Drei Monate und drei Tage nachdem Amy eingeschläfert wurde, mussten wir nun auch von unserem Kater Gulliver Abschied nehmen. Nach dem Tod seiner Schwester hatte er stark abgebaut. Seine seit längerem kranke Schilddrüse sprach auf Medikamente nicht mehr an. Überall zwischen seinem roten Fell hatten sich Wunden und dicke Krusten gebildet, ein Angriff des Immunsystems auf den eigenen Körper.
Am vergangenen Samstagabend wollte er dringend nach draußen. „Warum nicht?“, dachten wir. Vielleicht mag er sich ein Weilchen ins Gras legen und Nachtkühle und Grillenzirpen genießen. Aber als wir wenig später nach ihm schauten, war er nicht mehr im Garten. Mein Mann und ich vertrieben uns die Zeit mit einem flauen Krimi im Fernsehen, sortierten Unterlagen, polierten einzelne Löffel … immer mit Seitenblick auf die Terrasse, die von einem Strahler so stark beleuchtet wird, dass auch ein abgemagerter Kater nicht zu übersehen wäre. Aber da war kein Gulliver. Wir füllten Trockenfutter in einen Becher und liefen rasselnd durch die Nacht. „Gulli? Gulliver?“ Wir riefen in Hecken hinein, bückten uns rasselnd ins Unterholz, riskierten einen bangen Blick auf die Straße. Nichts.
Hatten wir nicht schon davon gehört, dass Hunde und Katzen sich unter einen Baum legen, wenn sie spüren, dass das Ende naht? Ich übte mich zu akzeptieren, was vielleicht des Katers letzter Wille war. Es gelang mir leidlich und ich ging bedrückt ins Bett. Mein Mann hielt noch bis 2 Uhr die Stellung. Ich übernahm wieder um 5.
Was fällt der Sonne ein, aufzugehen und so viel funkelnde Schönheit zu verbreiten, wenn ein Gulliver irgendwo leidend hinter einem Zaun liegt? Wie wenig Anteilnahme ist von einem Eichhörnchen zu erwarten, das aus „seinem“ Zuber auf der Terrasse Wasser schlabbert? Wie pietätlos können Vögel zwitschern? Ich kletterte bei den Nachbarn, die gerade im Urlaub sind, über den Zaun, arbeitete mich durch Brombeer-Gestrüpp auf ein weiteres Grundstück. „Gulliver?“ Nach 15 gemeinsamen Jahren kann man doch nicht einfach so verschwinden!
Unsere Nachbarin zur Rechten nahm mich in den Arm und versprach, bei der Suche zu helfen. Ich radelte zum Bäcker und kaufte ohne Appetit wahllos ein paar Brötchen. Das letzte Stück Heimweg schob ich das Rad und untersuchte alle Hecken am Wegesrand mit meinem Röntgenblick. Rotes Fell ist nun wirklich keine gute Tarnung.
Als ich zu Hause meinen Mann am Küchenfenster erspähte, hob er strahlend den Daumen. „Er ist wieder da!“ rief er. „Eben ist er um die Ecke gekommen und hat sich die Treppe nach oben geschleppt.“ Dort lag Gulli. Bei Prinzessin im Zimmer, schwer atmend hinter der Tür. Die Wunde am Maul wieder offen, das rechte Auge verklebt. Selig vergrub ich meine Nase in seinem Nackenfell.
Am Montag versuchte ich, die Tierärztin zu erreichen. Vergeblich! OP-Tag. Am Mittag schaffte es der Kater zum ersten Mal in seinem Leben nicht mehr auf das berühmte Katzenklo. In diesem Moment wussten wir, dass es von nun an egoistisch wäre, ihn bei uns zu behalten. Am Abend meldete sich die Tierärztin und versprach, am anderen Tag zu kommen. Prinzessin sagte eine Vorlesung ab und reiste aus Lübeck an. Auch Kronprinz kam zum Abschiednehmen. Auf dem Schoß von Prinzessin durfte er am Nachmittag für immer einschlafen.
15 Jahre war er bei uns. Er war Prinzessins „kleiner Mann“. So rief sie ihn. Und wir beide seufzten häufig „wie kann man nur so süß sein?!“, wenn er sich auf der Terrasse räkelte und sein Fell golden in der Sonne glänzte.
Er konnte aber auch sehr ärgerlich werden. Wenn man ihm nicht gleich die Terrassentür öffnete, kratzte er so heftig an der Scheibe, als könnte er einen Einstieg in das Glas graben. Und ließ man ihn endlich rein, war ihm seine Empörung über diesen schlechten Service deutlich anzusehen.
Er war die Katze mit den kuriosesten Schlafplätzen. In der Küche mochte er es, in dem kleinen Raum zu liegen, der hinter dem großen Schubfach entsteht, wenn man es rauszieht. Wie oft musste ich einen Zettel an den offenen Schrank kleben, damit niemand aus Versehen die Lade wieder zuschob. Eine Zeit lang lag er quer auf den Schuhen im Flur. Und als Prinzessin, sein Frauchen, Anfang Juni in Hamburg war, schlief er den ganzen Tag im Deckel ihres aufgeklappten Koffers und zwar da, wo die Streben jede bequeme Lage unmöglich machten. Als der Koffer wieder weg war, ließ er sich noch zwei Tage lang genau dort nieder, wo ihr Koffer gelegen hatte.
In seinem letzten Lebensjahr pflegte er, sich bei Tisch zu einem von uns mit auf den Stuhl zu quetschen. Und saß er erst einmal komfortabel auf dem Schoß, ließ er blitzschnell seine Pfote nach irgendwelchen Krümeln ausfahren. Am liebsten mochte er die dunkle Kruste von Schweizer Bürli-Brot und verputzte genüsslich, was davon für ihn abfiel.
Danke, lieber Gulliver, du warst Prinzessin und uns allen ein treuer Freund!
Du hast so gut wie nie gekratzt oder gebissen. Okay beim Blutabnehmen bei der Tierärztin, aber geschenkt!
Danke für deine Geduld mit gelegentlichen Gastkindern.
Danke für all die Kuschelstunden mit dir morgens in meinem Lesesessel.
Und danke, dass du am vergangenen Sonntag doch noch einmal zurück gekommen bist.
Wieder fröhlich werden wir treu die Blumen auf seinem Grab im Garten gießen,
Eure Uta
PS: Denkt bitte nicht, dass es ohne Katzen keinen Katzenklo-Blog mehr geben wird. Im Gegenteil. Gerade wird meine Seite renoviert. Macht euch in diesem Sommer auf einen Neustart gefasst. Mehr wird noch nicht verraten.
Liebe Uta,
Wie traurig es doch ist, von einem geliebten Tier nach so vielen Jahren Abschied nehmen zu müssen!
Und wie anrührend Du diese schwere Zeit für Euch beschreibst… vielen Dank dafür!
Fühle Dich herzlich gedrückt und grüße bitte deine Familie von mir.
Sehr liebe Grüße
Rüdiger
Lieber Rüdiger, danke, dass du mit uns fühlst! In erster Linie können wir dankbar sein, dass wir 15 Jahre mit zwei so lieben Katzen verbringen durften. Auch für unsere Kinder war das richtig schön. Herzliche Grüße und danke, dass du geschrieben hast, Uta
Haustiere sind Familienmitglieder, wenn sie gehen müssen, fehlt plötzlich etwas Wichtiges. Ich bin bei euch in Gedanken und wünsche euch Kraft zu trauern und dass ihr bald mit gutem Gefühl an die Zeit mit Gulliver zurück denken könnt.
LG von TAC
Liebe TAC, danke, dass du schreibst! Am schwierigsten fand ich die letztenTage mit dem leidenden Kater und das Gefühl, nichts mehr für ihn tun zu können. Nun tollt er sicher mit seiner Schwester durch den Katzenhimmel. Wir vermissen die beiden, sind aber vor allem froh, dass sie bei uns waren. LG Uta
Liebe Uta, wie schade dass euer Gulliver so kurz nach Amy verstorben ist, aber wie schön dass er 15 Jahre bei euch sein durfte und das ihr euch alle verabschieden konntet.
Unser Sweety ist jetzt 7 und kriegt seit Monaten Diätfutter, weil er alles andere nicht mehr verträgt. Er bricht alles aus, seitdem er das Diätfutter kriegt geht es…also gibts nur noch Futter vom Tierarzt. Er hat auch eine Immunschwäche wie sich bei der Untersuchung herausstellte, daher probieren wir jetzt auch gar nicht mehr herum. Wenn es mit dem Futter geht, dann kriegt er das halt. Der Tierarzt meinte, „ach 10-12 können sie damit schon werden“. Wir werden sehen…es hat uns aber auch einen Dämpfer verpasst.
Ich finde den Gedanken tröstlich, das Gulliver jetzt wieder bei seiner Schwester ist, und doch ist man eben einfach traurig, wenn so ein Familienmitglied nach so langer Zeit plötzlich nicht mehr da ist.
Ich sende euch einfach mal ganz liebe mitfühlende Grüße
Christina
Liebe Christina, ganz lieben Dank für deine mitfühlenden Grüße! Es tut mir leid, dass eure Sweety schon mit sieben Jahren krank ist. Ich hätte hier noch einen ganzen Sack Tierarztfutter stehen. Schade, dass ich ihn nicht mal eben rüber reichen kann. Alles Gute für Sweety und herzliche Grüße aus Hamburg, Uta
Liebe Uta,
ich war tatsächlich lange nicht mehr hier … so viel, du weißt…
Jetzt bin ich hergehuscht und lese diesen Text. Ach Uta, es tut mir so leid. Ich verdrücke gerade ein paar Tränen und muss gleichzeitig immer mal wieder schmunzeln … so ein wunderwundertoller Nachruf (kann man so sagen oder?) Ich schicke euch eine dicke Umarmung!
Kurz hatte ich das „nicht“ in deinem PS überlesen … puh … ich freu mich sehr auf das, was da noch kommt 🙂
Ganz liebe Grüße!
Dorthe
Liebe Dorthe, danke für die dicke Umarmung! Ja, es war mir ein Bedürfnis, unserem Kater einen Nachruf zu schreiben.
Für das, was da auf dem Blog kommt, würde ich mich auch über Themenwünsche von dir freuen. Viele liebe Grüße, Uta
Das war aber ein schöner Text, ein würdiger Nachruf, den der Kater sicherlich geschätzt hätte. Und wunderbare Fotos, die ihn so erlebbar machen. Ich wünsche euch alles Gute und wieder Sonnenschein nach diesen schweren Tagen!
Wie schön doch, dass die Beiden wieder vereint sind.
Lieber Gruß
dörte
Jetzt sitze ich hier und heule…du hast über eine unendlich traurige Sache so schön geschrieben. Was für ein Glück, dass euer Gulliver nochmal heim kam! Und wieder freue ich mich über eine einfühlsame Tierärztin, die daheim sterben lässt, das ist keine Selbstverständlichkeit. Alles Gute für euch!
Liebe Grüße
Dana
Danke, liebe Dana, für dein Mitgefühl! Ja, unsere Tierärztin ist großartig. Viele, liebe Grüße, Uta
Liebe Uta,
schon so lange habe ich nicht mehr auf deinem Blog geschaut, wie du weißt, bin ich selbst nur noch auf Instagram unterwegs. Jetzt bin ich also hier, und lese diesen traurigen Text.
Ich kann darin soviel Liebe und Dankbarkeit spüren, und euer Kater hatte, davon bin ich überzeugt, sein allerbestes Katerleben bei Euch! Wie schön auch zu lesen, dass er nochmal heimgekommen ist, und ihr euch voneinander verabschieden konntet.
Alles Liebe für Euch alle!
Papagena
Ach liebe Uta,
Es tut mir sehr leid, dass ihr nun auch von Gulliver Abschied nehmen musstet. Aber auch hier spürt man in jeder Zeile die Liebe zu ihm und ihr scheint tolle Jahre miteinander gehabt zu haben.
Alles Liebe euch
Tanja