Mein lieber Mann,
neulich abends schautest du in dein Bordeaux-Glas und sagtest: „Schreibe doch mal darüber, was man gegen die Wehmut tun kann, die einen anfällt, wenn die Kinder flügge werden.“
Du hattest Bobby angeboten, ihn im Auto zum Übernachtungsbesuch bei einem Freund zu bringen.
Bobby hatte abgelehnt.
(„Bobby“ war mal unser Arbeitstitel für den ganz kleinen Kronprinzen.)
Er wollte allein mit dem Fahrrad fahren. Und es war nicht mehr Bobby, der aufs Rad stieg, sondern ein Vierzehnjähriger, der – seinen Seesack männlich geschultert – so schnell um die Ecke verschwunden war, dass dein Winken im Ansatz erschlaffte.
Manchmal gehst du dann in den Keller, wo die Kästen mit den Fotos stehen: Bobby auf dem ersten Fahrrad, Bobby mit Prinzessin auf dem Schoß, Bobby mit einem Steinbruch von Milchzähnen im Mund, Bobby am Strand, in der Wanne, auf dem Trampolin …
Im Keller zwischen den Kästen hat die Wehmut leichtes Spiel.
Da findet man solche Fotos von euch beiden.
Aber was kann man tun gegen den Eltern-Blues, der einsetzen kann, wenn das Erstgeborene in die Pubertät kommt?
- Sich klar machen, dass das ein klassischer Mangel-Context ist.
- Sich klar machen, dass man dann die „Früher-war-alles-besser“-Brille auf der Nase hat.
- Sich klar machen, dass das Jetzt einen schweren Stand hat gegen die ach so schöne Erinnerung.
- Sich klar machen, dass man die Gegenwart beschädigt, wenn man die Vergangenheit überhöht.
Du siehst den großen Kerl und statt dich an seinen breiten Schultern zu freuen, läufst du Gefahr zu denken: „Och, ich kann ihn jetzt nicht mehr auf den Schoß nehmen.“
Er ist abends unterwegs. Und statt dir zu sagen: „Hey, alles richtig gemacht: er hat jede Menge Freunde und zieht mit ihnen um die Häuser“ guckst du durch die Wehmut-Brille und denkst: „Ich kann ihm gar nicht mehr vorlesen.“
Statt dich zu freuen, dass du ihm das Rasieren und Krawattebinden beibringen kannst, bist du traurig, dass er die blaue Latzhose mit dem kleinen Teddybären in der Brusttasche nicht mehr trägt.
Die Phase, in der er jetzt steckt, ist Mannwerdung.
Wie spannend! Wie entscheidend!
Und wen braucht er dafür mehr als jeden anderen? Seinen Vater.
Klar, Freunde auch. Mit denen verbringt er jetzt die meiste Zeit.
Aber seinen Vater braucht er als Rückhalt, als großen Mann, als Hort der Erfahrung.
Mehr im Hintergrund, ohne Anbiederung, aber verlässlich und stark, ein Leitbild, ein Fixstern hoch über der Achterbahn der Gefühle, auf die ihn die Pubertät geschickt hat.
Und da du es bist, der sich immer ein Blog mit ganz viel Nutzwert wünscht, voila:
- Halte ihm keine Vorträge über den Fettgehalt von Kartoffel-Chips, sondern macht selber welche.
- Geht mal wieder Kartfahren. Vielleicht zusammen mit seinen Freunden und deren Vätern.
- Zeig ihm, wie man ein gutes Steak brät, oder baue mit ihm den höchsten und leckersten Burger, den er je gesehen hat.
- Lass uns die alten Fotos aus dem Keller holen und mit einem Beamer an die Wand werfen. Vielleicht kramen unsere Freunde auch ihre Fotoschätze aus dem Archiv und wir haben zusammen viel Spaß ( ätsch, Wehmut, jetzt haben wir es dir aber gegeben)
- Macht doch einmal im Monat einen Pokerabend. Das hatte euch doch neulich bei den Freunden so viel Spaß gemacht.
Wenn wir beide zuviel im Keller sitzen und alte Fotos angucken, kriegen wir nicht mit, wenn er hungrig oben durch die Küche tigert und verpassen den seltenen mitteilsamen Moment eines männlichen Teenagers beim Mitternachtsmüsli.
Du bist ein wunderbarer Vater. Und du hast schon so viele tolle Sachen mit deinen Kindern unternommen.
Lass dich nicht von der Wehmut in den Keller drücken.
Das Schöne ist jetzt.
Immer schön fröhlich bleiben
deine Uta
Schickes Hemd 😉
… und ein treffender Post.
Hab ich sofort an meinen Liebsten weitergeleitet.
Schönen Tach!
Isa
Wow, gefällt mir. Das Hemd übrigens auch!
Christiane