Ich sende Müttern, Vätern, Omas, Opas und anderen Kinder-Experten 25 Fragen, von denen sie 10 oder mehr Fragen auswählen, auf die sie antworten möchten.
Heute:
Bei Nicola Schmidt bin ich zum ersten Mal dem Gedanken begegnet, dass wir unsere Kinder, besonders die ganz Kleinen, nicht artgerecht halten, dass vieles leichter gehen könnte, wenn wir sie nicht über Nacht in ein separates Zimmer legten, sondern bei uns schlafen ließen, und wenn wir sie nicht in Kunststoffschalen auf Rädern durch die Gegend schöben, sondern mehr am Körper trügen. Sogar windelfrei können unsere Kinder aufwachsen. Diese Ideen fand ich anfangs sehr „öko“, aber da Nicola sie undogmatisch vertritt und der Meinung ist, jede Familie müsse für sich selbst ausprobieren, welche Artgerecht-Idee zu ihr passt, lese ich immer gern, was von ihr auf den Buchmarkt kommt: zum Beispiel „Slow family“ mit Julia Dibbern oder „artgerecht. Das andere Baby-Buch“, von dem ich mir wünschte, es hätte es schon gegeben, als meine Kinder auf die Welt kamen.
Nicola wohnt mit ihrem Sohn (9) und ihrer Tochter (6) an einem Wald in der Nähe von Bonn.
Und nun zum Interview:
Was wünscht du dir am meisten für deine Kinder?
Dass wir ihnen einen Planeten hinterlassen, auf dem es noch eine Lebensgrundlage für den Homo-Sapiens gibt. Ich sage oft, dass ich mir Sorgen um die Erde mache, aber das ist natürlich Quatsch. Die Erde kommt prima auch nach uns noch zurecht, die paar Jahrmillionen, die es dauert, unseren Mist wieder weg zu machen, sind ja nicht der Rede wert. Aber ich wünsche mir von Herzen – und versuche jeden Tag, etwas dafür zu tun – dass meine Kinder und Kindeskinder auch noch eine Erde vorfinden, auf der ein Homo Sapiens noch gut leben kann.
Was machst du in der Erziehung anders als deine Eltern?
Wir gehen viel mehr in den Wald und ich mache mehr in der Natur gemeinsam mit meinen Kindern. Ich selbst war als Kind viel draußen, aber eher mit Freunden oder später mit meinem Hund. Mir ist es aber wichtig, dass meine Kinder nicht nur gerne draußen sind, sondern auch eine echte, tiefe Verbindung zu unserem Heimatplaneten erleben. Dazu gehört viel Wissen, dazu gehört es, ein Feuer machen zu können, aber auch Schleichen, Warten, Tiere beobachten, Nahrung im Wald suchen, draußen schlafen und immer wieder einfach im Wald zusammen sein und sich treiben lassen.
Was ist deinem Kind/deinen Kindern bei dir streng verboten?
„Streng verboten“ klingt für mich sehr nach Strafe – das gibt es bei uns nicht. Aber es gibt Dinge, die ich mir wünsche (bitte esst mit Besteck) und Dinge, die für mich absolut nicht verhandelbar sind. Dazu gehört: Bei uns darf jeder seine Meinung sagen und auch wütend sein, aber er darf niemanden – weder körperlich noch verbal – verletzen.
Als du ein Kind warst, hast du dir da gewünscht, Kinder zu haben?
Oh ja!
Und wenn ja: Wie viele?
Fünf! Und wenn ich gewusst hätte, wie toll es ist, Kinder zu haben, hätte ich auch viel früher mit dem Kinderkriegen angefangen! So habe ich erstmal eine Menge andere spannende Sachen erledigt, wie studieren, arbeiten und segeln, und bin jetzt erst bei Nummer 1 und 2. Aber wer weiß… :)?
Hast du dir Klein-Kinder-Sprüche aufgeschrieben?
Und wenn ja: Was war das Schönste/Lustigste/Anrührendste, was dein Kind je gesagt hat?
Mein Sohn hat mit zwei Jahren auf dem Spielplatz einen Bagger haben wollen. „Wie heißt das Zauberwort?“ fragt die andere Mutter. Da wir solche Spielchen zu Hause nicht machen, sieht er sie mit großen Augen an und sagt dann nach kurzem Nachdenken : „Hokuspokus?“
Meine Tochter läuft mit etwa viereinhalb mal mit einer Pappkrone durch das Treppenhaus. Da sagt das Nachbarskind: „Du bist ja heute eine echte Prinzessin!“ Meine Tochter sieht sie an und antwortet: „So ein Quatsch. Ich bin ein kleines Mädchen mit ner Pappkrone auf dem Kopf, das sieht man doch!“
Was sollen deine Kinder unbedingt einmal erleben?
Ich habe es immer sehr genossen, auf einem Segelboot auf einem Ozean zu sein und damit wirklich ganz nah an der Natur, dem Meer, unserem Ursprung. Es ist eine ganz besondere Art der Verbundenheit, nochmal ganz anders als in den Bergen oder im Wald. Der Ozean, das Blauwasser, hat mich viel gelehrt über Zeit und Raum, über Sanftmut und Kraft, mit seiner Wildheit, seiner Ruhe und seiner für meinen Geist unfassbaren Größe. Da meine beiden Kinder Wasser lieben, meine Tochter mit Vögeln spricht und mein Sohn ein großer Wal-Fan ist, wünsche ich mir, dass wir das mal alle gemeinsam erleben werden.
Was bringt dich im Familienleben am meisten auf die Palme?
Zeitdruck. Seit ich für unser Buch „Slow Family“ zu Stress in Familien recherchiert habe, ist mir das noch viel bewusster geworden, wie schädlich Zeitdruck und Stress sind. Dann ärgere ich mich am meisten über mich selbst, weil ich weiß, dass ich unter Zeitdruck einfach nicht die Mutter bin, die ich gerne sein möchte.
Hilfst du bei Hausaufgaben?
(Mit der strengen Miene eines Oberlehrers): „Der Hund kackt in die Ecke – man nenne mir das Akkusativ-Objekt!“ – ja, ich helfe und wir haben in der Regel einen Heidenspaß!
Was tust du, wenn beim Elternabend niemand bereit ist, sich zum Elternvertreter wählen zu lassen?
Das kommt in der Regel nicht vor, wenn ich da bin – im Ernst, mir ist es sehr wichtig gewesen, in Grundschule und Kita präsent zu sein und daher war ich bei beiden Kindern im Elternrat, Förderverein, beim Basteln und Backen immer dabei. Es entspricht meiner Vorstellung von Clan-Leben, die Schule als „Familienerweiternde“ Veranstaltung zu betrachten und entsprechend auch präsent zu sein. Das ist der Energie-Erhaltungssatz vom Artgerecht-Projekt, den ich auch in allen Artgerecht-Büchern vertrete: Ich investiere die Energie jetzt, damit ich später weniger Arbeit habe. Bisher fahre ich sehr gut damit.
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Danke, liebe Nicola, dass du meine Fragen beantwortet hast. Viel Erfolg für deine Arbeit und deine Vision von einem Leben mit Kindern und für Kinder!
Immer fröhlich sich inspirieren lassen von artgerecht-Ideen,
eure Uta
PS: Wer Lust hat, meine Fragen an Mütter, Väter, Omas, Opas, Erzieherinnen, Lehrer oder andere Kinderexperten zu beantworten, melde sich gerne bei mir. Oder vielleicht sollte ich die Experten selbst zu Wort kommen lassen? Gibt es ein Kind, das meine Kinder-Fragen beantworten möchte?
Danke für dieses tolle Interview Uta!:)!!
Danke für dieses Interview!… ja der Zeitdruck und der Stress. Wenn ich genau überlege, ist das die Nr 1 hier, die zu Auseinandersetzungen oder schlechte Laune führt. Ich hätte ein grad eingeschultes 7jähriges Kind, was sich vielleicht gerne deinen Fragen stellen würde 😉