Eine Freundin hat mir erzählt, dass ihr Sohn (11) in letzter Zeit freche Antworten gibt und sich sehr respektlos verhält.
Eine andere Freundin klagte über ihre Tochter (15), die unbedingt mit Kick-Boxen beginnen wollte, jetzt aber unter fadenscheinigen Gründen häufig das Training ausfallen lasse.
Als ich beim Ausgraben einer Rose über beide Gespräche nachdachte, fiel mir auf, dass offensichtlich niemand die Frage nach dem ‚warum‘ gestellt hatte.
Das ist ja eine ganz schlichte Sache, wird von uns Erziehungsberechtigten aber gerne vergessen.
Sich Zeit nehmen, sich hinsetzen, Hirn von Vorurteilen befreien und sagen: „In letzter Zeit fühle ich mich von dir so respektlos behandelt. Ich bin sauer und ratlos. Gibt es dafür einen Grund, den ich nicht ahne.“
„Du ahnst es nicht!“ ist ein geflügeltes Wort bei Prinzessin (13). Ich glaube, sie hat recht. Wir Erwachsenen ahnen häufig nicht, was in ihnen vorgeht und machen uns nicht die Mühe, es zu ergründen.
Hat meine Freundin die Tochter gefragt, warum ihr beim Kickboxen die Begeisterung abhanden gekommen ist? Hat der Trainer eine blöde Bemerkung gemacht? Fühlt sie sich nicht wohl in der Trainingsgruppe? Hatte sie andere Vorstellungen von dem Sport?
In seinem Buch über Prinzipien für starke Familien erzählt Stephen R. Covey von einem kleinen Jungen, der nie im Haus seines Freundes spielten wollte, bis die Mutter ergründete warum: Der Junge hatte Angst, sich in die Hose zu machen, weil er nicht wusste, wo sich dort im Haus die Toilette befand.
Covey berichtet auch von einem guten Freund, der Probleme mit seinem pubertierenden Sohn hatte. Der Freund behauptete, genau zu wissen, was in dem Jungen vorgehe, bis Covey sagte:
„Du solltest einmal davon ausgehen, dass du gar nichts über den Jungen weißt! Fang noch einmal ganz von vorne an: Hör ihm einfach zu, ohne ihn zu beurteilen oder zu bewerten.“ (Stephen R. Covey: Die 7 Wege zur Effektivität für Familien. Prinzipien für starke Familien. Offenbach 2007, S. 25)
„Solange wir in der Rolle des Richters verharren, haben wir so gut wie nie den Einfluss, den wir uns wünschen.“ (ebd. S. 262)
Was wohl in ihm vorgeht? Kronprinz (16) am Nordseestrand. |
In der Pubertät, heißt es, ist das Gehirn so stark im Wandel, dass man ein Schild an die Stirn des Jugendlichen heften könne: „Wegen Umbau geschlossen.“
Wenn Eltern von „Pubertieren“ sich auf Partys unterhalten, kann man die Feigen im Speckmantel darauf verwetten, dass irgendeiner so einen Spruch bringt.
Ich finde das billig. Ich will auch nicht, dass mich jemand mal in eine Wechseljahres-Schublade steckt oder mir sonst irgendein Schild anhängt.
Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich einer Gruppe von anderen Menschen zugehörig zu fühlen. Jeder Mensch, egal in welchem Alter.
Jeder sucht jemanden, der ihn versteht, ohne ihm ein Schild anzuhängen.
Wer kein Gehör findet bei seinen Freunden und nicht einmal bei seinen Eltern, verschafft sich Gehör (z.B. durch Leistungsverweigerung, Nicht-Kooperieren, Krankheit) oder zappt sich mit Drogen das Bewusstsein weg.
Hattet ihr schon einmal die Situation, dass euch ein Licht aufging und ihr ein Problem auflösen konntet, weil es euch endlich gelang, gut zuzuhören? Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir eine solche Situation beschreiben könntet.
Immer fröhlich nach dem ‚warum‘ fragen und gut zuhören.
Eure Uta
Liebe Uta,
es stimmt, Eltern oder allgemein Erwachsene hören oft zu wenig zu.
Unsere kleine Tochter kann sich für ihr Alter schon sehr gut ausdrücken und so fällt das Zuhören leichter. Bei unserem Sohn ist das anders. Seine geistige Behinderung erschwert ihm das Mitteilen manchmal ungemein. Auf der einen Seite können wir in Zweisamkeit ganz tiefschürfende Gespräche führen und er kann sich gut äußern, auf der anderen Seite kann er sich gerade in schwierigen Momenten/Zeiten so gar nicht mitteilen. Das kann eine Phase sein in der er Erlebtes verarbeitet und sogesehen verinnerlicht oder aber einfach nur Hunger hat. Ich habe gelernt ihm dann mit den Augen zuzuhören. Unsere Komunikation geht dann hauptsächlich über Körpersprache und Mimik, da die so ursprünglich und intuitiv ist, und er dabei sein Gehirn nicht zusätzlich mit Sprache belasten muss.
Nichts ist wichtiger als zuhören, man darf aber auch nicht vergessen, dass auch die Kinder/Jugendlichen, die keinen Ton von sich geben wollen/können, dennoch mit uns sprechen und sich mitteilen. Wir müssen halt nur hinhören, hinsehen, mitfühlen.
Liebe Grüße an Dich. Angela
„Mit den Augen zuhören …“ Das ist so schön, liebe Angela. Ich habe ganz fasziniert gelesen, wie du dich auf deinen Sohn eingestellt hast und bereit warst, selber zu lernen und dich zu verändern. Ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar! Herzliche Grüße, Uta
Liebe Uta,
vielen Dank für diese hilfreichen Gedanken.Ich merke, dass ich mit meiner Tochter (22 Monate, also gerade am Anfang der Autonomiephase) nur dann gut zusammenlebe, wenn ich aufmerksam zuhöre und vor allem zusehe. Sie spricht erst wenige Worte und kann mir nicht oft verbal mitteilen, was in ihr vorgeht. Mich auf sie einstimme anstatt meine eigenen Erklärungen zu finden fällt mir nicht immer leicht, doch nur wenn ich das tue, haben wir eine schöne Zeit miteinander. Wenn ich zu sehr meine eigene Vorstellung durchsetze will oder glaube zu wissen, was gut fuer sie ist, ist diese schöne Zeit schnell vorbei.
Ein Beispiel: Sie mag sich vor den Mahlzeiten oft nicht die Hände waschen. Anfangs habe ich sie oft zum Waschbecken gezerrt und unter Geschrei und Gezappel gezwungen. Jetzt lasse ich sie einfach, weil ich gesehen habe, dass sie oft noch mit etwas anderem Beschäftigt ist. Zwar nicht ins Spiel vertieft, aber einfach noch nicht bereit. In der Regel dauert es nur wenige Minuten, bis sie selbst zum Waschbecken geht und wir danach ganz entspannt essen können.
Lieben Gruss
Danke für das Beispiel mit dem Händewaschen. Ich empfinde es auch so, dass im Zusammensein mit Kindern vieles einfacher geht, wenn wir die Möglichkeit haben, ihnen Zeit und Raum für ihre eigenen Erfahrungen zu geben. Im Alltag zu entschleunigen kann unglaublich hilfreich sein. Danke, dass du geschrieben hast! Liebe Grüße, Uta
In dem Alter sind sie vor allem auch nicht gut geübt mit ihrer Sprache. Auch wenn sie den ganzen Tag quasseln, heißt das nicht, dass sie gut ausdrücken können, was in ihnen vorgeht. Ich frage bei meinen Großen immer wieder gerne, wie bei der Kleinen: Was machst Du, anstatt, wie geht es Dir. Da höre ich dann ganz genau raus, wie es ihnen geht.
Die „Was-machst-du“-Frage zu stellen, ist eine klasse Idee. Das muss ich mir merken. Danke und herzliche Grüße, Uta
Liebe Uta,
der große Herzbube hat ab seinem zweiten Lebensjahr geweigert, Hemden oder Poloshirts anzuziehen. „Marotte“ dachte ich. Irgendwann forderte er uns auf, unsere Hemden auszuziehen. „Tick“ dachte ich. Er wollte nur noch Jogginghosen anziehen. Ich hatte es immer noch nicht verstanden. Das ganze zog sich über einen langen Zeitraum. Irgendwann, als er sich weigerte, seine Jacke anzuziehen, habe ich in seinem Gesicht gesehen, dass es weder ein Tick noch eine Trotzreaktion ist. Er hatte regelrecht Angst und Panik. Erst da begriff ich.
Ich habe die Knöpfe seiner Hosen übernähen lassen und mit Klett versehen, ihm nur noch Jacken mit Reißverschluss angezogen. Als ich ihm die Hosen zeigte, nahm er mich in den Arm und küsste mich. Da wusste ich, dass ich ihn verstanden hatte. Den solche Zuwendungen sind bei ihm sehr selten.
Liebe Grüße,
Frieda
Liebe Frieda, obwohl ich diese kleine Geschichte vor einer halben Stunde gelesen habe, habe ich noch Restfeuchte in den Augenwinkel. Danke! Uta
Seit geraumer Zeit verfolge ich Deinen Blog liebe Uta! Ganz ganz oft, wenn nicht gar immer kann ich irgendwas nützliches für mich „mitnehmen“. Da ich mich vor einem halben Jahr von meinem Partner getrennt habe und mein Leben mit unserer 5jährigen nicht immer einfach ist seitdem, probiere ich ab heute mal das „hinsehen“….. das Beispiel mit dem Hände waschen ist so simpel und dennoch sagt es viel aus. Zeit lassen, Raum geben, oftmals erreicht man damit mehr…. ich melde mich bestimmt wieder. Herzlichst Syra
Liebe Syra, dass du ganz oft irgendetwas Nützliches „mitnehmen“ kannst, ist für mich eine große Freude. Dann macht es Sinn, was ich da tue. Ich danke dir sehr, dass du kommentiert hast und freue mich schon, wenn du dich wieder meldest! Viele Grüße, Uta
Liebe Uta,
diesmal, muss ich sagen, fand ich die Kommentare mindestens so interessant und berührend wie Deinen Post.
Ich für mich weiß, dass ich oft die Kinder dränge sich mitzuteilen. Manchmal tue ich das aus echtem Interesse („Was machst Du?“ ist definitiv ein besserer Türöffner als „Wie geht es Dir?“.) Aber manchmal will auch einfach nur schnell wissen, was los ist. Es geht mir dann nicht um Begegnung, sondern um Effizienz. Guess what? Funktioniert meistens nicht.
Ich glaube, wir nehmen uns die Zeit zum Zuhören oft deshalb nicht, weil wir zu gehetzt sind dazu und weil wir auch manchmal Angst haben, was dann zu Tage kommt. Dass wir dann vielleicht gezwungen sind, die Gefühle unserer Kindern ernst zu nehmen. Dass wir dann losgehen müssen und Hosenlöcher übernähen lassen müssen. Wo das hinführt, wenn wir den Kindern alle Marotten durchgehen lassen? Dass das Kind sein Leben lang nur mit Klettverschlusshosen rumrennt. Was dann die Nachbarn sagen? Ich glaube, Frieda hat genau das Richtige getan. Sie hat die Liebe über diese Angst siegen lassen und ein besseres Beispiel hätte sie Ihrem Sohn nicht geben können. Und mir hat sie damit auch Mut gemacht.
Liebe Grüsse, Julia
Danke, Julia.
Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich das erkannt habe. Ich habe noch nicht so gut gelernt, mit den Augen zuzuhören (was für eine tolle Aussage!).
Mittlerweile ist der Herzbube fünf und kann mir sagen, wenn auch nur ansatzweise, warum ihn Knöpfe stören. Sie machen ihm Angst. Druckknöpfe und Verschlusshaken kann er aber wieder (er)tragen, wenn es nicht zu viele sind, z.B. an Jacken. Knöpfe mit „Augen“ (Löchern) gehen gar nicht. Es sei denn, sie gucken ihn nicht an und er kann sie nicht sehen (z.B. diese Knöpfe, die oft innen in Kinderhosen sind, um die Weite zu regulieren). Sogar wenn Oma ein Shirt mit Knöpfen an hat, meidet er das Kuscheln und fragt, ob sie noch ein anderes T-Shirt hat. Und auch Bettwäsche gibt es nur noch mit Reißverschluss oder ohne Verschluss. Ich habe gelesen, dass es tatsächlich Knopfphobiker gibt.
Als Reaktion ernten wir sehr viel Unverständnis und werden belächelt, es ist für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar. Aber wir, Oma und die Heilpraktikerin wissen Bescheid und nehmen ihn diesbezüglich ernst. Und das ist ja schon mal gut.
Liebe Grüße,
Frieda
p.s.: Deine Wasserfarbenmonster sind großartig!
Hallo,
ich folge dir schon ziemlich lange und lese auch recht begeistert hier – ich habe allerdings weder Kinder oder geschweige denn bekomme ich welche (zumindest ist das erstmal noch nicht geplant). Aber ich bin Altenpflegerin, und du ahnst nicht, wie sehr sich manche Texte auf meine alten Leute beziehen lassen.
Und diesen Post unterschreibe ich ganz besonders – und man sollte prinzipiell mehr zuhören, egal ob Kind oder Erwachsener. In dieser Welt, die so schnell und rasant geworden ist, sollte man sich hinsetzen und die Zeit mal vergessen, nur um einfach dem Menschen zu zuhören.
Oft ergibt das, was mir manche meiner alten Leute erzählen, keinen Sinn mehr, weil die Krankheiten schon zu viel kaputt gemacht haben im Kopf, aber das Gefühl, dass da jemand ist und zuhört – das nehmen sie bis zum Schluss wahr.
Liebe Grüße,
Linda
Liebe Linda, heute sprach ich mit meiner Friseurin darüber, wie wenig Zeit Altenpfleger haben, um neben der pflegerischen Arbeit noch mit den alten Menschen zu sprechen. Fünf Minuten später erreichte mich auf meinem Handy dein Kommentar. Es gibt keine Zufälle, oder? Danke für deine Zeilen! Herzliche Grüße, Uta
Liebe Uta, liebe Mitleser,
danke fur eure Worte! Man fühlt sich hier auf Utas Blog verstanden, obwohl man einander nie gesehen hat. Im realen Umfeld reagieren die meisten auf Unverständnis, wenn sie sehen/hören, dass ich mit meiner 3,5 jährigen Tochter versuche, Problemen auf den Grund zu gehen und ihre Sorgen/Ängste/Einwände ernstnehme. Meistens kommt dann nur sowas wie „Sie wird dir bald auf der Nase rumtanzen“ oder „Die hat dich aber schon ordentlich im Griff“.
Es war hier schon öfter der Fall, dass meine Tochter irgendwas verweigerte, wo ich kurz in der Versuchung war (aus Stress- oder Zeitgründen, oder weil ich einfach selbst zu viel im Kopf hatte), sie einfach mitzuzerren und zu „zwingen“ – vielleicht auch mit den Worten „Stell dich nicht so an“. Bis mir dann mitten in der Situation klar wird, dass genau das nicht hilft, die Sache zu regeln. Ganz im Gegenteil. Meine Tochter verweigert noch mehr, ich werde noch gestresster… also STOPP! Einmal tief durchatmen. In die Knie gehen. Das Kind an den Händen nehmen (das finde ich als Erdung sehr wichtig). In die Augen sehen. „Was ist los?“… und schon beruhigt sie sich auch und kann mir in den meisten Fällen sagen, was denn grade das Problem ist (und wenns nur das ist, dass die Puppe im Moment nur einen Schuh an hat und man aber erst dann Mittagessen kann, wenn die Puppe zwei Schuhe an hat. Sie friert ja sonst in der Zwischenzeit!). So wird die Situation oft viel schneller gelöst, als mit der Biegen-und-Brechen-Variante.
Warum das in meinem Umfeld nicht erkannt und stattdessen als „auf der Nase rumtanzen lassen“ gewertet wird, ist mir leider nicht klar.
Liebe Grüße,
Christina
Liebe Uta,
ich weiß ich habe bis jetzt immer nur mitgelesen, und ja, meine Gedanken wurden ganz oft ganz schön angestossen durch Ihre Worte! Danke dafür, auch wenn Sie es vielleicht nicht ahnen…
Meine Warum Frage lautet (und sie liegt mir schon ziemlich lange auf der Zunge): Warum nennen Sie ihre Kinder „Kronprinz“ und „Prinzessin“? Das sind doch auch Schilder! Und eines Tages (vielleicht ist der Tag aber auch schon da) werden sich die Kinder sicher fragen, warum der eine soviel höher in der „Bennenungs-Hierarchie“ steht, als die andere.
Eine gefährliche Sache.
Ich habe schon so oft die Erfahrung gemacht (und schliesse mich selbst mit ein), das (fast) kein Mensch auf dieser Welt zu jedem Zeitpunkt und an jedem Tag dieses doch edle Attribut verdient zu tragen! Manchmal bin ich und die Kinder und mein Mann und was-weiss-ich-wer, in meinen Augen einfach der alledoofste Mensch. Und ganz oft bin ich froh, das mich die Erkenntnis trägt: ja wir sind alle nicht perfekt, aber vielleicht grad gut genug!
Beste Grüße
Klara
Liebe Klara, natürlich ist niemand perfekt. Das halte ich auch nicht für erstrebenswert. Aber eines meiner wichtigsten Lebensprinzipien ist: von dem anderen eine höhere Meinung zu haben als er/sie selbst. Es gibt nichts, was ermutigender wäre. Und was die Benennungshierarchie angeht (Sie meinen Kronprinz sei „höher“ als Prinzessin?), wachsen meine Kinder damit auf, dass wir uns nicht miteinander vergleichen. Bisher hatten die beiden noch keine Frage dazu. Nach meinem Eindruck haben sie gar nicht die Idee, es könnte sich um eine Hierarchie handeln. Spannendes Thema! Wahrscheinlich werde ich das bald mal aufgreifen. Vielen Dank für den Kommentar und herzliche Grüße, Uta