Neulich wartete in der Schlange beim Bäcker ein Mann mit seinem Sohn. Der Junge, etwa fünf Jahre alt, kletterte – wie alle Kinder – auf die Taschenablage. „Komm da runter, Lennard, das darf man nicht.“- „Wieso?“ fragte der Junge. „Das, das … steht da“, sagte der Vater. „Wo denn?“ – „Ja, da irgendwo.“
Mein Blick wanderte die ganzen Auslagen entlang, suchte zwischen Laugenwecken und Semmeln im Regal. Nirgendwo ein Schild.
„Ich sehe nichts, du lügst, Papa!“ – „Doch, du musst nur mal genau gucken.“ Der Junge suchte fieberhaft. „Wo steht das denn?“ Er weinte fast. Vater scannte das weibliche Publikum im Laden, räusperte sich und sagte: „Das steht da in Blindenschrift auf den Mohnbrötchen.“
Hö, hö.
„Bommm, bomm!“ mit zorniger Wucht trommelte der Junge auf die Scheibe der Auslage.
„Recht so, Lennard“, dachte ich, „dein Papa lügt dich an und reißt auf deine Kosten altbackene Witze in der Öffentlichkeit. Trommel ruhig, bis der Bienenstich zittert.“
Unser Backstuben-Comedian aber gab jetzt den durchsetzungsfähigen Vater: „Jetzt reicht es aber, Lennard.“ Er packte den Jungen grob und zerrte ihn von der Taschenablage.
Was dachte dieser Vater? Dass Lennard ja „nur“ ein Kind ist? Dass es irgendwie putzig ist, wenn er wütend wird? Dass wir Mütter im Laden beeindruckt sind von diesem pädagogischen Winkelzug?
Okay, vielleicht wusste er nicht, dass Kinder, bis sie etwa acht oder neun Jahre alt sind, keine Ironie verstehen. Aber ein Blick auf seinen Sohn hätte gereicht, um zu merken, dass er ihn gerade unglücklich macht.
Er hätte ihm ruhig verbieten können, auf die Taschenablage zu klettern. Sogar ohne Angaben von Gründen.
Aber ihn anflunkern und sich öffentlich über seine Gefühle lustig machen?
Vielleicht mag mancher denken, ich bin da übertrieben kritisch mit diesem Vater … diesem Gockel, diesem eitlem Fatzke… (okay, ich hör jetzt auf).
Aber wenn ich an etwas glaube, dann daran, dass kaum etwas so wichtig ist wie unsere innere Haltung zu unserem Kind.
Im Elterntraining wäre das jetzt der richtige Moment für diese Skizze.
Ich würde mit dem Flipchart-Marker auf den Sockel klopfen und sagen, dass Erziehung ohne Beziehung nicht funktioniert und dass man jede Einflussnahme auf das Kind in die Tonne tun könne, wenn die hier (klopfen auf die Säulen) nicht stabil sind.
Bei einer guten Gruppe herrscht jetzt eine feierliche Stille.
Ich liebe diesen Moment, wenn ich eine große Wahrheit in den Raum schleudern darf und alle Gespräche verstummen.
In der Stille kann ich noch „Achtsamkeit“, „das Kind sehen“ und „Respekt“ quer auf die Säulen schreiben. Man hört nur das Quietschen des Markers.
Die ersten Mütter zeichnen das Bild ab, die ersten Väter schauen im I-Phone, …
… wo es sonst noch Bäcker gibt.
Immer schön fröhlich bleiben
Uta
Liebe Uta,
Deine Alltagsbeobachtungen lesen sich immer wunderbar!
Die Gratwanderung zwischen Humor und Entwertung kann manchmal ganz schön schmal sein … das ist dieses Lachen, das einem im Hals stecken bleibt … wenn es auf Kosten von anderen geht.
Gut beobachtet.
Danke, Isa
Eine wirklich traurige Geschichte, der Junge tut mir leid!
Muss man leider immer wieder erleben – ich hoffe sehr, dass ich nicht selbst schon in ungünstigen Augenblicken die Gefühle meiner Kinder übersehen habe (meine Hand lege ich dafür lieber nicht ins Feuer *räusper*)
Dieser Vater hat sich da ganz offensichtlich verrant und wollte dann irgendwie sein Gesicht wahren, oder so.
Hat es dann aber einfach immer schlimmer gemacht.
Der arme Junge, nochmal!
Ganz liebe Grüße,
Papagena
Tolles Bild! …und wieder mal auf den Punkt gebracht!
Shampoo für den Rouge-Pinsel?? Also neee, dazu fällt mir nicht mehr viel ein!
Da ich gerade ja etwas mehr Zeit zu Hause habe, kram ich mich gerade von Zimmer zu Zimmer und schmeiße weg, verkaufe, verschenke. Alles, was bei uns nur unnötig rumfliegt. Das macht so richtig gute Laune und befreit!
Liebe Grüße! Sonja