Entspannter helfen bei den Schulaufgaben 

 29/11/2021

Warum die Haltung der Eltern zur Schule so wichtig ist - ein Beispiel aus meinem Leben

Häufig habe ich Eltern im Coaching, die sich um die Schullaufbahn ihres Kindes sorgen. Wenn das Kind nachlässig mit seinen Heften ist oder keine Ahnung hat, wann welche Hausaufgabe abzugeben ist, fürchten diese Eltern, dass der große Schlendrian bei ihnen einzieht und sie ihn nicht mehr loswerden bis zum Schulabschluss. Wenn ich sage, das könne doch mal passieren, dass man eine Aufgabe vergisst, sind sie kaum zu beruhigen. Die Leute fürchten nicht nur Long-Covid, sie fürchten Long-Faulheit. 

Wenn ich im Erstgespräch nachfrage, in welcher Klasse sich der Schüler befindet, höre ich „zweite Klasse Grundschule“ oder einmal sogar „Vorschule“, dabei hatte ich mich nach den Schilderungen der Eltern geistig auf einen Teenager eingestellt. Die Eltern, die ich vergangene Woche im Coaching hatte, versicherten mir, dass der Leistungsdruck enorm zugenommen habe. Schon in der Grundschule. Ich solle mal bei ihnen einen Elternabend besuchen.

Man hat immer eine Wahl

Ich erinnere mich, dass wir vor 18 Jahren, als der Kronprinz seine Schullaufbahn begann, schon klagten, der Leistungsdruck durch die Eltern habe enorm zugenommen. Diese Klage scheint so alt zu sein wie die Idee, Elternabende zu veranstalten. Immer gibt es eine Fraktion von Mamas und Papas, die vehement behaupten, Matilda (6) oder Linus (7) werde von Frau X oder Herrn Y nicht genügend auf den Arbeitsmarkt von 2035 vorbereitet. 

Mein Eindruck ist: Wenn Menschen Eltern werden, werden sie nicht genügend darauf vorbereitet, dass es vor dem Arbeitsleben eine Phase gibt, die man Kindheit nennt. 

Ich kann nicht messen, ob der Druck, dem Eltern und Kinder heute ausgesetzt sind, noch stärker ist, als der Druck, der sich mir bei vielen Elternabenden auf die Seele legte. Ich kann nur schreiben, dass jede einzelne Mama und jeder einzelne Papa die Wahl hat, ob er oder sie diesen Druck an sein Kind weiterreicht oder nicht. 

Ich behaupte nicht, dass das einfach wäre. Diese Geschichte aus meinem Fundus zeigt es. Sie stammt aus der Zeit, als unsere Prinzessin elf Jahre alt war:

Der Quintenzirkel

Wir haben gestern Freunde besucht, deren Tochter die gleiche Klasse besucht wie unsere Prinzessin (11). Als der Pflaumenkuchen gegessen war und wir uns wieder auf die Fahrräder schwingen wollten, sagte der andere Papa zu Prinzessin: "Na, kannst du schon den Quintenzirkel?"

Wir: "Quintenzirkel? Welcher Quintenzirkel?"

"Ja, wisst ihr denn nicht", sagte der andere Papa, "die Mädchen schreiben doch morgen eine Musik-Arbeit."

Prinzessin drehte an ihrem Zahlenschloss herum, als könnte sie sich mit der richtigen Kombination in Luft auflösen. Mein Mann sprang ärgerlich auf sein Rennrad: "Ich hatte dich doch gefragt, ob du für morgen noch etwas tun musst, und da hast du gesagt: 'nur Französisch'."

Ich winkte den Freunden zu und atmete kräftig in meinen Solarplexus. Dazu muss man wissen, dass wir vorzeitig bei den Freunden aufgebrochen waren, weil Prinzessin noch mit einer anderen Freundin ins Kino wollte. Für das Lernen war nach dem Kino so gut wie keine Zeit mehr.

Zu Hause behauptete unsere Tochter, sie hätte wirklich nicht mehr an den Musiktest gedacht. Und weil wir es besser finden, ein Fräulein Sorglos zu haben als ein Kind, das sich das ganze Wochenende wegen einer Schularbeit verrückt macht, ließen wir sie mit ihrer Freundin und deren Mutter in den Filmpalast ziehen.

Um 20 Uhr war Prinzessin Popcorn wieder zurück, und ich habe ihr geholfen, den Quintenzirkel und die Dur-Tonarten zu lernen.

Absurde Situation

Habt ihr auch folgende absurde Situation? Alle Lehrer sagen, das Kind solle selbständig seine Hausaufgaben machen, und alle Eltern stimmen zu. Kaum sind sie aber zu Hause, wird wieder zusammen gelernt oder der Nachhilfelehrer gebucht. Jeder weiß, dass sich alle anderen auch nicht an die Lehrer-Bitte halten, und will vermeiden, dass sein Augenstern in der Klasse den Anschluss verliert.

Es kommt aber gar nicht darauf an, ob wir helfen oder ob wir nicht helfen, sondern wie wir dabei sind. Das Entscheidende im Leben ist die Energie, die hinter den Dingen steht. Die Atmosphäre, die sie umgibt. Das, was man mit seinem Herzen wahrnimmt.

Begleiten wir unser Kind mit Angst, Misstrauen und Kontrolle durch die Schulzeit oder mit Vertrauen, Gelassenheit, liebevoller Unterstützung? 

Machen wir permanent Druck oder begeistern wir uns für Bildung und - ja - auch für Leistung und Talent? 

Seht ihr den großen Unterschied zwischen diesen Haltungen? 

Während Prinzessin im Kino saß, tankte ich gute Energie von tief innen und nahm mir vor, diese Dreiviertelstunde Nähe zu meiner Tochter zu genießen und der Sorge über den Ausgang eines Musiktests keine Macht zu geben. So setzte ich mich zu Prinzessin und dem Quintenzirkel an den Küchentisch.

Es zeigte sich, dass sie ein solides Halbwissen über Musiktheorie hatte. Wir freuten uns an der Symmetrie verschiedenster Tonleitern. Und sie fand selber eine Eselsbrücke, um die Paralleltonarten zu bestimmen. Wir lachten über "fis, cis, schiss". Und ich genoss es, mich mit ihr über das Lexikon zu beugen und dezent an ihrem Nacken zu schnuppern, ihre schmalen Finger zu studieren, wenn sie mit neonpink-lackierten Nägeln über die Notenlinien fuhr.

Es gab keinen Stress, keinen Ärger - wie sonst schon mal. Wir hatten eine innige Zeit.

Kurz & knackig:

* Bei Schulstress mit dem Kind die eigene Haltung überprüfen: Muss ich mir wirklich Sorgen machen? Welche Befürchtungen habe ich? Und bin ich mir sicher, dass sie zutreffen?

* Bin ich gefangen in der Haltung "Misstrauen und Kontrolle"? Und kann ich wechseln in "Vertrauen und liebevolle Unterstützung"?

* Sich bewusst werden, dass Stress und Druck Gift für das Lernen sind. 

* Sich klar machen, dass eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kind entscheidender für die Schullaufbahn ist als die Noten in der zweiten Klasse.

Immer fröhlich bleiben,

Eure Uta

PS: Das Titelbild hat Gustavo Fring fotografiert, das Beitragsbild Yan Krukov. Beide von Pexels. Vielen Dank!

  • Liebe Uta,
    mein Thema seit fast sieben Jahren. Mein Druck hat sich wenig geändert. Mein eigener Druck und der, den ich ans Kind weitergebe, manchmal auch mit dem Satz „Na, das musst DU wissen, ob du jetzt was machst oder nicht.“ (hier einen leicht schnippischen Ton dazu vorstellen, ich schäme mich selbst…) Die Einstellung des Kindes, die außen bei mir ankommt, hat sich ziemlich geändert, sie will jetzt gute Zensuren bekommen. Allerdings hat sie meinen Schlendrian geerbt und verliert schnell den Enthusiasmus. Ich versuche mich so gut wie möglich rauszuziehen aus schulischen Sachen, weil ich merke, dass es mir nicht egal ist und ich mir einen riesigen Kopf mache. Tut uns beiden nicht gut. Wenn sie Hilfe benötigt, bekommt sie sie, das sagen wir ihr oft, wobei mein Mann unendlich geduldiger beim Erklären ist. Ach ich weiß auch nicht. Ich schätze, ich müsste herausfinden, warum das Schulthema bei mir so hart besetzt ist, bisher habe ich aber noch keine Idee dazu. Dieses Wechseln zu Vertrauen und liebevoller Unterstützung habe ich noch nicht geschafft.
    Liebe Grüße
    Dana

    • Bei mir auch… meine Mama war so cool und ich habe selbst so einen Ehrgeiz, den ich als Druck an meinen (großen) Sohn weitergebe… es fällt mir schwer, im Vertrauen zu bleiben, eine gute Balance aus Hilfe, wo Unterstützung nötig ist und raushalten zu finden. Wobei ich tendenziell eher mehr Verantwortung bei meinem Kind sehe und mich dann über schlechte Leistungen ärgere…
      Sein kleinerer Bruder ist selbstständiger und hat mehr Spaß am lernen, so dass es mir deutlich leichter fällt, ihn zu unterstützen und auch einfach machen zu lassen.
      Uff…
      Uta? Hilfe?

      • Ich merke, dass ich innerlich davon überzeugt bin, dass mein Großer einfach Zeit braucht, zu reifen. Ihm täte ein alternatives Schulsystem oder wenigstens die Mittelschule bestimmt besser, als die Realschule, auf die er jetzt geht. Der Druck, die Sanktionen mit Negativmotivation im regulären Schulsystem erzeugen Gegendruck und Bauchschmerzen. Aber es fällt mir echt schwer, dazu zu stehen und es nicht (und das ist glaub ich der Kern des Problems) als eigenes Versagen zu bewerten. Was meinst du Dana? Uta?

        • Liebe Marie, danke für deine beiden Beiträge! Dass du es offenbar als eigenes Versagen bewertest, ist schon mal eine wichtige Erkenntnis. Du könntest es nun genauer untersuchen: Worin soll dein eigenes Versagen liegen? Du kannst es für dich mal in einem Satz formulieren und überprüfen: Ist das wirklich wahr? Kannst du zu hundert Prozent wissen, dass es wahr ist? Wie geht es dir damit, wenn du an diesen Satz glaubst? Wie würdest du dich fühlen, wenn du diese eigene Bewertung loswerden würdest? Probier mal, ob eine Umkehrung, Verneinung und das Einsetzen anderer Namen in deinen Ursprungssatz einen Satz ergibt, der genauso wahr sein könnte. (Vier-Fragen-Methode nach Byron Katie)
          Vielleicht verschafft dir das Entlastung. Herzliche Grüße, Uta

          • Liebe Uta,
            Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, auf den Kommentar zu antworten. Ich habe es mal nach der Methode überprüft… komme aber nicht so richtig weiter. Habe erstmal beschlossen, zu vertrauen, dass das Gras von alleine wächst.
            Dünge mit Lob, wo es gut läuft und versuche, die übrige Zeit weiter so zu verplanen, dass genug Zeit für alles andere und nicht so viel Zeit für Bildschirm bleibt… hmm… ist leider nicht sooo leicht. Aber diese Ausrichtung entspannt mich etwas.

        • Eigenes Versagen? Hm, nein. Zumindest bei mir ist es eher die Angst, das Kind könnte den Anschluss verpassen und hat später Riesenprobleme. Unsere Tochter ist die zweitjüngste der Klasse, das muss ich mir immer wieder sagen, sie hat einfach ein Jahr „aufzuholen“, was die anderen schon an Erfahrung und Reifung hinter sich haben. Dabei weiß ich eigentlich, dass sie auch mit 25 noch Abitur oder was weiß ich nachholen könnte, wenn sie wollte, es ist also überhaupt nicht so, dass jetzt alles verloren ist, wenn sie nicht hinnemacht. Aber Wissen und Fühlen gehen bei mir sehr weit auseinander. Bei uns hat das jüngere Kind auch viel mehr Leichtigkeit im Schulalltag, ihm fliegt das Meiste zu, seine Schwester muss um viele Dinge kämpfen. Vielleicht ist das auch Teil meines Problems: das große Kind wirkt auf mich benachteiligt und statt, dass sie mir „nur“ leidtut, werde ich aktiv und viel zu schnell ärgerlich…
          Liebe Grüße
          Dana

    • Liebe Dana, danke für deine Schilderungen! Herrlich, wie du das beschreibst mit dem „leicht schnippischen Ton“. Diesen Ton kenne ich nur zu gut von mir selbst.
      Du könntest mal gucken, woher der Schlendrian kommt. Zunächst mal bei dir.
      Alles, was wir tun oder unterlassen, hat ja irgendeinen Vorteil für uns. Manchmal ist dieser etwas versteckt. Aber du könntest mal schauen, inwiefern dir der eigene Schlendrian nützt und ob es ein Muster von früher gibt, das du vielleicht ausmustern kannst. Herzliche Grüße, Uta

      • Liebe Uta,
        der Schlendrian ist höchstwahrscheinlich eine Begleiterscheinung von ADS bei mir. Es gab nie eine Diagnose aber als ich als Erwachsene davon las, konnte ich seitenlang nur nicken. Das große Kind sollte darauf eigentlich getestet werden, aber irgendwie haben die alle möglichen Ergebnisse herausgefunden, nur darüber nichts bzw. auch nicht getestet. Naja, wir lieben sie wie sie ist, hatten uns nur ein bisschen Hilfe für sie erhofft.
        Einen Vorteil konnte ich für mich bisher nicht daraus ziehen, es ist eigentlich eher stressig und der Kopf bleibt voll mit „Ich muss eigentlich noch…“
        Liebe Grüße
        Dana

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >