Wie schafft man eine sinnvolle Unterstützung der eigenen Nachkommenschaft?

Oft sitzt mir die Angst im Nacken, dass ich meine Kinder zu sehr behüte.

Verwöhne ich die beiden? Nehme ich ihnen zu viel ab? Verhindere ich damit, dass sie selbständig werden?

Einige Freundinnen würden jetzt sagen, dass sie diese Fragen nicht treffender für mich hätten formulieren können.

Als Prinzessin im Kindergarten war, brachte ich sie bis vor den Gruppenraum. Sie saß auf der Bank zwischen den Zwergen-Mänteln, mit den kleinen Flausch-Kapuzen und den plüschigen Schals mit den Tierköpfen. Und aus den Ärmeln baumelten winzige Fäustlinge an selbst gedrehten Kordeln. Vom Regen draußen hatte sich wieder eine Locke an Prinzessins Schläfe gebildet und mir war, als wäre zu den dutzend Sommerprossen eine weitere am Nasenflügel hinzugekommen (weiter jetzt, Uta!) … und sie streckte mir ihre Füße mit den Gummistiefeln entgegen. Ich zog an den Stiefeln und stellte sie in ihr Fach.

„Das kann sie ja wohl alleine“, sagte eine andere Mutter. In ihrem verächtlichen Blick sah ich, dass sie mich für die Ober-Glucke des Kindergartens hielt.

65 Prozent der Eltern in Deutschland, so Jugendforscher Klaus Hurrelmann, praktizieren einen  „überbehütenden“ Erziehungsstil. Und in der Hocke zwischen den Gummistiefeln war ich auf frischer Tat ertappt worden.

Ja, ich bin überbehütend. Mein Mann auch. Wir sind bekennende Überbehüter.

(So muss man es anfangen, man muss es eingestehen, so ist es auch bei den Anonymen Alkoholikern: Erst das Bekenntnis, dann kommen die weiteren Schritte zur Heilung.)

Heute morgen suchte Prinzessin (inzwischen 11) ihren Mathezettel. Mein Mann sprang vom Frühstückstisch auf und half ihr beim Suchen. „Ist sie nicht alt genug ist, sich selber zu organisieren?“, rüffelte ich ihn.
„Ja, aber ich will nicht, dass sie Aufgaben, die sie gemacht hat,  wieder zu Hause liegen lässt und einen Strich dafür bekommt.“ – „Ja,“ sinnierte ich, „das will ich auch nicht“, und während die anderen oben im Zimmer jedes Blatt umdrehten, durchsuchte ich den Stapel Schulsachen auf der Klavierbank.

Wie kriege ich das mit dem Überbehüten in den Griff? Soll ich einen Entzug machen? Soll ich die Haustür von innen abschließen und den Schlüssel hinters Klavier werfen, wenn ich kurz davor bin, zur Schule zu fahren und Prinzessin (11) das vergessene Schwimmzeug zu bringen?

Ich habe keine wissenschaftlich wasserdichte Methode, ich handele intuitiv.

Wenn Prinzessin gerade Stress mit ihren Freundinnen hat und es mir gerade passt, fahre ich zur Schule und winke mit dem Bikini auf dem Schulhof („Wie peinlich, Mama“. – „Das heißt: ‚Danke, meine sehr verehrte Frau Mama, du hast meine Sportnote gerettet‘.“)

Wenn Prinzessin aber gerade einen lauen Lenz genießt und ich dringend etwas schreiben möchte, biete ich nicht das „Mama-All-Inclusive“-Paket, sondern schließe mich mit einer Schüssel Schokomüsli im Arbeitszimmer ein und lasse die Familie Familie sein.

Ich habe überlegt, ob das, was ich mache, trotzdem Methode hat, und bin auf folgende Punkte gekommen.

  • Kleine Kinder wollen von sich aus ganz viel selber machen: sich anziehen, im Topf rühren, die Pfeffermühle auffüllen, Luft aus dem Reifen lassen, das Geld in den Parkautomaten werfen, die Pfützentiefe messen … Wenn möglich, machen lassen! Und immer wieder Zeit schenken, für die „Ich-kann-es-schon-alleine-„Momente.
  • Nie sagen: „Das kannst du nicht.“
  • Beim Ausziehen im Kindergarten auf Signale achten. Brauchen wir beide einen Moment der Nähe und mein Kind genießt es, noch einmal klein zu sein und Hilfe zu bekommen beim Ausziehen? Oder will es groß sein und alles alleine tun? Starr und riesenhaft neben dem kleinen Kind zu stehen und mit scharfer Stimme zu sagen „Das musst du jetzt alleine können“, weil das in einem Elternratgeber stand, ist fehl am Platze.
  • Immer auf das Bedürfnis nach Nähe achten. Im Elterntraining erkannte eine Mutter, dass ihr Sohn so quälend lange an den Hausaufgaben saß, weil er es damit schaffte, dass sie sich zu ihm setzte.
  • Bei den Kindern von Überbehütern, die auch noch zu Hause präsent sind, ist das genau umgekehrt. Wenn die Kinder schon älter sind (über 12), sollten sie gelegentlich ein oder zwei Tage ganz allein gelassen werden, damit sie merken, das sie nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel leben. Und wenn wir Eltern dann wieder kommen, dann dürfen wir sie wieder betüddeln … Juchhuuu!
  • Mir ist es wichtig, ein Klima gegenseitiger Unterstützung in der Familie zu schaffen. Ich lebe vor, dass ich gerne helfe, und merke, dass dieses Vorbild bei den Kindern wirkt (bei Jungs etwas zäher, aber der Samen ist gelegt.)
  • Nur wenn es zu einseitig wird (siehe Fünf-Sterne-Hotel), ziehe ich ab und an mal die Notbremse und schicke meine „Gäste“ zum Tellerwaschen in die Küche. Aber bitte kein tägliches Aufrechnen, wer wann was für wen getan hat.
Immer schön fröhlich bleiben
Uta

Das Titelbild ist von Vlada Karpovich von Pexels. Vielen Dank!

  • Oh ja ,ich kenne das zu gut!
    Bin auch echte Überbehüterin,wenn ich sehe ,dass mein Kind einfach nur Sicherheit braucht,dann bekommt es die auch und wider jedem Ratgeber…
    Ach ..und Leistung um jeden Preis finde ich Scheiße,was muss man sich da beweisen,wie wichtig ist man sich da selbst?Ich mache echt viel Blödsinn in der Erziehung,versuche meinen Kindern aber beizubringen,gut zu sich zu sein,denn wie soll man das denn sonst bei anderen hin bekommen,wenn mann nicht zuallererst sich selbst gut findet.Na ja,Zweifeln tue ich trotzdem oft,ob ich das alles so halbwegs richtig mache.LG,Silke Schmidt

  • I fürcht‘, wir sind keine Überbehüter, im Gegenteil werden wir oft schräg angeschaut, was unsere Kinder alles anstellen… Und trotzdem kenne ich das mit dem Helfen beim Schuheausziehen auch — und nicht bei einem
    Kindergartenkind, ;-), sondern bei einem Erstklässler, und es waren zwar keine gewöhnlichen Schuhe, sondern Schlittschuhe, aber trotzdem ist mir der Spruch des Vaters in Erinnerung geblieben, ;-).

    So long,
    Corinna

  • Ach nein, ich kenn das gaaaaar nicht … völlig unbekanntes Phänomen 😉
    Allein die Klamotten, das ganze Zeugs, das ich Tag für Tag wieder in die Zimmer zurückverteile. Selbst wenn ich am Abend zuvor gefragt habe, ob alles für den nächsten Schultag gepackt ist … garantiert fällt einem von ihnen morgens im Flur ein, was noch alles aus der Tonne raus kann, und das bleibt dann natürlich im Flur liegen … iss ja schon spät.

    Vergessenes Sportzeug habe ich schon öfters hinterhergefahren, ich finde es so blödsinnig, wenn sie dann nur zugucken und sich langweilen und sich vor allem nicht bewegen.

    Mit dem Vorbild, da baue ich auch drauf … manchmal platzt mir allerdings trotzdem der Kragen ..

    Es ist und bleibt eine Gratwanderung.

    Liebe Grüße,
    Isa

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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