Warum das leere Gefühl für Kinder wertvoll ist und wie man damit umgeht.
  1. Wenn das Kind sagt: „Mir ist so langweilig!“ kann man sich als Eltern beglückwünschen. Dann haben wir und die digitale Welt es noch nicht erschlagen mit unseren Entertainment-Angeboten, so dass es vordringen konnte zu dem wertvollen Gefühl der inneren Leere.
  2. Sollte Langeweile gar nicht aufkommen, dann empfiehlt es sich, mit dem Kind zu vereinbaren, dass es weniger die digitalen Geräte nutzt. (hier habe ich darüber geschrieben, wie eine Oma es geschafft hat, trotz des sozialen Drucks in einem ICE-Wagen den Enkelsohn dazu zu bewegen, sein iPad wegzulegen und sich mit ihr zu unterhalten.)
  3. Wenn wir den Satz „Mir ist so langweilig!“ hören und uns dazu beglückwünscht haben, schlage ich vor, das Gequengel auszusitzen. Selbstversuche haben gezeigt, dass es in der Regel 20 Minuten dauert, bis das Kind eine Möglichkeit findet, sich selbst zu beschäftigen.
  4. Es kann helfen, etwas in der Art zu sagen wie: „Du weiß gerade nicht so recht etwas mit dir anzufangen. Ich kenne das Gefühl. Anfangs ist es unangenehm.“ und sich mit Beschäftigungsvorschlägen zurückhalten.
  5. Ein Glücksfall ist es, wenn mindestens zwei Kinder zusammen sich langweilen. Wahrscheinlich braucht es dann weniger als 20 Minuten, bis sie höchst kreativ etwas aushecken.
  6. Rohmaterial für die Phantasie greifbar haben: Papier, Stifte, Farben, naturbelassene Bauklötze in rauen Mengen, Lego-Grundbaukasten (keine Themen-Packungen), Korken, Pappkartons, Schnüre, Klebstoff …
  7. Die Geschichte „Die Prinzessin, die nicht spielen wollte“ von Astrid Lindgren zusammen lesen. Prinzessin Lise-Lotta hat ein Zimmer, vollgestopft mit Spielsachen, und langweilt sich. Ihre Mama, die Königin, ist ratlos. Sie schlägt vor, ihr die 20. Puppe zu kaufen, und als auch diese unbespielt in der Ecke landet, ruft die Königin schließlich nach dem Leibarzt. Ohne Befund. Erst als Lise-Lotta am Rande des Schlossparks Maja aus dem Dorf trifft, kehrt das Leben in sie zurück. Die beiden spielen mit Majas Puppe, einem Stück Holz, gehüllt in Flicken, an dessen Ende Maja selbst mit Buntstiften ein Gesicht gemalt hat. „Sie heißt Puttchen“, erklärt Maja. „Und sie ist so lieb und so artig!“ Die Geschichte findet sich in dem Buch „Astrid Lindgren erzählt“, das wichtigste Buch meiner Kindheit, das es – und jetzt mache ich unbezahlte Werbung – hier nur noch gebraucht gibt.
  8. In die Natur gehen. Da findet sich immer Rohmaterial, mit dem Kinder sich und ihre Innenwelten ausdrücken können.
    Kleine Hütte aus Fundstücken – gebaut von Gastkind Sadia am Elbstrand.

     

  9. Kinder, die es nicht gewöhnt sind, aus sich selbst zu schöpfen, brauchen andere Kinder oder die Initialzündung eines Erwachsenen. Nach 20 Minuten ohne kindliche Eigeninitiative kann ich den Anfang machen und zum Beispiel aus Stiften eine Straße legen, aus Korken und Zahnstochern Gestalten basteln … Vielleicht haben wir zusammen Spaß und ich bleibe dabei oder ich ziehe mich zurück und tue, was ich tun wollte. Ihr wisst ja: „Ein robustes Kind kann nur etwa 6 bis 7 Stunden Pädagogik am Tag aushalten.“ (Jesper Juul)
  10. Im Haushalt oder Garten mitarbeiten lassen. (In meinen Erinnerungen an meine Großtante Franziska habe ich ausführlich darüber geschrieben)

Die Journalistin Christina Rinkl hat im Magazin des „Kölner Stadtanzeigers“ einen inspirierenden Artikel darüber geschrieben, warum Langeweile für Kinder so bereichernd ist. Jesper Juul kommt zur Wort und Remo Largo. Und ich durfte per Mail aus Kanada auch meinen Senf dazu geben. Vielen Dank, liebe Christina, für die Zusammenarbeit und für den Link zum Artikel!
Immer fröhlich stur bleiben, wenn wir den Satz hören „Mir ist so langweilig!“,
eure Uta
PS: Christina Rinkl kennen vielleicht manche von ihrem Blog „Mama chillt“. Seit kurzem hat sie eine neue Seite „Getrennt mit Kind. Der Blog für getrennt erziehende Eltern“. Hier schildert sie bewegend, wie sie den ersten Muttertag ohne ihren Sohn erlebt hat (weil er an dem Wochenende beim Vater war), welche Vorlesebücher es zu dem Thema gibt, wie sie ein Seminar für Alleinerziehende des Erzbistums Köln besucht hat und warum getrennt lebende Eltern plötzlich zu Minimalisten werden.
„Eine Trennung ist eines der einschneidensten Erlebnisse im Leben“, schreibt Christina. „Zumal, wenn davon nicht nur das eigene, sondern auch das Leben der Kinder betroffen ist. Kaum etwas verändert den Alltag so schlagartig und allumfassend wie der endgültige Abschied von einer langjährigen Partnerschaft. Dieser Blog will Müttern und Vätern Mut machen, die von Trennung betroffen sind. Denn auch in dieser besonderen Lebenssituation, die für alle Beteiligten herausfordernd ist, kann es gute Sachen geben: Veränderung, Neues, persönliche Entwicklung, Hoffnung, Glaube, Liebe und Glück.“

Titelbild von Charlein Garcia von Unsplash.

  • Ich sage manchmal „Ich gratuliere dir, sich zu langweilen ist etwas Tolles, denn dann kommt dein Kopf auf besonders gute Ideen!“ 🙂
    Die Geschichte von der Prinzessin, die nicht spielen wollte, ist auch im Buch „Märchen“ von Astrid Lindgren, das seit fast 30 Jahren nachgedruckt wird: https://amzn.to/2NbMJ4i
    Wir hören uns die schöne Lesung dazu auch gerne auf Youtube an: https://bit.ly/2me8xRo
    Viel Spaß damit!

  • Liebe Uta,
    vielen Dank für deine prima Tipps zum Thema Langeweile.
    Mir gefällt besonders: „Wenn Langeweile auftaucht, haben wir und die digitale Welt das Kind noch nicht erschlagen mit unseren Entertainment-Angeboten, so dass es vordringen konnte zu dem wertvollen Gefühl der inneren Leere“ und dein Rat zum Rausgehen in die Natur.
    Merci auch für den Hinweis auf meinen neuen Blog.
    Herzliche Grüße,
    Christina

  • Hallo liebe Uta!
    Langeweile ist gerade jetzt zum Ende der großen Ferien oft ein Thema bei uns!
    Das spannende ist: Tochterkind (gerade 9 geworden) und Klein-Sohni (gerade 7) klagen zwar viel und lautstark, wissen sich dann aber doch irgendwie zu beschäftigen (meistens alleine mit sich, wenn es ganz schlimm ist, backen wir immer Kuchen oder Pizza oder machen Limonade).
    Der große Sohn (12,5 J.) aber weiß absolut nix mit sich anzufangen und kommt, wenn überhaupt, nur auf Schnapsideen (kokeln mit Plastik – samt Brandwunden -, mit Sprühlack im Keller oder Spielplatz werkeln – samt Kollateralschaden auf Boden und Wänden – , alkoholhaltiges Desinfektionsmittel anzünden, irgendwelche Dinge vom Dachboden holen und unser Arbeitszimmer damit belagern (raufbringen schafft er nicht, die Bodentreppe ist zu steil), sich Essen machen – dabei die Kühltruhe leer machen und die Küche im Chaos hinterlassen, irgendwelche Konstruktionen mit dem Gartenschlauch bauen und alles – samt trockener Wäsche im Wäschekorb – unter Wasser setzen). Ich krieg da echt einen Risbis. Nur Schnapsideen halt (aus Muttersicht) …
    Er will (sagt er) eigentlich am liebsten nur fernsehen, Handy daddeln (bzw. Youtube schauen), rumhängen.. Weil das nicht erlaubt ist bei uns (restriktive Medienzeit, doofe Eltern!) will er wissen, was er dann anderes machen könnte – aber auf jeden konstruktiven Vorschlag reagiert er ablehnend und meint, alleine – oder mit uns (insbesondere mit seinem Bruder zusammen) – macht das keinen Spaß (aber Kumpels will er auch nicht anrufen). Haaa! Präpubertiere sind aber auch nicht einfach in der Handhabung!!!
    Da wird dann seine Langeweile auch irgendwann zu meinem Problem (weil er nervt, nörgelt, nur Blödsinn macht). Da bekomme ich dann irgendwann SEHR schlechte Laune! Und es hat ganz sicher etwas damit zu tun, dass der Junge sich seit er das Handy hat (zum 11. Geburtstag bekommen, seufz), noch stärker in die Rolle des Konsumenten gefallen ist. Im Urlaub war das übrigens extrem.
    Was mich wirklich wundert: Meine Kinder spielen nicht miteinander. Ich meine, sie kommen nicht auf die Idee, zusammen Karten oder ein Brettspiel zu spielen. Immer muss ich dazu die Initiative geben und bestenfalls mitspielen. „Kommt Kinder, wir holen mal XY vor. Wer spielt mit?!“ Seufz. Dabei will ich nur faul in der Hängematte liegen und mir die Limo schmecken lassen, die die beiden „Kleinen“ zubereitet haben.
    Hab ich erwähnt, dass mir NIE langweilig ist? Ist das jetzt gut oder schlecht?
    Es grüßt mit Blick auf die Uhr (Ferienprogramm ist gleich rum)
    die SteffiFee

    • Liebe SteffiFee, das liest sich sehr amüsant, ist es aber sicher nicht für dich. Bei den Ideen, die dein Großer entwickelt, könntest du ein Buch oder Blog über euer Familienleben schreiben …. wenn du denn dazu kämest und nicht die ganzen Kollateralschäden beheben müsstest. ?
      Es klingt ein bisschen, als würde dein Großer Rache üben für die restriktiven Medien-Regeln? Gab es Verhandlungsspielraum für ihn? Könntest du dir vorstellen, ihn mal einen ganz Tag lang daddeln zu lassen? Es sind ja Ferien. Und vielleicht braucht er mal die Erfahrung und macht dann am nächsten Tag mit Freude Brettspiele oder sehnt sich plötzlich doch nach den Kumpels. Liebe Grüße, Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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