Zu lasch für Grenzen 

 11/11/2012

Eltern jonglieren mit drei "Bällen" für ihre Kinder: Nähe, buntes Leben und Grenzen setzen. Ich scheitere häufig an Letzterem. Bin ich zu lasch für Grenzen?

Im Eltern-Training habe ich von drei Bällen gesprochen, die Eltern in der Hand halten:

den Ball „Nähe“, den Ball „buntes Leben“ und den Ball „Grenzen“

„Mit diesen drei Bällen jonglieren Sie immer“, habe ich zu den Eltern gesagt. „Es ist gut, keinen dieser drei Bälle fallen zu lassen.“

Ich finde dieses Bild hilfreich, muss immer wieder daran denken.

 

Nähe  

Kuscheln, in den Arm nehmen, den Rücken kratzen, an die Hand nehmen, beim Vorlesen auf den Schoß nehmen, Beauty-Programm, liebevoll die Haare kämmen, massieren, eincremen.

Für Prinzessin (11) und mich habe ich gerade die Bodylotion „Bio-Wildrose“ gekauft. Wenn ich das Gefühl habe, sie könnte eine Dosis „Nähe“ gebrauchen, ist so eine neue Lotion ein guter Vorwand, ihr abends im Bett die Beine einzucremen und zu massieren.

Wir haben einmal mit Freunden Urlaub gemacht, als deren Kinder 4 und 1 Jahr alt war. Wir schlenderten zusammen über eine Uferpromenade und unsere Freundin, vom Beruf Erzieherin, trug den Jüngsten auf dem Arm. Der Vierjährige dagegen umkreiste unsere Gruppe wie ein ungesteuerter Satellit, nur schlecht und recht durch Ermahnungen auf Kurs gehalten. „Kannst du Oskar mal an die Hand nehmen?“, flüsterte unsere Freundin ihrem Mann zu. Satellit Oskar wurde angedokt. Kleine Hand in große Hand. Und es war Frieden.
(Bitte schreibt mir jetzt nicht, dass das nicht immer hilft. Ich weiß!)

 

buntes Leben 

Alle Arten von Anregungen, Spielen, Ausflügen, oft ganz simpel: zusammen Backen, Kochen, Steine sammeln, alte Tapeten anmalen …

Guckt, dass ihr Sachen macht, die euch selber Freude machen. Ich hätte so Lust, mal zu einer der unbewohnten Elb-Inseln rüber zu rudern oder mit der ganzen Familie durch einen der deutschen Urwälder zu wandern. Caro von dem wunderbaren Blog Naturkinder empfiehlt das Buch Urwälder Deutschlands von Georg Sperber und Stefan Thierfelder. (Oh, das wünsche ich mir zu Weihnachten!) Sollte sich der Wunsch erfüllen, will ich in den Weihnachtstagen gleich mit der Familie in einen deutschen Urwald fahren. Ich bin sehr gespannt, welche Wälder in Norddeutschland verzeichnet sind.

An diesem Wochenende haben wir uns vorgenommen, dass jeder eine Liste macht: „25 Sachen, die ich auf jeden Fall in meinem Leben gemacht haben möchte“.

Samuel Lieberman, eine Figur aus der Serie „Dance Academie“ hatte so eine Liste (allerdings mit 50 Punkten). Sam ist in der Serie tödlich verunglückt, wie alle Fans wissen. In der nächtlichen Trauerfeier am Strand hat sein Freund „Chrischtian“ die Liste vorgelesen und ist alle Punkte durchgegangen: sich ein Tatoo stechen lassen, auf einer Brücke in Sydney tanzen, sich einmal gegen den Vater durchsetzen, Freunde finden, die einen durch das ganze Leben begleiten …“Den letzten Punkt“, flüsterte Chrischtian und seine tränenglänzende Augen wanderten von einem Freund zu anderen, „den letzten Punkt hat er auf jeden Fall geschafft.“ (Bleibt dran, ich hole nur kurz ein Taschentuch.)

So eine Liste zu schreiben und zu hören, was die anderen auf ihrer Liste haben, ist schon „buntes Leben“ pur. Und dass Sachen darauf sein könnten, die wir schon bald umsetzen könnten, macht mich ganz kribbelig. Ich werde berichten.

 

Grenzen


Beim Jonglieren mit den drei Bällen „Nähe“, „Grenzen“ und „buntes Leben“ plumpst mir der Ball „Grenzen“ am häufigsten hin. Ja, es ist mir immer schon schwer gefallen, meinen Kindern Grenzen zu setzen. Ich ertappe mich täglich dabei, dass ich ihnen alles ermöglichen möchte – häufig auf Kosten meiner Kräfte. Wenn ich dann endlich Grenzen setze, wundere ich mich häufig, wie leicht es geht.

Die Regel, dass Prinzessin (11) mittags nur eine halbe Stunde ans iPad darf, ist inzwischen ein Selbstläufer. Keine Diskussion mehr.

Kronprinz (15) habe ich vergangene Woche verkündet, dass ich ihm nicht mehr bei Latein helfen werde, weil ich gemerkt habe, dass er es nur lernt, wenn er sich selber durch die Texte fuchst. Als ich kurz darauf wieder schwach wurde und ihm bei einer komplizierten Konstruktion helfen wollte, pochte er selbst darauf: „Lass mich das alleine machen.“

Mit meiner Fußpflegerin (ich erwähnte, dass sie eine weise Frau ist) sprach ich über Durchsetzungskräfte. „Sie sind ja Zwilling“, hob sie an, „Zwillinge sind immer …“ – „Frau G.“, unterbrach ich sie, „ich bin kein Zwilling, ich bin Fisch.“ Frau G. setzte ihren Vortrag ungebremst fort. „Ach, Gott, ja, der Fisch, der Fisch ist lasch.“

Daran liegt es also.

Immer schön fröhlich jonglieren

Uta

  • Ja so ist es wohl und den Vergleich mit dem Jonglieren ist toll gewählt. Ich werde mir das Bild von den drei Bällen auf jeden Fall immer mal wiedr or Augen halten, denn an vielen Punkten muss ich noch arbeiten.
    Liebe Grüße,
    Andrea

  • Liebe Uta,
    ich finde es nur menschlich, wenn einem die Bälle aus der Hand fallen – so ist das beim Jonglieren. Das wirklich Wichtige ist jedoch, dass man sich immer wieder bemüht sie auch wieder aufzuheben. 🙂
    Viele liebe Grüsse!

  • Hallo Uta,
    ich habe unzählige Bücher gelesen, die das auch vermitteln, unzählige Bücher mit Anregungen, wie man Kinder in die täglichen Dinge einbezieht, unzählige Bücher mit wunderbaren Freizeittipps für die ganze Familie …
    Und dann stehe ich heute da: alleine mit 4 Kindern an einem verregneten Herbsttag und habe keine Ahnung, was wir machen könnten, damit diese Streitereien aus Langeweile oder das ständige: „Können wir Fernsehn gucken/Nintendo-Spielen/an den Computer?“ endlich aufhören. Von der Situation selbst genervt, höre ich mich ständig brüllen, um den Geräuschpegel zu übertönen, damit mich jemand hört.
    Wie gut, dass ich mich selbst zwischendurch an den PC geschlichen habe.
    „Kinder! Wir machen jetzt Listen: für den Weihnachtsmann!“ (Deinen Vorschlag gehe ich ein anderes Mal an). Es wurde geschrieben, aus Katalogen ausgeschnippelt, die 2jährige Schwester ausgefragt („du willst doch bestimmt eine Baby-Puppe, oder?“), alles bunt verziert … Ruhe! Endlich! Ich musste nur ab und zu Fragen zur Rechtschreibung beantworten.
    Am Abend dann für die beiden Jüngsten eine Geschichten-Massage und meine Nerven waren wieder ruhig (und die der Kinder auch)!
    Um es kurz zu sagen: deine Beiträge haben mich, seit ich deine Seite entdeckt habe, oft schon runter geholt und mir jedesmal eine Portion Gelassenheit zugesandt. Sie sind genau die richtige Portion und somit viel mehr wert, als 300seitige Bücher.
    Vielen Dank dafür!
    Das Bild werde ich in meinem Kopf abspeichern. Und wenn mir mal ein Ball runter fällt, weiß ich, dass es heute nicht mein Tag ist und es morgen besser klappt.

    Liebe Grüße!
    Jenny

  • Liebe Jenny,

    ich kann kaum ausdrücken, wie ich mich über Deinen Kommentar freue.
    Danke, dass Du gleich einen ganzen Beitrag geschrieben hast für meinen Blog, von dem andere gleich mit profitieren können. Und danke, dass Du bei all der Arbeit und Unruhe, die Du zu meistern hast mit vier Kindern, Dir die Zeit genommen hast, mir eine solche Anerkennung zu schreiben.

    Herzlichst

    Uta

  • Das ist ein wunderbares Bild mit den Bällen, vielen Dank für’s an die Hand geben. Die Grenzen sind auch mein Problem (ich bin aber kein Fisch).
    Aber wie die Vorrednerin schon sagte: Morgen ist ein neuer Tag ohne Fehler!
    Lg,
    Julia

  • Hey Uta, was deine Liste betrifft, ist Hannah (13) dir Lichtjahre voraus. Ihre Liste liegt schon seit gefühlten 10 Jahren auf ihrem Schreibtisch und beinhaltet fremde Länder , die sie bis zu ihrem 25. Lebensjahr bereist haben möchte . Lieben Gruß . Christiane

  • Seit ich zum ersten Mal die Idee von Cany Chang gesehen habe, würde ich am liebsten in vielen Straßen unserer Gegend so eine Wand aufstellen:
    http://candychang.com/before-i-die-in-nola
    Als kleine Erinnerungsstütze, was man auch sofort tun könnte, um es nicht zu vergessen oder irgendwann zu bereuen, es nicht gleich gemacht zu haben.

    Der Grenzen-Ball fällt mir auch immer wieder runter. Ich bin inkonsequent, weil ich ja auch immer möchte, dass mein Kind glücklich ist. Aber manchmal macht Maximalkonum und Maximalfreiheit halt auch nicht glücklich. Balanceakt eben.

    LIeber gruß,
    Katja

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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