Beziehung kommt, wenn allen Beteiligten das Wasser bis zum Hals steht, muss den Film „Das Haus am Meer“* (von 2003 mit Kevin Kline, Kristin Scott Thomas und Hayden Christensen in den Hauptrollen) sehen:
Sam lebt seit der Trennung der Eltern bei seiner Mutter, die wieder geheiratet und noch zwei Kinder bekommen hat. Sam verschanzt sich die meiste Zeit in seinem Zimmer und dröhnt sich mit Drogen zu. Als sein Vater George seinen Job als Architekt verliert und auch noch erfährt, dass er sterbenskrank ist, beschließt dieser, sich in seinen letzten Monaten seinen großen Traum zu erfüllen und ein Holzhaus am Meer zu bauen. Er holt Sam über die Ferien zu sich, obwohl der Junge sich zunächst allem verweigert, was George von ihm will. Trotz aller Widerstände und Kämpfe aber bleibt George dicht an ihm dran und gibt seinen Sohn nicht auf.
Ich liebe diesen Film. Nur immer fröhlich Taschentücher bereit halten.
Eure Uta
* Er ist freigegeben ab 6, ich würde ihn aber nicht mit Kindern unter 12 Jahren gucken.
Foto von Helena Lopes von Pexels. Vielen Dank!
Liebe Uta,
die Herzbuben sind noch weit entfernt von der Pubertät. Aber natürlich besteht das Gefühl der Machtlosigkeit trotzdem oft genug. Wenn ich gestresst, erschöpft, kränklich bin, schaffe ich es oft nicht, ohne diese „wenn …dann …“-Absurditäten und das auch meist laut. Allzu oft fehlt mir die Idee zur logischen Konsequenz, macht mich der große Herzbube ratlos angesichts seiner wilden Ideen, deren Logik ich oft nur mit viel Nachdenken erahnen kann und derer ich mir nie sicher sein kann. Und aus der sich für mich einfach keine logische Konsequenz ergibt.
Nun gab mir eine Beraterin mit auf den Weg, konsequent zu sein und bei Regelverstößen mit Dingen zu strafen, die für den Herzbuben bedeutsam sind, ihm also das Liebste zu entwenden (momentan seine Puppen).
Vielleicht geht es bei dem großen Herzbuben wegen seines Autismus nicht anders, als es so immer wieder zu trainieren, aber es fühlt sich nicht richtig an und ich kann ja nur hoffen, dass es zielführend ist. Zumal er sich nun beschwert, dass ich dem kleinen Herzbuben ja auch die Malstifte wegnehmen müsste, wenn dieser sich nicht an die vereinbarten Regeln hält.
Ich nehme dem Großen doch somit seinen Anker in der für ihn so überrfordernden und stressigen Welt. Das hat doch mit Achtung seiner Persönlichkeit nicht viel zu tun.
Schwierig.
Gut, dass du darüber schreibst, das macht mir klar, dass ich da Klärungsbedarf habe und nachfragen muss.
Den Film könnte ich gar nicht gucken, mir hängen solche Themen in Büchern und Filmen zu sehr nach und diese ganze Weinerei macht dicke Augen und schlimme Kopfschmerzen.
Liebe Grüße und danke,
Frieda
Die Überschrift liest sich aber gruselig. Wenn es um einen Hund ginge, ok. Aber von einem Menschen, unserem Kind, wünschen wir uns doch ganz unbedingt, dass es selbstständig wird. Entgleiten…….da spielt mein Kopfkino groß auf: Das Kind ist mein Besitzt, es macht nicht, was ich will, es ist zu blöd, selber für sich zu entscheiden…
Von einmal nicht Zähneputzen fallen die Zähne ja nicht aus. Und wenn erlebt wird, dass nach schlechter Pflege etwas kaputt geht, hat es doch einen guten Lerneffekt – Primärerfahrung- Wenn ich meinem Kind nicht mal als Teenager Primärerfahrung zubillige, hat es diese wahrscheinlich auch als Kind nicht machen dürfen (ein Kleinkind kann natürlich noch nicht selber entscheiden, ob und wie geputzt wird, aber es kann selber erleben, dass es keine Süßigkeiten mehr gibt, wenn es sich weigert zu putzen, weil die Schäden an den Zähnen dann wesentlich größer sein würden). Um als Mensch selbstständig zu werden, frei zu sein in seinen Entscheidungen, braucht es Primärerfahrung.
Oh yey!
Ich bin ganz vorn angekommen und ich muss sagen, dass ich einfach dein Blog liebe!
Ich habe mit vielen Texten mein Freund und Bekannte „genervt“, weil ich sie einfach so toll finde und fühlte mich immer wohler. Ich steh noch ganz am Anfang, aber wie du mit deinen Kindern umgehst und was du so zitiert hast aus Büchern ist ein Weg der mir gefällt. Nur leider gefällt er einigen Älteren (Schwiegereltern und so) gar nicht. Doch ich lass mich (hoffentlich) nicht beirren.
Ich muss es einfach sagen:
Danke! Danke für deinen Blog und deine Art. Du schreibst so toll!
LG
Bammy
Vielen, vielen Dank! Ich freue mich riesig über deine Kommentare. Und lass dich nicht beirren. Es lohnt sich so sehr. Liebe Grüße, Uta