Größere Erwartung an das Buch der Yaloms 

 12/10/2021

In dem Bestseller von Marilyn und Irvin Yalom vermisse ich das Tröstliche

Ihr wundert euch vielleicht, dass ich heute über ein Buch schreibe, das nichts mit Erziehung zu tun hat. Das zentrale Thema von "Unzertrennlich. Über den Tod und das Leben" ist die Partnerschaft. Die hat auf den ersten Blick nichts mit Erziehung zu tun. Aber wer hier schon länger liest, weiß, dass meiner tiefsten Überzeugung zufolge das Miteinander der Eltern einen wichtigen Einfluss auf die Kinder hat. "Du willst Eltern-Coaching anbieten?", fragten mich meine Ausbilder vor Jahren, "dann ist das im Grunde immer auch ein Paar-Coaching." Deshalb war ich sehr gespannt auf das Buch der Yaloms.

Irvin Yalom ist ein bekannter US-amerikanischer Psychoanalytiker und Autor von Bestsellern wie "Und Nietzsche weinte" oder "Das Spinoza-Problem". Seine Frau Marilyn war Literaturwissenschaftlerin an der Stanford University und schrieb ebenfalls mehrere Bücher. Als Marilyn 2019 im Alter von 87 Jahren an Knochenmark-Krebs erkrankte, überredete sie ihren Mann zum ersten Mal in ihrem Leben, gemeinsam ein Buch zu schreiben, ein Buch über ihre letzte Zeit zusammen. So wechseln sich in den ersten drei Viertel von "Unzertrennlich" Marilyn und Irvin kapitelweise ab. Mal schreibt sie, wie sie die Situation gerade empfindet, was sie von Sterbehilfe hält, ob sie vielleicht doch ihr Haus im kalifornischen Palo Alto aufgeben und ins betreute Wohnen ziehen sollten. Dann berichtet Irvin, was der Termin bei der Onkologin ergeben hat, dass er alte Freunde googelt, um zu sehen, ob sie noch leben, und was er in seinen Büchern oder in seiner Arbeit als Trauer-Therapeut an Erkenntnissen findet, die ihm mit seiner sterbenden Frau helfen könnten. Schließlich vollendet er das Buch allein. 

Ich habe "Unzertrennlich" gerne gelesen. Es ist persönlich und ehrlich. Und als Leserin darf man sogar ein wenig im Familienalbum blättern, sieht die vier Kinder der Yaloms und ihre Enkel, Marilyns Kräutergarten, Irvins Arbeitszimmer und therapeutische Praxis im großen Garten, Marilyns Frauen-Debattier-Club, den inspirierenden Lifestyle eines intellektuellen Paares. Dazu berührende Fotos der beiden bei ihrer Hochzeit, beim Tanzen und Händchen haltend im Alter. 

Auf Beziehungs-Tipps gehofft

Eine Erwartung, die ich an das Buch hatte, wurde jedoch nicht erfüllt. Ich hatte gehofft, dass die beiden nach 65jähriger Ehe darüber schreiben, was sie so lange Zeit so glücklich zusammen leben ließ. Eine Art Erfolgsgeheimnis ihrer Ehe. Haben sie heftig gestritten, aber sich vor jedem Schlafengehen wieder versöhnt? Gab es Zahnpasta-Tuben-Konflikte, Krisen, Affären, gemeinsame Sitzungen bei Kollegen im Fachbereich "Paar-Therapie"? Die einzige Äußerung dazu fand ich auf Seite 81 in einem Kapitel von Irvin:

Unsere Beziehung war nicht immer friedlich: Wir hatten unsere Differenzen, unsere Auseinandersetzungen, unsere Fehltritte, aber wir waren immer offen und ehrlich miteinander und haben unsere Beziehung immer und überall an die erste Stelle gesetzt.

Irvin Yalom

Psychoanalytiker

"Offen und ehrlich miteinander sein" und "unsere Beziehung immer an die erste Stelle setzen" - das sind unbestritten zwei sehr wichtige Punkte für eine gelingende Partnerschaft. Ich hätte aber gerne mehr darüber gelesen. Vor allem hätte mich interessiert, wie sie diese Punkte gelebt haben. 

Für Irvin war es die berühmte "Liebe auf den ersten Blick". Als Teenager sah er Marilyn auf einer Party. Dann büffelte er im Eiltempo, um auf das gleiche College wechseln zu können, an dem schon Marilyn studierte. Immer von der Angst getrieben, ein anderer könnte sie ihm wegschnappen. Und noch mit fast 90 Jahren klingen seine Sätze über seine Frau wie die eines verliebten Teenagers. Das ist unglaublich rührend. Sehr berührt hat mich auch, wie er noch Wochen nach ihrem Tod mit dem Handy Fotos von ihren Büchern in der Auslage eines Ladens macht, getrieben von dem Gedanken "Das muss ich zu Hause Marilyn zeigen" und wie ihn in der nächsten Sekunde der Schmerz durchzuckt, dass sie nicht mehr da ist. 

Wie haben sie sich diese Verbundenheit bewahrt? So gerne hätte ich in Katzenklo-Blog-Manier "Die sieben wichtigsten Punkte für eine erfüllte Partnerschaft" gelesen. Dazu mindestens drei Bespiele aus dem Alltag. Aber das wäre wohl eher mein Buch als das der Yaloms. Mein Glaube an die Möglichkeit von Weiterentwicklung, an Machbarkeit statt Schicksal, an Liebe als etwas, das nicht einmal einschlägt, sondern ein Leben lang wächst.

Wenig spiritueller Trost

125 Tage nach Marilyns Tod wendet sich Irvin in seinem letzten Kapitel direkt an seine verstorbene Frau. "Ich weiß, dass ich alle Regeln breche, indem ich dir schreibe, ..." ( Seite 291) Wieso glaubt er damit "alle Regeln" zu brechen? Wenige Seiten später (297) wird deutlich warum: "Wann immer ich über den Tod nachdenke, beruhigt mich der Gedanke, 'zu Marilyn zu gehen'. Vielleicht sollte ich einen Gedanken, der so viel Balsam bietet, nicht bezweifeln, aber ich entkomme meinem eigenen Skeptizismus nicht. Was im Himmel bedeutet zu Marilyn gehen am Ende wirklich?" 

Marilyn und Irvin Yalom haben beide Jahrzehnte in der Wissenschaft gearbeitet. Während es bei ihr kleine Hinweise auf Spiritualität gibt (sie zitiert aus Psalm 23 aus der Bibel, Seite 77, bezeichnet sich dennoch als "jemand..., der kein gläubiger Mensch ist"), bleibt Irvin bis zum Ende des Buches ein Skeptiker. Er liest seine alten Werke erneut, auf der Suche nach den eigenen therapeutischem Ideen von einst. Und im letzten Satz heißt es, er habe darin Trost gefunden. 

Mich hat das sehr ernüchtert. Mache ich dem großen Psychoanalytiker zum Vorwurf, dass er sich selbst in der Trauer nicht besser helfen konnte? 

Irgendwie schon. Und mir wird klar, dass ich Wissenschaft und darin die Psychologie für wichtig erachte, ich jedoch die Kraft und den Trost meiner geliebten spirituellen Quellen nie würde missen wollen.

Immer fröhlich mir schreiben, wenn ihr "Unzertrennlich" auch gelesen habt und wie ihr es findet,

Eure Uta 

PS: Das Buch hatte ich mir selbst gekauft, verdanke dem btb-Verlag aber das Cover-Bild und die Genehmigung, es zu verwenden.. 

Foto von Sơn Bờm von Pexels

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Uta


Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

Deine, Uta

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