Wie wir besser auf unsere Kinder eingehen können

 

  • Wenn kleine Kinder nörgeln und man keine Idee hat, woran es liegen könnte, sind sie oft einfach hungrig oder müde. Von Jesper Juul habe ich gelernt, körperliche Bedürfnisse von Kindern zu achten und ihnen zum Beispiel kein Essen aufzudrängen. Nun habe ich in dem Buch „slow family“ gelesen, wie Nicola Schmidt ein kleines Mädchen mit Mandeln wieder in ihr Gleichgewicht bringt. Ja, mit Mandeln. Es war eine knapp Dreijährige, die während der Ferien, die mehrere Familien gemeinsam in einem Camp verbrachten, als sehr weinerlich und aggressiv auffiel. Das schmächtige Mädchen wollte auf einer Wanderung plötzlich weder vor noch zurück gehen. Sein Vater redete mit Engelszungen auf es ein, fragte und forschte, um seine Bedürfnisse zu ergründen. Kein Erfolg. Schließlich bat Nicola ihn, mit dem Kind allein sprechen zu dürfen. Sie hockte sich vor das Mädchen und sagte: „Das sind Zaubernüsse. Die sind nur für Kinder. Ich habe sie immer in der Tasche. Kein Erwachsener kriegt davon. Willst du eine?“ Schließlich aß das Mädchen eine Mandeln und schließlich ein Handvoll. Es hatte schlichtweg Hunger. Nicola Schmidt sprach in den nächsten Tagen mehrfach mit der Familie. Es stellte sich heraus, dass die Eltern ihre kleine Tochter für so kompetent (à la Juul) gehalten hatten, dass sie es ihm überließen, seine Bedürfnisse nach Essen und Schlaf selbst zu regeln. Nach wenigen Tagen mit mehr Führung bezogen auf Essen und Schlaf war das Mädchen wie ausgewechselt. (Julia Dibbern, Nicola Schmidt: slow family. Sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern. Weinheim 2016, Seite 55 – 57)

„Wir… sind sicher, dass Kinder sehr kompetent sind. Aber jedes Kind braucht Hilfe an einer anderen Stelle seiner Entwicklung. Manche Kinder können Schlafen und Essen selbst regeln. Manche eben nicht. Und es ist unser Job als Eltern, das zu erkennen und nicht aufgrund schöner Theorien nicht mehr hinzugucken.“  (ebenda, Seite 54)
Also immer fröhlich ein paar Mandeln oder eine Banane in der Tasche haben!

  • Gut gefallen hat mir auch der Tipp von Danielle Graf und Katja Seide (ebenfalls Ratgeber-Autorinnen), wie man für Kinder einen Anreiz schaffen kann, sich morgens allein und schneller anzuziehen. Sie schreiben: „Den Durchbruch brachte bei uns, die Anziehsachen einen Moment auf die Heizung im Bad zu legen und vorzuwärmen.“ Die Idee führt auch zur Beschleunigung, weil die Kinder schnell machen müssen, um den Effekt zu spüren. (Danielle Graf, Katja Seide: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch Trotzphasen. Weinheim 2016, Seite 192)
  • Eine entscheidende Hilfe im Leben mit Kindern ist es, darauf zu achten, ob ein Kind „bindungssatt“ ist. Wenn ihr eure Tochter oder euren Sohn am Mittag oder Nachmittag aus der Kita oder der Grundschule abholt, hat sie oder er das Bedürfnis nach Nähe zu euch. Ganz schlicht. Kein großes Programm, kein Zoo, kein Abenteuerspielplatz, keine komplizierten Bastelaktionen. Einfach Nähe: Hand in Hand nach Hause schlendern, statt zu hetzen, das Kind achtsam im Auto anschnallen, dabei seine Haare aus dem Gesicht streichen, zu Hause Kuscheln auf dem Sofa, Zöpfe flechten, Rücken kratzen. Dabei können sogar eure eigenen Bedürfnisse ins Spiel kommen, einen Becher Kaffee und/oder Kakao trinken, gemeinsam die Hände daran wärmen, Füße hoch legen…. (Der Begriff „bindungssatt“ stammt von Dagmar Neubronner in Anlehnung an den Kanadischen Kindertherapeuten Gordon Neufeld; siehe auch: Dagmar Neubronner: Der Neufeld-Ansatz für unsere Kinder. Bremen 2015, Seite 70)
  • Teenager dagegen brauchen ihre Peers (Gleichaltrige). Sie sind schnell bindungssatt, was ihre Eltern angeht ;-)))). Sie verbringen auch gerne Zeit mit Mama und Papa. Was sie aber schnell satt haben, ist, wenn sie in dieser Zeit belehrt oder gemaßregelt werden.
  • Wenn mein Kind in einer Gruppe ist, hole ich es am besten kurz heraus, wenn ich ihm etwas Wichtiges sagen will. Nicht nur weil es in den meisten Fällen demütigend ist, wenn Mama vor den Freunden schimpft, sondern auch weil die Botschaft meist nicht ankommt. Denn in so einer Situation ist das Bindungssystem des Kindes doppelt aktiviert und zwar in unterschiedliche Richtungen, quasi zum Zerreißen. „Ein … Kind, …, ist nur bereit, uns Folge zu leisten, wenn es sich mit uns verbunden fühlt. Wir müssen also die Bindung erst wieder aktivieren und das Kind sozusagen einsammeln.“ (Neubronner, ebenda, Seite 84) Wenn der siebenjährige Sohn zum Beispiel mit Freunden durch den Garten tobt, kann ich über den Rasen brüllen, sie sollen die Lichterkette in Ruhe lassen und „In einer halben Stunde gibt es Abendbrot!“. Es wird aber mehr bringen, wenn ich ihn kurz zur Seite nehme, ihm freundlich in die Augen schaue, eine Hand auf seine Schulter lege und sage: „Wow, ihr habt richtig Spaß gerade, oder? Ich will dich nur kurz bitten, den Stein wieder auf das Kabel von der Lichterkette zu legen und euch darauf einzustellen, dass es bei uns in einer halben Stunde Abendbrot gibt.“
  • Man bekommt häufig mit, dass Eltern ihr Kind anraunzen: „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ Damit aktiviere ich nicht das Bindungs-, sondern sein Alarmsystem. („Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?“) Augenkontakt ist wichtig, und ich als Erwachsene sollte dafür sorgen, ihn freundlich herzustellen. Denn die Verantwortung für die Qualität unserer Beziehung kann ich nicht meinem Kind in die Schuhe schieben. (Neubronner, ebenda, Seite 80)
  • Wie hilfreich es ist, wenn sich Väter immer mal wieder freundschaftlich einen Ringkampf mit ihren Söhnen liefern, daran erinnert Jesper Juul. Der intensive Körperkontakt helfe den Jungen mit ihrer männlichen Energie umzugehen und selbstsicher zu werden. Solche Papas, so Juul, würden ihre Söhne vor mancher Diagnose samt Therapie bewahren. (Jesper Juul: Aggression. Frankfurt am Main 2016, Seite 50/51)
  • Ich bin dankbar, dass das Buch „slow  family“ an eine Stelle aus Michael Endes „Momo“ erinnert. Darin sagt der Straßenkehrer Beppo: „Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich … Das kann man niemals schaffen, denkt man … Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich … Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut.“ („slow family“, ebenda, Seite 10/11)

Immer fröhlich Mandeln in der Tasche tragen, Kindern freundlich in die Augen schauen und heute die zweite Kerze anzünden!
Eure Uta
PS: Ich danke den Verlagen Beltz und Genius für das freundliche Bereitstellen meines Lesefutters!

Das Titelbild ist von Yan Kurkov von Pexels. Herzlichen Dank!

  • hilft ja auch nicht nur eltern. ähnliches wie die mandelgeschichte, mache ich mit schokolinsen auf klassenreisen. „antiheimwehpillen“. hilft auch lehrenden eine bindung mit leichter führung aufzubauen.
    liebe grüße,
    jule*

  • „Slow family“ lese ich auch gerade und habe seitdem immer Mandeln in der Handtasche 🙂 Wie schön zu lesen, dass dich diese Episode auch beeindruckt hat. Das Buch ist wirklich empfehlenswert, nicht nur inhaltlich, auch optisch ist es sehr schön aufbereitet. Liebe Grüße, Christina

  • Für Mandeln ist das Töchterlein noch etwas klein, aber Rosinen tun es auch. Denn gerade unterwegs passiert es eben doch ab und zu, dass etwas länger dauert als geplant. Und zweimal mit einem nöligen Kind zu Stosszeiten Buss zu fahren, hat mich gelehrt, an die Rosinen zu denken 😉
    LG, Julia

  • Vor drei Tagen habe ich diesen Artikel gelesen und seit drei Tagen gibt es dank vorgewärmter Anziehsachen kein Theater mehr beim morgendlichen Anziehen! Vielen lieben Dank!

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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