Kinder haben oder Eltern sein?

Ihr kennt die Szene vielleicht aus dem Film "E-Mail for you": Ein paar Erwachsene stecken stundenlang in einem Aufzug fest, hocken irgendwann auf dem Boden und sprechen darüber, was sie tun werden, wenn sie jemals wieder ins Freie treten dürfen.
Die Verlagsmanagerin will sich die Augen lasern lassen, eine andere Frau nach Jahren endlich wieder mit ihrer Mutter sprechen, der Held des Films erkennt, dass er nicht länger mit der Verlagsmanagerin zusammen sein will, dem Aufzugführer fällt wie Schuppen von den Augen, dass er seiner "Louisa" nach Jahren einen Heiratsantrag machen sollte ...

Wir leben, als gäbe es den Tod nicht. Wir verlieren uns im Stress des Alltags. Tausend Sachen erscheinen dringend. Und über die Dringlichkeiten geht verloren, was uns wirklich wichtig ist.

Wirklich wichtig.

Ich will nicht um den heißen Brei herum schreiben, sondern klar sagen, was für mich wirklich wichtig ist:
Zeit für die Familie zu haben.
Zeit, die beide Seiten, Eltern und Kinder, genießen.

Joanna von dem Blog "Liebesbotschaft" hat mal geschrieben, sie müsse ihren Kindern nicht ständig versichern, wie lieb sie sie habe. Sie sei doch da und verströme sich.

Aber wer ist heute wirklich da in der Familie? Wer nimmt sich die Zeit, sich zu verströmen für seine Liebsten? Wer feiert sich dafür, eine lange Elternzeit zu nehmen und nicht gleich wieder voll in den Beruf zu gehen? Wer ist so kühn zu sagen: "Ich bin gerade ganz für die Familie da und genieße es in vollen Zügen!" Statt: "Ich bin Familienmanager ..." und das peinliche Schweigen danach sofort zu füllen mit "... aber bald werde ich wieder einsteigen" oder "ich mache aber ganz viel freiberuflich".

Es geht um den großen Unterschied zwischen 'Kinder haben' und 'Eltern sein'.
Bei dem kanadischen Psychologen Gordon Neufeld habe ich ein schönes Beispiel gefunden, wie schon der Tag starten kann mit einem bewussten 'Eltern-sein':

"Eine der besten Gewohnheiten, die wir uns geschaffen haben, als unsere Jungs klein waren, war das, was wir eine morgendliche Aufwärmzeit nannten. Meine Frau Joy und ich haben zwei bequeme Sessel in unserem Schlafbereich zu Aufwärmsesseln erklärt und die Jungs gleich nach dem Aufwachen zu uns auf den Schoß genommen, sie im Arm gehalten und solange mit ihnen herumgealbert und gespielt, bis der Blickkontakt hergestellt und das Lächeln und das Nicken* im Gang waren. Danach ging alles viel glatter. Es hat sich sehr gelohnt, zehn Minuten früher aufzustehen, um den Tag mit diesem Herholritual zu beginnen, anstatt unvermittelt einen hohen erzieherischen Gang einzulegen." (Gordon Neufeld, Gabor Maté: Unsere Kinder brauchen uns. Bremen 2006, Seite 201)

Wie war ich nochmal bei Neufelds im Schlafzimmer gelandet? Ach ja, es ging darum, was einem im Leben wichtig ist und wofür man sich Zeit nimmt.

Immer fröhlich sich fragen, wie du in einem festsitzenden Fahrstuhl den Satz vervollständigen würdest "Wenn ich jemals hier wieder rauskomme, würde ich als erstes oder würde ich mir mehr Zeit nehmen für...".

Eure Uta

* Für Neufeld ist das Sich-Zunicken neben Blickkontakt und Lächeln ein wichtiger Bestandteil, um immer wieder eine Verbindung zum Kind herzustellen. Hier wirkt es etwas merkwürdig, weil es aus dem Zusammenhang genommen wurde.