Das Hauen beenden zwischen kleinen Geschwistern 

 21/12/2021

Eine einfache, aber wirksame Idee zur Streitschlichtung

Meine Leserin Anke ist Mama von vier Kindern im Alter zwischen acht und zweieinhalb Jahren. Bei ihren beiden Jüngsten, den Zwillingen Julian und Johann, wurden in den vergangenen Wochen Konflikte um ein Spielzeug immer heftiger ausgetragen. So heftig, dass Anke um Leib und Leben der Beteiligten fürchten musste. Dann gab ihr eine befreundete Mama einen Hinweis. Seitdem ist es bei Anke zu Hause deutlich friedlicher und sie konnte das Hauen beenden. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, was sie geändert hat. 

Anke: Folgende Situation ist typisch: Die Zwillinge spielen miteinander und ich bin in der Nähe, aber nicht direkt neben ihnen. Plötzlich möchte Julian ein Spielzeug, mit dem Johann gerade spielt. Die streiten sich, werden lauter und einer setzt seine Körperkraft ein. Das ist mit zweieinhalb Jahren durchaus altersgerecht, weil sie sich anders nicht auszudrücken wissen. Ich renne hin, weil ich sehe, dass Gefahr im Verzug ist. Bisher habe ich meistens „Stopp“ gerufen und gebrüllt „Julian, sofort aufhören!“ Ich habe aber festgestellt, dass der „Täter“ zu mir schaut, mir genau in die Augen sieht und dann noch doller zuhaut. Das habe ich bei beiden beobachtet, egal, wer gerade Aggressor war. 

Uta: Das heißt, du hast schon „Stopp!“ gerufen und trotzdem setzt der „Täter“ noch einen drauf?

Anke: Ja, genau. Als würde ihn mein Eingreifen in seinem Verhalten noch bestärken und dann kriegt der Bruder noch eine auf den Kopf.

Uta: Das kann einen als Eltern ziemlich ratlos und wütend machen.

Anke: Allerdings! Dann habe ich mich aber an einen Rat meiner Freundin erinnert. Sie meinte, man solle sich in der Situation lieber dem zuwenden, dem Unrecht getan wird, als dem, der gerade haut oder schubst. Also habe ich beim nächsten Mal nicht geschimpft, sondern dem „Opfer“ zugerufen. „Oh, armer Johann, das ist jetzt wirklich nicht in Ordnung, was dir passiert!“ und festgestellt, dass der Aggressor sofort innehält, ganz verdutzt guckt und nicht weitermacht. Ich habe den Streit aus der Ferne gesehen und hatte wirklich Angst, dass die sich ernsthaft wehtun. Und jetzt hatte ich auf einmal eine Möglichkeit, es wirksam zu beenden: Die Idee ist, sich zuerst dem Opfer zuzuwenden. 

Einsatz von Aufmerksamkeit

Uta: Es geht dabei folglich um Aufmerksamkeit, oder?

Anke: Zunächst geht es nur darum, ein bestimmtes Spielzeug zu bekommen. Denn die beiden spielen ja für sich und haben mich in der ersten Phase ihres Gerangels nicht mit auf dem Schirm.  Sobald ich aber einschreite und wie früher mit dem Angreifer schimpfe, merkt dieser, dass er mit einer Verstärkung seines Verhaltens meine ganze Aufmerksamkeit bekommt. 

Uta: Dein Einschreiten jetzt, die Zuwendung zum „Opfer“ hin, machst du auf Zuruf. Richtig?

Anke: Ja, und dann gehe ich hin. Der Geschädigte kommt sofort zu mir in die Arme gerannt, der andere steht perplex daneben, tut seinem Bruder aber nicht mehr weh. Das war am Anfang so. Der war wirklich verdutzt. Dann ging der, der gekuschelt und getröstet wurde, ganz schnell wieder seines Weges. Der andere wurde dann auch gekuschelt, und es war gut. Erst dann habe ich auch das Gespräch mit dem „Täter“ geführt: „Das war nicht in Ordnung, wir nehmen dem anderen nichts weg und wir hauen nicht …“

Uta: Trotzdem ignorierst du den „Täter“ zunächst. Ist der Aufmerksamkeitsentzug nicht viel schlimmer als Schimpfen und Strafen?

Anke: Ich ignoriere den jeweiligen „Täter“ nur für Sekunden. Er wird nicht ignoriert als Bestrafung, sondern die Aufmerksamkeit ist zuerst kurz bei dem anderen. Aber wenn der, der gehauen hat, auf mich zukommt und mit mir kuscheln will, dann nehme ich den genauso in den Arm. Ich reagiere in keiner Weise verärgert, beleidigt oder abweisend.

Uta: Das ist ganz wichtig.

Anke: Ja, er soll das nicht als Bestrafung empfinden, ich will aber auch nicht, dass er irgendeine Befriedigung durch Aufmerksamkeit bekommt. Man weiß ja, dass sowohl positive als auch negative Aufmerksamkeit als Zuwendung empfunden wird. Und das will ich in dem Moment nicht geben und die Konflikte damit noch verschärfen.

Sie studieren Mamas Reaktion

Uta: Könnte es nicht sein, dass man den Geschlagenen, in diesem Fall Johann, in eine Opferrolle drängt? So nach dem Motto: Ich muss nur ein Drama inszenieren, dann bekomme ich die volle Aufmerksamkeit?

Anke: Ja, man könnte denken, dass das „Opfer“ jetzt einen drauf legt und noch lauter heult. Aber dem ist interessanterweise nicht so. Dieser wird kurz bedauert, gekuschelt und spielt weiter. Dieses Vorgehen hat sich aus der Beobachtung heraus ergeben. Denn ich sitze nicht daneben, wenn sie spielen. Das mache ich nicht. Aber ich höre aus der Küche genau zu und sehe auch, dass sie - sobald ich in irgendeiner Weise eingreife - meine Reaktionen genauestens studieren, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Meine Großen, Tochter (8) und mein Sohn (6), machen das jetzt genauso, wenn die Kleinen streiten. Nun haben sie auch eine Möglichkeit, den Konflikt zu befrieden, wenn ich gerade nicht helfen kann. 

Uta: Du hast mir erzählt, dass Kuscheln bei euch bei fast allen Streitigkeiten in der Familie eine große Rolle spielt, damit sich alle wieder beruhigen.

Anke: Ja, das stimmt. Das hat sich so eingebürgert. Wenn ich mit meiner Erstgeborenen gestritten habe, haben wir diskutiert, aber dann auch bald miteinander gekuschelt. Das hat sie schnell eingefordert. Und das ist bis heute so. Kurz gestritten, dann kam: „Jetzt will ich aber mit dir kuscheln.“ Ihr Bruder (6) wollte früher in der Auseinandersetzung keinen Körperkontakt. Inzwischen hat er es sich bei seiner Schwester abgeschaut, ruft auch bald „Ich will kuscheln!“ Und die Wogen glätten sich wieder. Die Kleinen scheinen das mehr und mehr nachzuahmen. 

Liebe Anke, ich danke dir sehr herzlich für das Interview und dafür, dass du deine Beobachtung hier mit uns geteilt hast. Ich finde deine Erfahrung sehr wertvoll. Denn Geschwisterstreit ist ein Thema, das viele Eltern an den Rand der Verzweiflung bringt. 

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich der Einfachheit halber für die beiden Jungs die Begriffe „Täter“ und „Opfer“ verwendet habe. Natürlich sollen Kinder nicht als Täter oder Opfer oder gar in Kategorien von „böse“ versus „gut“ betrachtet werden. Zudem wechseln sich die Rollen von Ankes Zwillingen ständig. Niemand soll hier durch das beschriebene Vorgehen auf einen Part festgelegt werden. Um die Situation einfach schildern zu können, haben Anke und ich diese Begriffe verwendet. Mehr nicht. 

Kurz & knackig

Idee für das Streitschlichten bei konkurrierenden Geschwistern im Klein-Kind-Alter:

  • Sobald ein Streit eskaliert und Gefahr droht, dem „Opfer“ sein Bedauern zurufen.
  • Den Impuls unterdrücken, mit dem „Täter“ zu schimpfen.
  • Hingehen.
  • Mit dem „Opfer“ kuscheln, wenn es das möchte.
  • Auch den „Täter“ in den Arm nehmen, wenn gewünscht.
  • Mit dem „Täter“ im Arm - und auch erst dann - erklären: „Mir gefällt es ganz und gar nicht, wenn jemand gehauen wird.“  

Bitte schreibt mir, was ihr davon haltet. Besonders von Familien mit konkurrierenden Geschwistern oder Zwillingen im Kleinkind-Alter würde mich sehr, sehr freuen zu lesen, ob ihr ein solches Vorgehen ausprobieren mögt. Es wäre großartig, wenn ihr davon berichten könntet.

Da dies ein Beitrag zum Frieden ist, passt er gut als Weihnachts-Post. 

Ich wünsche euch und euren Familien frohe Weihnachten, glückliche Tage und viel Freude miteinander.

Immer fröhlich feiern,

Eure Uta

  • Liebe Uta, liebe Anke,
    das klingt ja sehr entspannt und liebevoll. Und ich wünschte, ich hätte diesen Tipp damals schon gekannt, als meine Jungs klein waren.
    Jetzt sind sie groß (8,11). Allerdings ist es für mich und die Jungs auch noch wichtig, dass wir eine Streitsituation (Eltern-Kind) mit kuscheln beenden.
    Spätestens am Ende des Tages wird gekuschelt, damit jeder friedlich einschlafen kann.
    Uta, glaubst du bei den großen Kindern wird dann die „Opfer“-Haltung verstärkt? Oder könnte das auch bei großen Kindern funktionieren? Ich bin neugierig und werde es glaub mal ausprobieren.
    Liebe Grüße
    Marie

    • Liebe Marie, danke fürs Schreiben! Ich denke, das ist eher was für die Kleinen, weil bei ihnen noch die pure Verhaltensbiologie wirkt. Die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich ziehen zu können, war in der Menschheitsgeschichte sicher eine wichtige Fähigkeit.
      Deine Großen sind da schon zu reflektiert und kontrolliert.
      Trotzdem lohnt es sich, genau hinzuschauen, welchem Verhalten man Aufmerksamkeit schenkt und welchem nicht.LG Uta

    • Liebe Marie,
      danke für Deine Gedanken dazu! Ich würde es auf jeden Fall ausprobieren, denn die Jungs von meiner Freundin sind zwischen 8 und 12 und von ihr hab ich den Tipp. Dort war tatsächlich das Phänomen, dass der jeweilige „Täter“ die Aufmerksamkeit seiner Mutter haben wollte, indem der die Brüder ärgerte. Und dass sie immer mit demjenigen gemeckert hat (was nichts gebracht hat). Bei ihr hat es die Situation auf jeden Fall entspannt, dass sie das umgekehrt hat. Und man kommt mal aus dem Dauer-Mecker-Modus raus. Ich finde, immer mit Augenmaß probieren und auch mal Strategien wieder anpassen und ändern. Ist ja auch nicht gesagt, dass es bei meinen zwei Räubern immer funktioniert. Bin gespannt auf Dein Feedback!
      Liebe Grüße von Anke

  • Liebe Uta,

    ich bin gerade auf diesen interessanten Artikel gestoßen, der mich aktuell sehr anspricht.

    Allerdings sind meine Töchter auch schon größer, 6 und 9 Jahre alt, aber immer wieder enden Streits in absichtlichen Fußtritten, Schubsen oder Hauen. Vor allem die Große kann sich oft nicht kontrollieren, wenn sie von der Kleinen genervt ist. Die Kleine „nervt“ – nach den Jahren der Bewunderung für die Große – dabei oft ganz bewusst – ein Abnabelungsprozess?
    Ich sehe ganz klar, dass diese Situationen verhäuft vorkommen, wenn ich selbst ziemlich am Anschlag bin und wenig Aufmerksam für jede Einzelne von beiden habe (ich lebe getrennt erziehend und versuche meine Kinderwoche möglichst schön mit den Kinder zu nutzen, habe aber nebenbei doch viele Verpflichtungen).
    Ich versuche mich bei Streit wenig einzumischen und manchmal scheint ein „Clash“ nötig, um kurz darauf friedlich miteinander Lego zu spielen. Doch wenn sie sich hauen oder treten, muss ich doch dazwischen gehen, oder? Ich versuche mich nicht auf die Diskussion „Sie hat angefangen“ einzulassen, finde es aber sehr schwierig, richtig zu reagieren und versuche möglichst neutral meinen Ärger über den Zusammenstoß zu äußern. Die Bitte, sich in kritischen Situationen aus dem Weg gehen, kam nicht so gut an… Mit der Großen habe ich versucht, allein an einem ruhigen Abend darüber zu sprechen und auch mein Verständnis für ihr Genervtsein zu zeigen. Aber irgendwie habe ich nicht den richtigen Zugang zu ihr gefunden und am nächsten Tag war alles wie vorher. Heimlich denke ich dann doch: „Du bist doch schon groß, warum versuchst du nicht, dich nicht von dieser Pillepalle provozieren zu lassen?“ – aber das ist wohl auch ein Problem meiner inneren Haltung… Aber wie kann ich ihr helfen, ihre Wut eher verbal zu äußern? Und das ist ja leider auch nicht nur schön anzuhören… Doch mal Faber/Mazlish lesen…? Hmmm, du siehst, es fehlt Klarheit in meinem Kopf!

    Ich werde mal versuchen, die Tipps von Anke auszuprobieren, aber hättest du noch andere Ideen für größere Kinder? Für die akute Streitsituation oder auch das Gespräch? Über eine Rückmeldung wäre ich sehr dankbar.

    Liebe Grüße
    Charlotte

    • Liebe Charlotte, danke für deine Frage! Gerade kommt mir die Idee, in einem nächsten Blog-Beitrag auf dein Problem einzugehen. Egal in welcher Form – ich melde mich nochmal. viele Grüße, Uta

  • Einen Tipp kann ich mir grad schon selbst geben: dein neues Buch kaufen und mal wieder richtig ins Thema eintauchen…! 😉

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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