Gestern Abend saß ich mit mehreren Eltern zusammen, und es kam ein Gespräch über das Abitur in Hamburg auf. Ein Vater erzählte, man könne über zusätzliche Kurse in Spaßfächern seinen Abischnitt verbessern, der andere bestritt es vehement. Der Sohn des Spaßfächer-Befürworters will Artist und Feuerspucker werden, die Söhne des anderen stehen am Anfang einer Ingenieurslaufbahn.

Da wurde mir wieder klar, dass es zwei Sorten von Eltern gibt: die Hardliner und die Luschis.

Ich habe zu dieser Abifrage kaum etwas gesagt. Mir wäre sicher rausgerutscht, dass ich gegen ein Abitur in Kunst, Glücksforschung, Trampolinspringen und Suaheli nichts einzuwenden hätte. Aber ehe sich mein Luschitum in Gänze offenbart hätte, bin ich lieber heim in meine Luschi-Familie gefahren.

Mein Mann und ich, wir ergänzen uns prima.
Wenn ich die „Habe-für-alles-Verständnis“-Mutter bin, poltert er dazwischen.
Wenn er den Kumpel-Vater gibt, dann soll mich die Brut aber mal kennen lernen.
Und wenn ich merke, wir sind beide in Weichspüler gefallen, dann raune ich ihm zu: „Du, jetzt ist Potenz-Kommunikation gefragt.“

Obwohl in jedem von uns beiden auch ein kleiner Hardliner sitzt, reicht es in der Summe nicht, um auf Elternabenden in der Hardliner-Fraktion aufgenommen zu werden.

Wir müssten uns dann darüber beklagen, dass andere Klassen in Mathe weiter sind als die Klasse unseres Kindes.
Wir müssten uns über Unterrichtsausfall beschweren.
Und wir hätten unterschreiben müssen auf der Liste gegen den Referendar, der im Orchester zu lange die Instrumente stimmen ließ.
(Der Kronprinz schätzte den Referendar genau aus diesem Grund. Er konnte dann noch Schiffeversenken spielen mit dem Posaunisten.)

Hardliner-Eltern werden jetzt kommentieren, dass das nicht lustig ist.

Im vergangenen Frühjahr sorgte das Buch „Die Mutter des Erfolgs. Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ von Amy Chua für Aufsehen. Die chinesisch stämmige Amerikanerin beschreibt darin, wie sie ihre Töchter zu stundenlangem Klavier- oder Geigeüben zwingt. Nicht mal zur Tolilette dürfen sie zwischendurch. Einmal hat die „Tiger-Mom“ eine für sie bestimmte Geburtstagskarte zerrissen, weil sie fand, dass eines der Mädchen sich nicht genug Mühe damit gegeben hatte.

Nachdem ich das Buch gelesen hatte, konnte ich der Tiger-Mom in einem Punkt recht geben:
Wenn ich hohe Anforderungen stelle, liegt darin auch ein großes Zutrauen in die Fähigkeiten meines Kindes. Ansonsten fand ich es einfach nur krank, welche furchtbaren Kämpfe diese Frau mit ihren Kindern ausficht.

In der „ZEIT“ las ich bald darauf ein Interview mit Jesper Juul, dem dänischen Familientherapeuten, und mit Bernhard Bueb, ehemaliger Leiter des Eliteinternats Schloss Salem und Autor der Streitschrift „Lob der Disziplin“. Zwei Pädagogen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der liberale und der autoritäre Typ.

Und so äußerten sich beide über die „Tiger-Mom“:

Juul: Alle Kinder kommen ja aus Familien mit gewissen Schwierigkeiten, das ist nichts Neues und nichts Besonderes – wir können unseren Kindern nicht alles geben. Mit uns erwachsen zu werden, tut auch weh. Sehen Sie sich Frau Chua an, die Tiger-Mom.


ZEIT: Sie meinen die chinesischstämmige Amerikanerin, die ihren Kindern droht, die Kuscheltiere zu verbrennen, wenn sie nicht gehorchen, …


Juul: Ja, sie ist eine ausgezeichnete Mutter.
Bueb: Das glaube ich auch.


(An dieser Stelle fiel die Bloggerin in Ohnmacht.)

ZEIT: Ausgerechnet Amy Chua?


Juul: Ja, weil diese Frau genau das gemacht hat, woran sie glaubt. Sie hat sich mit ihrer Persönlichkeit und ihren eigenen Wertvorstellungen sehr stark in die Erziehung ihrer Kinder eingebracht, sie hat sehr viel Zeit investiert, sie war da, sie war dabei.


ZEIT: Weil sie in ihren extremen Anforderungen an ihre Kinder authentisch blieb, lassen sich Drill und Bestrafungen rechtfertigen?


Juul: Ja, Erziehung funktioniert nur über Authentizität. Richtig ist das, woran man wirklich glaubt. 


ZEIT: Lässt sich Authentischsein denn erlernen? 


Bueb: Ich glaube nicht, denn authentisch, also glaubwürdig, sind Menschen, die ein starkes Selbstwertgefühl besitzen, weil sie zu ihrer Person Ja sagen können. … Wenn Eltern und Lehrer es nicht schaffen, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, kompensieren sie das oft mit einem autoritären Erziehungsstil und zeigen sich unfähig, Konflikte auszuhalten. Leidtragende sind dann die Kinder. 


Juul: Wenn wir die Eltern nicht dazu anregen können, authentisch zu sein, dann müssen die Kinder dafür bezahlen. Kein Internat, kein Sportverein kann die Authentizität einer Familie ersetzen.“

(aus: Die ZEIT, 10/2011) 



Ein Hardliner bleibe also bitte ein Hardliner, ein Luschi bleibe bitte ein Luschi. Wir Eltern sollten uns gegenseitig so lassen wie wir sind. Wir sollten nur immer daran denken, unseren Kindern keine Rolle vorzuspielen, die wir nicht ausfüllen können.

Immer fröhlich und authentisch bleiben

Uta




 

  • Gut, dass ich das jetzt klar habe: Wir sind auch definitiv Luschis! Besonders Deine Schilderungen vom Elternabend kommen mir SEHR bekannt vor. Die reinsten Beschwerde-Orgien. Ich denke mir dann immer, wir haben auch alle schlechte Lehrer, doofe Mitschüler und Löcher im Lehrplan überlebt, dann werden das unsere Kinder ja wohl auch schaffen … LG, Isa

  • Huhu, danke für deinen Kommentar bei mir und ich freue mich sehr, dass du bei mir mitliest! Ich finde deine Beiträge großartig und verfolge dich nun auch 😉
    Liebe Grüße! Sonja

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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